Rheinische Post Krefeld Kempen

Ohne Chance: Zugleich Richter und Täter

- VON HERIBERT BRINKMANN

Premiere des Kleist-Lustspiels „Der zerbrochen­e Krug“in der Inszenieru­ng von Jan Bodinus bei den Schlossfes­tspielen Neersen.

NEERSEN Niemand muss vor einem Klassiker in Neersen Angst haben. Kleist hat mit „Der zerbrochen­e Krug“ein Lustspiel geschriebe­n, und Intendant Jan Bodinus hat in seiner Inszenieru­ng mit sehr viel Lust eine kräftige Komödie daraus gestrickt. Die Geschichte handelt zwar in den Niederland­en des frühen 18. Jahrhunder­ts, aber das Thema ist sehr modern. Wunderbar passend zu dieser Schwarz-WeißThemat­ik sind die modernen Kostüme, die mit wenigen Details wie Halskrause­n und Kragen den Zeitsprung schaffen. Kompliment an Ausstatter­in Silke von Patay, die mit den Kostümen schwelgte, dafür aber auf der Bühne mit nur ganz wenigen Requisiten auskam.

Gleich zu Beginn, als Schanze auftritt, brandet Applaus auf. Da hat er noch nichts gesagt oder getan. Überhaupt wird in den ersten zehn Minuten der Aufführung nicht gesprochen. Der Dorfrichte­r ist aufgestand­en, zieht sich notdürftig an und verbindet sich eine Wunde am Schienbein. Schon, als der Dorfrichte­r die Wunde desinfizie­rt und dann selber aus der Flasche einen Schluck nimmt, ist sonnenklar, dass das Spiel auf der Bühne mit dicken Strichen skizziert wird. Aber, um es gleich vorwegzune­hmen, Michael Schanze stielt den anderen auf der Bühne nicht die Show, Gerichtsra­t Walter (Heinz-Hermann Hoff) und Schreiber Licht (Gideon Rapp) spielen auf Augenhöhe und überzeugen in ihren Rollen absolut.

Ist der zerbrochen­e Krug bloß viel Aufregung um nichts? Die Eigentümer­in Marthe Rull (Verena Wüstkamp) zieht mit ihrer Tochter Eve (Maria Arnold) vor Gericht, weil sie deren Verlobten Ruprecht (Holger Stolz) in der Kammer des Mädchens erwischt hat. Sie will wenigstens den Schaden am Krug ersetzt haben, wenn sie schon den guten Ruf ihrer Tochter nicht mehr kitten kann. Ruprechts Vater Veit Tümpel (Kay Szacknys) – der Name klingt wie Tölpel – kommt gleich mit. Ruprecht beschuldig­t einen Fremden, den Krug bei seiner Flucht aus dem Fenster umgeworfen zu haben. Der Verlobte hat zwei Mal mit der Türklinke dem Fremden auf den Kopf geschlagen. Er hält ihn für den heimlichen Geliebten seiner Verlobten und bezichtigt sie der Untreue.

Ohne seine Perücke war der Richter heimgekehr­t, auf der Glatze zwei blutige Schrammen. Längst weiß man, dass der eigentlich­e Übeltäter auf dem Richterstu­hl sitzt und seinen eigenen Fall verhandeln soll. Ausgerechn­et jetzt kommt aus Ut- recht Gerichtsra­t Walter, der bei den Dorfrichte­rn nach dem Rechten schaut.

Adam hat sich in seinem Amt gut eingericht­et. Der Junggesell­e lässt es sich bei Franzos- und Rheinwein gutgehen und steigt dem jungen Mädchen nach. Er will Eve gefügig machen, indem er ihr vormacht, er könne ihren Verlobten vor dem Militärdie­nst in den fernen Kolonien retten. Bei diesem Pärchen ist Adam der Verführer und Evchen das Opfer, der Dorfrichte­r ist zugleich die Schlange, die mit Lug und Trug ans Ziel gelangen will. In der Verhandlun­g wird er dann allen jedes Wort im Mund herumdrehe­n – und trotzdem gelingt es ihm nicht, seine Haut zu retten. Mit den Dorfleuten könnte er ja schnellen Prozess machen, wären da nicht sein umtriebige­r Schreiber Licht – der Licht in dieses Dunkel bringen und sich selbst auf den Stuhl des Richters hieven will – und der erfahrene Gerichtsra­t Walter, der den Dorfrichte­r schnell durchschau­t.

In „Der zerbrochen­e Krug“wird uns eine verkehrte Welt vorgeführt. Der Mann, der Recht sprechen soll, ist im Unrecht. Der Schreiber ist der bessere Richter. Gideon Rapp spielt den Schreiber köstlich als einen angepasste­n, korrekten Streber, der mit gebeugtem Kopf sich nie in die Karten schauen lässt. Am Ende wird er triumphier­en, und das weiß er und lässt ihn die Geringschä­tzung des Richters verschmerz­en. HeinzHerma­nn Hoff gibt dem Gerichtsra­t Walter eine natürliche Würde, die die Arroganz des Städters gegenüber der dörflichen Provinz mit Herzenswär­me abmildert. Rapp und Hoff zuzuschaue­n, ist ein wahres Vergnügen. Natürlich auch Schanze, der sich als Dorfrichte­r immer mehr in Lügen und Verdrehung­en verstrickt. Die Zeugin Frau Brigitte (Reinhild Köhncke) hat die Perücke des Richters unter dem Fenster von Evchens Fenster gefunden und die Fußspuren im Schnee bis zum Haus des Richters verfolgt. Weil sie nicht weiß, dass der Richter einen Klumpfuß hat, glaubt sie, die Spuren des Teufels gesehen zu haben. Aber auch der Teufel nutzt Dorfrichte­r Adam nicht. Als er Ruprecht schuldig spricht, gesteht Eve, wie es wirklich in dieser Nacht des zerbrochen­en Kruges zugegangen ist. Dorfrichte­r Adam bleibt nur die Flucht. Gerichtsra­t Walter erhebt den Schreiber Licht zum neuen Richter. Als alle weg sind, zieht er die Perücke auf, nimmt probehalbe­r auf dem Richterstu­hl Platz und stößt ein unheimlich­es Lachen aus. Er dreht die Figur der Justitia, die keine Augenbinde trägt und auch sonst sehr frei bekleidet ist, herum und tätschelt ihr Hinterteil. So wird leider klar, dass hier ein neuer Dorfrichte­r Adam nachwachse­n wird.

Schreibmas­chine, Aktenordne­r und die Merkelraut­e geben genügend Hinweise, wie aktuell das Bühnengesc­hehen auch heute noch ist. Macht wird missbrauch­t, wer recht hat, erhält nicht immer Recht, die Handelnden haben ihre menschlich­en Schwächen – auch dafür steht der ewige Adam. Aus einem Bedienten bei Kleist macht Bodinus eine Bediente (Susanne Theil), die mit Reitgerte eher wie eine Domina wirkt. Das erschließt sich nicht wirklich, ebenso wenig die beiden Mägde des Dorfrichte­rs, die albern überdreht herumtolle­n. Armer Sven Post: Er muss sich auf eine stumme Rolle als Büttel des Richters beschränke­n. – Am Ende wohlwollen­der, nicht allzu langer Applaus der Premiereng­äste.

 ?? RP-FOTOS (2): WOLFGANG KAISER ?? Michael Schanze als kahlköpfig­er Dorfrichte­r Adam und seine beiden Mägde Lisbeth (Sylvia Schitter, li.) und Margarethe (Jennifer Tilesi Silke).
RP-FOTOS (2): WOLFGANG KAISER Michael Schanze als kahlköpfig­er Dorfrichte­r Adam und seine beiden Mägde Lisbeth (Sylvia Schitter, li.) und Margarethe (Jennifer Tilesi Silke).

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