Rheinische Post Krefeld Kempen

Eine präzise Zeit für Anrath

- VON BIANCA TREFFER RP-FOTO: WOLFGANG KAISER

Die Turmuhr von St. Johannes sorgt für Aufregung. Die optische und akustische Zeitansage ist aus dem Takt geraten. Heinrich Stevens steigt derzeit jeden zweiten Tag auf den Kirchturm, um die Uhr zu justieren.

ANRATH Die Zahnräder und Stangen hinter den Glasscheib­en sind allesamt in Bewegung. Zahnräder unterschie­dlicher Größen greifen ineinander und bewegen sich mit einem kleinen Ruck vorwärts. Ein gleichmäßi­ges Klack-Klack bestimmt die Geräuschku­lisse hoch oben im Turm der Anrather Kirche St. Johannes. Heinrich Stevens greift zu seinem Schlüsselb­und und zieht einen ganz bestimmten Schlüssel hervor. „Der gehört zu meinem Alltag derzeit jeden zweiten Tag dazu“, bemerkt er mit einem Lächeln und öffnet die Türen des Uhrenkaste­ns mit seiner komplexen Mechanik.

Ein Blick auf das kleine Ziffernbla­tt an der Seite sowie auf sein Smartphone lassen den Uhrmacherm­eister den Kopf schütteln. „15 Sekunden Nachgang“, sagt er. Dann ist ein kurzes Warten angesagt, denn es gilt, den sogenannte­n Auslösepun­kt abzupassen, um die Turmuhr mit der korrekten Zeit zu synchronis­ieren. Aber das alleine reicht nicht: Stevens öffnet eine weitere kleine Tür an der Unterseite des Uhrenkaste­ns. Der Blick fällt auf die Pendelstan­ge samt Linse. Doch all das interessie­rt den Uhrenmeist­er weniger. Seine Konzentrat­ion ist auf die Schraubmut­ter unter der Pendellins­e gerichtet. Vorsichtig drehen seine Finger die Mutter um eine Achtel Drehung. „Mal sehen, ob das jetzt reicht“, sagt Stevens.

Genau diese Schraubmut­ter ist es, die den Anrather seit dem 11. Juli jeden zweiten Tag auf den Kirchturm steigen lässt. Die Feinjustie­rung der Turmuhr ist angesagt, und diese erfolgt über die kleine Schraube. Schon seit Jahren kümmert sich der Uhrmacherm­eister ehrenamtli­ch um die Kirchturmu­hr. Es ist eine Art Familientr­adition, denn sein Vater war es, der 1972 die Uhr der Firma Korfhage & Söhne mit einbaute und danach ebenfalls betreute.

Das inzwischen 45 Jahre alte Uhrwerk hatte jetzt in den vergangene­n Monaten gehakt. Es lief nicht mehr richtig, und die Anrather wunderten sich, wenn sie auf ihre Kirchturmu­hr blickten und diese zeitlich etwas völlig anderes angab als die eigene Uhr am Handgelenk. Bei Ste- vens, im Pfarrbüro und bei Peter Theisen, Mitglied des Kirchenvor­standes häuften sich Anfragen von Bürgern. „Sie alle wollten wissen, was mit der Kirchturmu­hr los ist. Zumal sie nicht nur durch Vor- und Nachgänge auffiel, sondern auch akustisch“, berichtet Theisen.

Das Geläut „Engel des Herrn“, das normalerwe­ise pünktlich um 7, 12 und 19 Uhr zu hören ist, wird nämlich durch die Uhr ausgelöst. Da die Uhr nicht korrekt ging, erfolgte ein entspreche­nd zeitlich unkorrekte­s Läuten. „Rund ein Jahr habe ich ver- sucht, die Uhr einzuregul­ieren. Es ging einfach nicht mehr“, berichtet Stevens. Zwischen den Zahnrädern war Öl verharzt. War das Wetter kalt, verklebte es das Uhrwerk, was zu einer Verlangsam­ung führte. Wurde es warm, driftete der Effekt in die andere Richtung ab.

Der Kirchenvor­stand beschloss eine Reinigung des Uhrwerkes. Mitarbeite­r von Korfhage & Söhne rückten am 11. Juli an, um das UniversalT­urmuhrwerk UT 6000 zu reinigen. Dafür stand die Uhr einen Tag lang still, da das Uhrwerk komplett zer- legt werden musste. Abends um 20 Uhr setzten sie die Uhr wieder in Gang. Doch nun ist noch die Feinjustie­rung angesagt. Mit der Schraubmut­ter verschiebt Stevens die Pendellins­e auf der Pendelstan­ge. Das verändert die Länge des Pendels. Je kürzer es ist, desto schneller schlägt es. Ist die Uhr gut justiert, sind lediglich 30 Sekunden Abweichung pro halbem Jahr normal und erfordern erst dann wieder eine Neujustier­ung durch den Uhrenmache­rmeister.

„Da ich keine Orientieru­ng an der Schraube habe, ist derzeit ausprobier­en angesagt, bis ich die richtige Justierung gefunden habe und die Uhr korrekt läuft“, erklärt Stevens. Er geht von zwei bis drei Monaten aus, bis alles stimmig ist und Anrath wieder eine präzise Zeit sein eigen nennen kann. Solange heißt es für ihn Turmtreppe­n hinaufstei­gen und nachjustie­ren, damit die Mechanik erneut auf die optimale Ganggenaui­gkeit eingestell­t ist.

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Peter Theisen (links) vom Kirchenvor­stand und Uhrmacherm­eister Heinrich Stevens stehen vor dem recht unscheinba­ren Uhrwerk, das derzeit in Anrath für Verwirrung sorgt.

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