Rheinische Post Krefeld Kempen

Meer oder Berg – welcher Urlaub glücklich macht

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Fragt man Touristen, was sie im Urlaub am glücklichs­ten macht, sind es nicht perfekte Hotels oder knackige Animateure und auch nicht der perfekte Service am Urlaubsort. Immer beantworte­ten die Befragten bei einer Umfrage eines großen Reiseveran­stalters die Frage mit euphorisch­en Bekundunge­n über die schöne Landschaft. Die Weite des Meeres wollen sie erleben, mit der Familie Strandurla­ub genießen und einen entspannte­n Blick von den Berggipfel­n ins Tal werfen. Das erzeugt offenbar eine Wohlstimmu­ng, ein Kribbeln, an das man sich auch später gerne noch erinnert.

Urlaub, Meer, Entspannun­g: Das passt für die meisten am besten zusammen. 70 Prozent der Deutschen entscheide­n sich nämlich für einen Urlaub am Meer, so das Ergebnis einer Umfrage des Statistisc­hen Bundesamte­s. Lediglich 23 Prozent zieht es dagegen in die Berge. Was also macht das Meer so reizvoll? Das Meer ist der perfekte Stresskill­er Jeder kennt das: den Blick über die Weite des Wassers wandern zu lassen, um ihn schließlic­h an einen scheinbar endlos entfernten Horizont zu heften. So fühlt sich Unendlichk­eit an. Wir lassen uns von den rhythmisch anrollende­n Wellen beruhigen. Das Lichtspekt­rum in Blau und Grün wirkt ausgleiche­nd, beruhigend und fährt den Stresspege­l herunter. Aus der Farbpsycho­logie weiß man, dass vor allem die Farbe Blau gegen Nervosität hilft und positiv auf das vegetative Nervensyst­em wirkt, indem sie zum Beispiel messbar Puls und Blutdruck senkt.

Wie gut das funktionie­rt, haben Wissenscha­ftler der Universitä­t Witten/Herdecke unter die Lupe genommen. Sie spielten verspannte­n Patienten, die beim Zahnarzt eine Wurzelbeha­ndlung erwarteten, Meeresraus­chen vor. Daraufhin wurden sie ruhiger und empfanden weniger Angst und weniger Schmerz. Der Arzt konnte dadurch sogar die Menge des Betäubungs­mittels reduzieren. Videoaufna­hmen vom Meer verstärkte­n diesen Effekt sogar.

Forscher der Pennsylvan­ia State University konnten im Experiment belegen, dass das Gehirn die Geräusche von Wellen als „Nicht-Bedrohunge­n“interpreti­ert und uns darum ruhiger macht und zum Beispiel besser einschlafe­n lässt. Aufgrund solcher Erkenntnis­se wird Meeresraus­chen von CD nicht nur unterstütz­end bei verschiede­nen Entspannun­gstechnike­n eingesetzt, sondern auch als Entspannun­gshilfe bei Geburten oder bei Schlafprob­lemen. Das Verrückte daran: Das Meer ist alles andere als ruhig. Vom Geräuschpe­gel her übertrifft es sogar eine viel befahrene Straße. Trotzdem ist es der perfekte Ort zum Entspannen. Denn es spricht alle Sinne an. Die Leichtigke­it des eigenen Körpers wahrnehmen Im Wasser die Leichtigke­it des eigenen Körpers wahrzunehm­en, ist mehr als eine erleichter­nde Erfahrung. Auf vielerlei Weise spricht die maritime Landschaft die Sinne an: die Füße in kühlen Schlick einsinken lassen, den rauen Sand auf der Haut spüren oder salzige Seeluft atmen. Das erzeugt ein solches Wohlgefühl, dass Wellnesste­mpel, Floating-Tanks und Thermalbäd­er es imitieren und so ein Stück Urlaub für uns zu konservier­en versuchen. Dazu ein wenig Meeresraus­chen, und schon gleitet alle Alltagslas­t von uns ab. Der Grund: Die Rhythmik der Wellen ist gleichtöni­g und wiederkehr­end. Der Körper entspannt ähnlich wie bei Meditation­smusik und Barockmusi­k, bei der das ebenso ist. Für chronisch Kranke ist Reizklima ideal Nicht nur allergiege­plagte Menschen schätzen die pollenarme Luft am Meer. Menschen mit chronische­n Erkrankung­en hilft das milde Reizklima an der See. Wind, UVStrahlun­g, Salz, Temperatur und Luftfeucht­igkeit kurbeln das Immunsyste­m an, dies zeigen zahlreiche Studien aus dem Bereich der Klimathera­pie. Kurklinike­n finden sich aus diesem Grund häufig an der See.

Bei aller Anziehungs­kraft, die das Maritime auf viele ausübt, haben aber auch andere Urlaubszie­le ihren Reiz. Landschaft­spsycholog­en entschlüss­eln das Geheimnis schöner Urlaubsort­e. Ihre Erkenntnis: Entspannun­g lässt sich in vielen Naturräume­n finden. Denn ganz gleich ob Strand, Savanne oder Bergkulis- se: Grundsätzl­ich gelingt das Abschalten überall da, wo wir ein Kontrastpr­ogramm zum modernen Alltag mit seiner Reizüberfl­utung in übervollen Bahnen und geschäftig­en Büros finden. Naturräume, gleich wo, werden passend zu den eigenen Absichten erlebt. Wir interpreti­eren nach Auffassung der Wiener Psychologi­n Renate Cervinka immer das hinein, was wir brauchen. Das Euphorie-Potenzial von Bergen Bergurlaub­er beispielsw­eise suchen meist einen aktiven Ausgleich und den bewussten Kontakt zur Natur, sagen Natursozio­logen wie Reiner Bäumer. Das zeigt Wirkung: Wandern ist Bewegung. Das in teils meditative­m Gleichschr­itt in der Natur zu tun, fährt den Stresspege­l runter. Wir sind weniger aggressiv.

Wie sehr die Wahl des Urlaubsort­es eine Typenfrage ist, zeigte ein Forscherte­am der University of Virginia. Die Wissenscha­ftler fanden heraus, dass introverti­erte Menschen sich in den Bergen besonders wohl fühlen. Der Grund: Im Gegensatz zu oft vollen und quirligen Stränden begegnet man auf Bergtouren weniger Menschen und findet auch Orte der Abgeschied­enheit. Hin und wieder trifft man auf plätschern­de Bächlein oder ein kühles Seeufer.

Savannen locken in ihrer halboffene­n Gestaltung. Nach Meinung des Psychologe­n Stephen Kaplan von der University of Michigan wirken sie auf viele Menschen anziehend, weil sie klar strukturie­rt und damit übersichtl­ich sind. Aus diesem Grund mag ein Dschungel für Extremurla­uber der reizvollst­e Ort der Welt sein, die Mehrheit jedoch findet seine Undurchdri­nglichkeit eher beängstige­nd.

Ähnlich wie ein Überlebens­camp im Urwald oder eine Grönlandex­pedition – jedermanns Sache ist auch das nicht. Doch wer sein Traumreise­ziel in einer Wüste sucht oder den Kilimandsc­haro besteigen möchte und Höhenkrank­heit und Rauschzust­and in Kauf nimmt, der sucht Abenteuer statt Wellness und Ruheoase.

Auch das nicht ohne Grund: Während der Entspannun­gsurlauber den Relaxmodus herbeisehn­t, suchen Aktiv- und Extremurla­uber den Kick. Wildwasser-Raften, Freeclimbi­ng und Bungee-Jumping in einen Vulkan bescheren auf andere Art Ablenkung vom Alltagstro­tt.

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FOTO: THINKSTOCK Gipfel mit Meerblick: Psychologe­n finden für jeden Urlaubsort Gründe, warum er Erholung bietet. Die hängt aber vor allem vom Urlauber selbst ab.

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