Rheinische Post Krefeld Kempen
KULTURTIPPS
Wiederbegegnung mit den Pet Shop Boys Ein Buch über alles, was es gibt auf dieser Welt
Ausstellungen Immer mal wieder gibt es Diskussionen darüber, ob Museen Eintritt verlangen sollten – vor allem, wenn sie von Stadt, Land oder Bund unterhalten werden. Zuletzt wagte etwa das Folkwang in Essen einen Vorstoß und gewährte Einblicke in seine Sammlung bei freiem Eintritt. Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf öffnet immerhin einmal monatlich seine Häuser und nimmt dann: nichts. Jeden ersten Mittwochabend im Monat ist der Eintritt frei, also auch wieder übermorgen – von 18 bis 22 Uhr. Im K20, Grabbeplatz 5, gibt es zurzeit Werke aus dem ägyptischen Surrealismus zu sehen sowie Teile der Sammlung, etwa Aquarelle von Paul Klee. Das K21, Ständehausstraße 1, lockt mit wechselnden Künstlerräumen (insgesamt 22) und der begehbaren Großinstallation „In Orbit“von Tomás Saraceno. In beiden Häusern der Kunstsammlung gibt es zudem kostenlose Führungen. Beginn ist jeweils um 18 und 19 Uhr. kl Pop Es gibt nur noch wenige Künstler, die wirklich Pop sind oder genauer: P!O!P!. Die Pet Shop Boys gehören zur dieser selten gewordenen Spezies, die Musik, Inszenierung, Artwork, Stil und die Biografien ihrer Bühnen-Ichs zu einem Gesamtkunstwerk verbindet. 1985 erschien ihre erste Single, so lange ist das schon her. „West End Girls“heißt sie, und sie klingt immer noch großartig. Die 80er Jahre waren natürlich die große Zeit der Pet Shop Boys, aber sie haben weiter gemacht und immer wieder bemerkenswerte Platten veröffentlicht.
Die Alben, die das Duo zwischen 1999 und 2006 herausgebracht hat, legt die Plattenfirma nun noch einmal auf. Die „Further Listening“Editionen von „Nightlife“, „Release“und „Fundamental“kommen wie historisch-kritische Ausgaben daher, jeweils mit einer oder zwei CDs voller teils unveröffentlichtem Zusatzmaterial und dicken Booklets, in denen Neil Tennant und Chris Lowe aus ihrer Werkstatt berichten. Wenn man sich durch diesen Materialberg hört, geht einem auf, dass man die Pet Shop Boys nicht länger lediglich als Musiker wahrnehmen sollte, sondern als Künstler in einem umfassenderen Sinn. Warum treten sie nicht längst in Galerien und Museen auf? Sie schaffen viel mehr als Debütroman Ambitioniert ist gar kein Ausdruck für „Soweit wir wissen“, das preisgekrönte Erstlingswerk von Zia Haider Rahman. Der spätberufene Autor hat diverse Leben gelebt. Er wurde in Bangladesch als Arbeiterkind geboren, wuchs in besetzten Häusern und Sozialwohnungen in London auf, studierte dank Begabtenstipendien in Oxford, München, Cambridge und Yale, arbeitete als Investmentbanker und Menschenrechtsanwalt. Anhand der Biographien zweier Männer thematisiert er in seinem Buch Freundschaft und die Finanzkrise, Liebe und Mathematik, Pakistan und Bangladesch, Einsamkeit, Verrat und Demütigung, Identität und Heimatlosigkeit, Schuld und Sühne, Verantwortungslosigkeit sowie alle Arten von Lebenslügen. Entsprechend umfangreich, anspruchsvoll und teils schwindelerregend ist dieses Buch, das die Sprunghaftigkeit zum Prinzip erhebt – aber auch ein großer Wurf ist. tojo Zia Haider Rahman: Soweit wir wissen, Berlin Verlag, 704 Seiten, 25 Euro Lieder, sie schöpfen eine Welt, die wie London duftet und wie eine Diskokugel aussieht. Man kann darin alt werden und dennoch jung bleiben. Andy Warhol ist die Portalsfigur dieses streng codierten Kosmos, in dem Plastik so wertvoll ist wie anderswo Marmor oder Gold. „Flamboyant“heißt ein später Hit des Duos, er ist die Nationalhymne dieses imaginären Orts.
Es ist verblüffend, wie sicher die Gruppe in der Auswahl von Zuträgern ist. Man schaue sich das Video von Wolfgang Tillmans zu „Home & Dry“an. Man lasse sich vom „Flamboyant“-Remix von DJ Hell verblüffen. Oder man höre sich „In Private“an, das sie mit Elton John singen. Es ist eine Feier des abgespreizten kleinen Fingers. Melancholische Lässigkeit und ungerührte Eleganz im Gewitter aus billigen Beats.
Die Pet Shop Boys führen das Pop-Dandytum, das Bryan Ferry in den 70er Jahren kultiviert hat, fort. Die neue CD-Edition macht einem auch das klar. Philipp Holstein