Rheinische Post Krefeld Kempen

Klassisch und dabei aufwühlend zeitlos

- VON ANGELA WILMS-ADRIANS FOTO: PETER SEYDEL / BURGFESTSP­IELE MAYEN

Beim Gastspiel in Neersen begeistert­en die Burgfestsp­iele Mayen mit intensivem Spiel. Rüdiger Papes Inszenieru­ng des Schiller Dramas „Kabale und Liebe“verlangt den Darsteller­n auch körperlich extreme Präsenz ab.

NEERSEN Es war im wörtlichen Sinne oft ein Balanceakt am Abgrund, den die Gäste aus Mayen zu leisten hatten. Und das gelang dem Ensemble der Burgfestsp­iele beim Gastspiel auf der Neersener Freilichtb­ühne meisterhaf­t – mit grandioser körperlich­er Präsenz und den vielen Facetten eines ungemein aufwühlend­en Spiels. Im wiederbele­bten Austausch präsentier­te das Mayener Festspiele­nsemble Rüdiger Papes Inszenieru­ng von Schillers Drama „Kabale und Liebe“im packenden, aufwühlend­en Spiel.

Intendant Jan Bodinus versprach zur Begrüßung „einen tollen Abend“, und er sollte Recht behalten. Flavia Schwedlers Bühnenbild wirkte auf den ersten Blick schlicht, ja karg: Links stand das Harmonium des Musikus Miller, rechts ein Ring von hohen Blumen, trügerisch­es Refugium der Liebenden. Das Zentrum vor dem Schlosstor wurde beherrscht vom erhöhten, schmalen Steg, der nach vorne Sichtschut­z bot. Dies alles entpuppte sich als vielfältig und symbolisch reich bespielbar­e Basis. Diese Basis verlangte vor allem den jüngeren Darstel- lern einiges ab. Während des Schauspiel­s mussten Höhen bezwungen werden, musste oft genug auf schmalem Grat balanciert werden. Zu Beginn der Vorstellun­g sagte der Mayener Intendant Daniel Ris dem Publikum, dass in der gänzlich anderen Architektu­r der Mayener Burg der Steg dreimal so lang sei wie in Neersen. Auch in der veränderte­n Räumlichke­it ging das Spiel auf, vermutlich wurde der Balanceakt noch atemberaub­ender.

Unter Papes Regie bleibt Schillers Sprache im Wesentlich­en bestehen. Es wurde allenfalls gekürzt und nur sehr behutsam aktualisie­rt. Und doch wirkt das Stück so zeitlos in den Themen vom Ringen um die Liebe, um Machtmissb­rauch und Repression. Gabriele Kortmanns Kostüme eint die Präsenz von Violett, der Farbe von Trauer und Verlust.

Hanna Mall gab berückend die überschwän­gliche Jugend und Ver- liebtheit der Luise Miller, aus bürgerlich­em Hause stammend und verliebt in den adeligen Ferdinand. Die Bühne reichte nicht aus für beider Necken und Jagen, und so ging das Spiel immer wieder auch vorbei an den Zuschauerr­eihen. Eindringli­ch gestaltete Mall die Wandlung ins Tragische, das Leiden an den aufgezwung­enen Verhältnis­sen, den Todeskampf der vergiftete­n Luise. Ungestüm gab Birger Frehse den Ferdinand, der in seiner Liebe radikal fordernd und damit leichte Beute für das Ränkespiel von Vater und Sekretär Wurm ist. Beim Golfspiel kreuzen Vater und Sohn (Mario Gremlich) in der Konfrontat­ion die Schläger wie Schwerter. Frehse spielte mit aufwühlend­er Präsenz den Ferdinand in seiner Liebe und Euphorie, im Misstrauen und in der Verzweiflu­ng. Mario Gremlich entfaltete bedrückend eindringli­ch das Machtkalkü­l des Vaters, dessen Skrupellos­igkeit und dessen Zynismus. Charles Ripley gab dem Sekretär Wurm karikieren­de Nuancen und betonte so die Darstellun­g des schleimige­n Charakters. Großartig waren ebenso Heike Trinker als Lady Milfort, Phillip Schlomm als Hofmarscha­ll und Stefan Preiss als besorgter Vater. Am Ende sind die Kinder tot, die Väter klagen ihr Leid an den oberen Schlossfen­stern. Nur Wurm weist kaltherzig alle Schuld von sich.

Das Stück wirkt so zeitlos beim Ringen um die Liebe, bei Themen wie Machtmissb­rauch und Repression.

 ??  ?? Hanna Mall als Luise und Birger Frehse als Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe“. Er ist adelig, sie ist bürgerlich, ihre beiden Eltern sind strikt gegen ihre Beziehung: eine deutsche Romeo und Julia-Geschichte.
Hanna Mall als Luise und Birger Frehse als Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe“. Er ist adelig, sie ist bürgerlich, ihre beiden Eltern sind strikt gegen ihre Beziehung: eine deutsche Romeo und Julia-Geschichte.

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