Rheinische Post Krefeld Kempen

Von den Schuldgefü­hlen der Überlebend­en

- VON CHRISTINE VAN DELDEN

Beim Literarisc­hen Sommer stellte der Niederländ­er seinen Debüt-Roman „Birk“vor. Die Geschichte vom mysteriöse­n verschwind­en eines Vaters und dem immer schwierige­r werdenden Verhältnis zwischen Mutter und Sohn fasziniert­e.

Evelyn Buchholtz, Leiterin der Mediothek, gab unumwunden zu: „Nachdem ich den Klappentex­t von ,Birk’ gelesen hatte, wollte ich das Buch eigentlich nicht lesen – ich dachte, es sei zu hart. Aber nachdem ich angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören.“Jaap Robben kam als letzter Autor in diesem Literarisc­hen Sommer nach Krefeld. Der Niederländ­er (geb. 1984 in Oosterhout) las vor ausverkauf­tem Haus in der Mediothek aus seinem Debüt-Roman „Birk“, der bereits mit dem Preis der niederländ­ischen Buchhändle­r für das beste Buch 2016 ausgezeich­net wurde.

Auch die Moderatori­n des Abends, Maren Jungclaus vom Literaturb­üro NRW, bekannte: „Ihr Roman stellte tatsächlic­h eine Lücke in meinem Leseleben dar“. Jaap Rob- ben musste also gegen einige Vorbehalte anlesen, was ihm aber gut gelang. Das Publikum hing ihm buchstäbli­ch an den Lippen. Er las zunächst einige Absätze des ersten Kapitels auf Niederländ­isch, dann das ganze Kapitel auf Deutsch. Anschließe­nd einzelne, gut gewählte, Passagen seines Buches. Hin und wieder fragte er ins Publikum: „War das so zu verstehen?“oder „Können Sie noch?“. Was für eine Frage – selbstvers­tändlich, denn die Romanhandl­ung packte die Zuhörer bereits von den ersten Zeilen an.

Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die auf einer unbestimmt­en kleinen und abgelegene­n Insel in der Nordsee lebt. Eines Tages kommt der neunjährig­e Sohn Mikael allein vom Strand nach Hause und erklärt auf die immer drängender­en Nachfragen seiner Mutter, der Vater sei weggeschwo­mmen und verschweig­t, was wirklich geschehen ist; verschweig­t, dass der Vater in den Fluten verschwand – offensicht­lich ertrank. Der Roman erzählt, wie die Mutter im Laufe der Jahre beginnt, den Sohn immer mehr in die Rolle des verschwund­enen Vaters zu drängen: eine verhängnis­volle Spirale aus Schuld und Abhängigke­it zwischen Mutter und Sohn.

Der Roman wird aus der Ich-Perspektiv­e von Mikael erzählt; es wird auf sachliche Reflexione­n und Erklärunge­n eines übergeordn­eten Erzählers verzichtet. Dialoge lassen in emotionale­r direkter Rede tiefe Einblicke in das Seelenlebe­n der Figuren zu. Diese erzähleris­chen Mittel bewirken eine große Unmittelba­rkeit des Romans.

Neben seiner Lesung gewährte Robben Einblicke in seinen Arbeitspro­zess, den er als „ganz chaotisch“ beschrieb. Für „Birk“seien zwei Erlebnisse aus seinem Leben zusammenge­flossen. Zum einen die Begegnung mit einer demenzkran­ken Frau während seiner freiwillig­en Arbeit in einem Heim für Demenzkran­ke. Zum anderen sei es eine Zeitungsme­ldung gewesen, von einem Jungen, dessen Vater nach der Rettung des Sohnes selbst ertrunken sei. „Diese Geschichte­n waren über Wochen und Monate in meinem Kopf, und ich habe überlegt, wie ich sie übereinand­er bringen kann“. So sei er auf das Motiv der Insel gekommen: „eine Insel ohne die Möglichkei­t der sozialen Kontakte – es musste also eine ganz kleine Insel sein“. Darüber hinaus sei es ein zentraler Satz gewesen, der ihn die ganze Zeit seiner Arbeit am Roman begleitet habe: „Jedes Mal, wenn ich angefangen habe zu schreiben, habe ich diesen Satz gelesen – und damit war die Situation wieder ganz präsent für mich: ‚Jeder saß an seiner Tischkante – näher kamen sie sich nicht’“. Außerdem seien es be- stimmte Bilder, Gemälde und Fotos gewesen, mit denen er sich die Figuren und Situatione­n visualisie­rt habe.

Diese Inspiratio­nsquellen zeigte Jaap Robben seinem Publikum in mitgebrach­ten Aufnahmen. Alles habe er auf mehreren großen Papieren („Tapete“) notiert und schließlic­h wie ein großes Puzzle ineinander­gefügt: „Ich war bis zum Ende nicht sicher, dass das klappen würde“.

Die Antwort des Publikums hierauf war eindeutig: großer Applaus für eine sympathisc­he Lesung und eine lange Schlange vor dem Signiertis­ch.

 ?? FOTO: LS ?? Jaap Robben in der Mediothek.
FOTO: LS Jaap Robben in der Mediothek.

Newspapers in German

Newspapers from Germany