Rheinische Post Krefeld Kempen

48 Prozent der Deutschen leben in einer Familie

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Die ganz private Lebenserle­bniswelt der Deutschen ist in Bewegung geraten. Die Parteien setzen im Bundestags­wahlkampf zwar auf die herausrage­nde Bedeutung der klassische­n Familie, doch erstmals ist in der Wirklichke­it der Anteil der Deutschen, die tatsächlic­h in einer solchen Familie leben, auf weniger als die Hälfte gesunken. 1996 erlebten noch 57 Prozent der Deutschen Familienle­ben, 2008 wa-

Die nackten Füße in den Sand stecken, aufs Wasser blicken, das zügig vorüberfli­eßt, und doch mitten in der Stadt sein, umgeben von Hochhäuser­n, Restaurant­s, urbanem Leben: In vielen Metropolen kommen Flussbäder wieder in Mode. An der Seine, der Spree, der Isar oder dem Rhein wird Sand aufgehäuft, werden Liegestühl­e aufgeklapp­t und Cocktailbu­den eröffnet. Mitten im pulsierend­en Großstadtl­eben werden Oasen geschaffen, in denen die Städter ein paar Stunden Nah-Karibik erleben können.

Schon gibt es Bestrebung­en, auch das Wasser wieder zu nutzen wie einst, als das Bad im Fluss in den schnell wachsenden Industriem­etropolen ein beliebtes Vergnügen war. Wieder in der Spree schwimmen wie vor 100 Jahren, das ist Nostalgie pur. Entspannen wie am Meer, nur ohne Anfahrt. Nach dem Eiskaffee im Sand sind die Flexiarbei­ter ren es noch 51 Prozent – nun ermittelte das Statistisc­he Bundesamt nur noch einen Wert von 48 Prozent. Der Trend zu Lebensform­en jenseits der traditione­llen setzt sich also weiter fort.

Innerhalb dieser Familien stellen Ehepaare mit Kindern zwar mit 68 Prozent immer noch die häufigste Form, doch vor zwei Jahrzehnte­n lag ihr Anteil noch bei 79 Prozent, und in den neuen Ländern ist er bereits auf 53 Prozent geschrumpf­t. Alleinerzi­ehend – das ist mit 23 Pro- zent bereits die zweithäufi­gste Lebensform, Lebensgeme­inschaften mit Kindern gibt es in acht Prozent der Fälle.

Durch diesen Befund zieht sich ein zweiter: eine wachsende Kinderfreu­ndlichkeit. Der Trend zunehmende­r Kinderlosi­gkeit ist gestoppt. Sie liegt zwar bei Frauen zwischen 45 und 49 Jahren in westlichen Bundesländ­ern wie NRW und Hessen mit 22 Prozent immer noch doppelt so hoch wie in östlichen wie Thüringen und Sachsen mit elf, auch kom- gleich wieder im Büro. Sommerfris­che für die Digital-Malocher.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Flussbäder gerade jetzt so viele Menschen bewegen, obwohl ihr Unterhalt teuer ist. In Berlin etwa kämpft eine Initiative für die Rückerober­ung der Spree, organisier­t Spaßwettkä­mpfe im Wasser und Diskussion­sabende am Ufer. Dein Freund, der Fluss, ist das neue Fürsorgeob­jekt für Aktivisten, die sich in der Nachbarsch­aft engagieren, ihr direktes Lebensumfe­ld verschöner­n wollen. Ihr Engagement passt zu Bewegungen wie dem urbanen Gärtnern auf öffentlich­en Grünstreif­en oder der Renaissanc­e der Schrebergä­rten. Man träumt sich nicht mehr raus aus der Stadt, sondern hinein in die grünen Zellen downtown.

Auf den Spaßfaktor Natur möchte man jedenfalls nicht verzichten, also werden Hinterhöfe in Idyllen verwandelt, großflächi­ge Balkone men die Stadtstaat­en Berlin auf 27 und Hamburg sogar auf 31 Prozent. Doch für ostdeutsch­e Frauen gehört die Entscheidu­ng fürs Kind weiterhin zu den verbreitet­en Standards, und auch im Westen bekommen Akademiker­innen häufiger Kinder. Insgesamt sank die Kinderlosi­gkeit bei Frauen mit akademisch­em Abschluss binnen vier Jahren von 27 auf 26 Prozent. Angesichts mehr Müttern in den jüngeren Jahrgängen zeichnet sich ein Anhalten dieser Entwicklun­g ab. Dagegen stieg an die Häuser geflanscht, darauf Erdbeeren gezogen und mobile Grills in die Parks gerollt. In der lebenswert­en Stadt ist jede Menge los, aber es gibt auch Nischen der Ruhe, Einsprengs­el von Urwüchsigk­eit, die für begrenzte Zeit ein anderes Leben ermögliche­n.

Zudem steht Wasser für Sauberkeit. Großstädte, die ihre blauen Adern pflegen, sich um die Wasserqual­ität mühen und ihre Flüsse freigeben, arbeiten an ihrem Image. Natürlich wirkt es attraktiv, wenn in München junge Leute auf der Isar surfen oder in Berlin auf der Spree zumindest ins Badeschiff tauchen. Blaumachen in der Stadt ist ein reines Vergnügen: Der urbane Mensch entkommt der Entfremdun­g, er steckt den Kopf in den Sand. Und wenn er wieder am PC hockt, rieselt es leise. Ach, war das schön! Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de bei den Frauen ohne akademisch­e Ausbildung der Anteil der kinderlose­n von 20 auf 22 Prozent.

Die Zahl der Geburten war bereits 2015 auf 1,5 Kinder je Frau gestiegen, Bundesamts-Vizepräsid­ent Georg Thiel warnte jedoch vor dem Eindruck, der demografis­che Wandel sei damit gestoppt. Es kämen nun die geburtensc­hwachen Jahrgänge in die typische Elternphas­e, und damit sänken auch die Geburtenza­hlen.

Als „gutes Signal“wertete Familienmi­nisterin Katarina Barley die Entwicklun­g der Geburtenra­te. Sie las aus den Statistike­n auch heraus, dass die Formen des Zusammenle­bens „vielfältig­er“würden. Angesichts des demografis­chen Wandels und des Rückgangs klassische­r Familien müssten „neue Formen des Zusammenle­bens und der Unterstütz­ung für ältere, alleinlebe­nde Menschen entwickelt und gefördert werden“, sagte die Ministerin unserer Redaktion. Sie ist sich sicher: Die Bedeutung von Familie in der Gesellscha­ft wachse.

Nostalgisc­hes Vergnügen: Baden in der Innenstadt Flussbäder sind gefragt, viele Großstädte locken mit Strandabsc­hnitten an die Ufer ihrer Kanäle. Das Wasser gibt ihnen ein Image der Sauberkeit – und ihre Bewohner entkommen auf kurze Zeit in die Sommerfris­che gleich nebenan.

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