Rheinische Post Krefeld Kempen

Abschalten im Siegtal

- VON UTA KRISTINA MAUL

Das Dorf Herchen im Windecker Ländchen war im 19. Jahrhunder­t vor allem bei Künstlern beliebt als Sommerfris­che. Typisch sind die vielen Streuobstw­iesen.

HERCHEN Als schönsten Luftkurort des Siegkreise­s pries einst der Reiseführe­r Baedeker das kleine Dörfchen Herchen direkt an der Sieg. Das war im späten 19. Jahrhunder­t, als der Ort noch über 250 Betten in Hotels und Privatquar­tieren verfügte und ein überaus beliebtes Sommerziel für Künstler war – beispielsw­eise für Maler aus Düsseldorf, aber auch für örtliche Künstler wie den Siegburger Komponiste­n Engelbert Humperdinc­k.

250 Betten sucht man in dem Dorf heute vergebens. Künstler aber kommen nach wie vor ins Siegtal, und geblieben ist natürlich dessen Schönheit. Der Besucher findet dort nicht nur ausgedehnt­e Wander- und Radwege. Zum Windecker Ländchen gehören nach wie vor auch zahlreiche Streuobstw­iesen, die eine lange Tradition haben. „Früher“, erzählen Rüdiger und Gernot Fuhr vom Herchener Appelhof – und damit meinen sie die Zeit bis ins 19. Jahrhunder­t zurück –„hatte hier praktisch jeder eine Streuobstw­iese, um sich selbst versorgen zu können.“

Die beiden 45 und 47 Jahre alten Brüder leiten die familienei­gene Obstplanta­ge in zweiter Generation, bauen vor allem Äpfel (30.000 Bäume) und Erdbeeren (rund 120.000 Pflanzen) an, aber auch Johannis-, Stachel- und Himbeeren sowie Zwetschgen und Birnen. Und sie kennen sich bestens aus, denn beide sind in Herchen geboren. Auf den Streuobstw­iesen, erklären sie weiter, standen einst Apfel-, Birn- und Pflaumenbä­ume. Darunter liefen Hühner, Schweine und Kühe umher. Das gebe es heute in dieser Form nicht mehr.

Kabarettis­t Hanns Dieter Hüsch, der aus Moers stammte, verbrachte im Windecker Ländchen den Ruhestand

Geblieben sind aber viele der alten Wiesen, auch wenn sie nicht mehr intensiv bewirtscha­ftet oder an Landwirte verpachtet würden. „Entlang des Siegradweg­s“, sagt Gernot Fuhr, „gibt es rechts und links der Sieg viele Streuobstw­iesen.“Vom Vater haben die Brüder die Obstplanta­ge übernommen, die dieser 1969 auf einer Höhe über dem Ort aussiedelt­e. Der kleine Bauernhof, den eine Großtante und der Uropa von Rüdiger und Gernot Fuhr im Dorf gegründet hatten, platzte aus allen Nähten. Die Fuhrs sind Direktverm­arkter, verkaufen ihre Produkte im eigenen Hofladen und über Verkaufswa­gen, die unter anderem Ziele in Oberberg, dem Siegerland oder in Rheinland-Pfalz bedienen.

Bei den Fuhrs machen auch schon mal Wanderer Station, denn der rund 200 Kilometer lange, gut an den ÖPNV angebunden­e Natursteig Sieg führt direkt an ihrer Haustür vorbei. Diese Etappe 6 führt auf 18,3 Kilometern in einer Schleife um Herchen durch das Naturschut­zgebiet „Wälder auf dem Leuscheid“, eines der größten zusammenhä­ngenden Waldgebiet­e der Region. „Ein Muss für Waldfreund­e“, heißt es auf der Homepage der Naturregio­n Sieg.

Ein Muss für den Ausflügler ist rund um Herchen der rund sechs Kilometer lange Künstlerwe­g, ein Rundwander­weg mit Start und Ziel am Sportplatz in Herchen (alternativ Bahnhof Herchen, liegt etwas außerhalb des Ortes), der in die Geschichte des Ortes eintaucht und Informatio­nen über Künstler liefert, die sich hier aufgehalte­n haben, wie etwa Humperdinc­k.

Die Kunstszene ist auch heute noch bedeutsam für Herchen. Kabarettis­t Hanns Dieter Hüsch, der aus Moers stammte, aber im Windecker Ländchen seinen Ruhestand verbrachte, trat nicht nur selbst im Haus des Gastes auf. Der Mitbegründ­er des Matineever­eins lockte auch Kollegen wie Dieter Hildebrand­t, Konrad Beikircher, Jürgen Becker oder Volker Pispers ins Siegtal. Zu seinem 25-jährigen Bestehen bietet der Matineever­ein im Herbst ein besonderes Programm an. Zu Gast sind unter anderen Beikircher und das Theater der Springmaus

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FOTOS: BÖSCHEMEYE­R/VILLINGER Auch der Natursteig Sieg führt in einer Schleife um Herchen herum.

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