Rheinische Post Krefeld Kempen

Handschuh mit Hirn

- VON MANFRED MEIS RP-FOTO: JÖRG KNAPPE

Im Textilmuse­um „Die Scheune“in Hinsbeck-Hombergen wird die Entwicklun­g der Textilindu­strie dargestell­t. Vier industriel­le Revolution­en haben sie geprägt. Der neueste Clou: ein intelligen­ter Handschuh.

NETTETAL In heiterer Runde bei einem Glas Sekt entstand die Idee zu dieser Ausstellun­g: Während des Empfangs zu seinem 90. Geburtstag in der Textilsche­une in HinsbeckHo­mbergen erwähnte Walter Tillmann das Schlagwort „Industrie 4.0“– und der Textilinge­nieur wurde gleich beim Wort genommen. Als er sich dann ernstlich damit beschäftig­te, „merkte ich erst, dass ich völlig falsche Vorstellun­gen hatte“, gesteht er heute und fügt hinzu: „Aber bei vielen Bekannten war das genauso.“Umso größer war deshalb sein Ehrgeiz, die industriel­le Zukunft der Textilindu­strie plakativ sichtbar zu machen. „Besser gesagt“, schränkt er etwas ein, „wir wollen auf die ersten Ansätze hinweisen.“

Der Weg dorthin begann vor rund 200 Jahren mit der ersten Industriel­len Revolution, als nach und nach mechanisch­e Webstühle die Arbeit des Handwebers verdrängte­n, als sich vor allem die Antriebsar­ten für die Maschinen von Menschen-, Pferde- und Wasserkraf­t auf Dampfmasch­inen veränderte­n. Geradezu niedlich wirken die metallene Pferdekarr­enskulptur und die Minidampfm­aschine in einem gläsernen Fabrikgebä­ude: „Das Modell hat mir ein Bekannter geliehen“, sagt Tillmann. Es ist nicht die einzige Leihgabe, die er in den vergangene­n Monaten bei Firmen und Hochschule­n erhalten hat. Behalten darf er ein Stück Kokosmatte, die zu den Geotextili­en gehört: „Diese habe ich bei Arbeiten am Bahndamm in Viersen gesehen, die Arbeiter haben sie mir geschenkt.“Die Kokosfaser­n werden durch ein Textilgefl­echt gehalten und dienen als Stabilisat­or.

Zwischen zahlreiche­n Handwebsch­iffchen, Webschütze­n und Druckwalze­n liegt ein kleiner Elektromot­or, Sinnbild für die Industrie 2.0 ab Ende des 19. Jahrhunder­ts. Die neue Energieque­lle gab der Produktion einen ungeheuren Schub, viele Maschinen wurden neu- oder weiterentw­ickelt. Die nächste Revolution zeichnete sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab, als die Automatisi­erung verfeinert wurde und nach und nach der Computer in die Maschinens­teuerung Einzug hielt. Auf der Digitalisi­erung mit ihrer fast allumfasse­nden Datenverar­beitung beruht auch die Industrie 4.0. Walter Tillmann hält einen „Handschuh mit Hirn“hoch, dessen Sensoren blitzschne­ll Teile scannen, die für die Produktion gebraucht werden.

Auf der Suche nach intelligen­ten Produkten ist Tillmann nicht nur im Carbon Valley in Stade bei Hamburg fündig geworden, sondern auch beim 3-D-Drucker Modellbau Pfundstein in Kempen oder bei Pile Fabrics in Lobberich. Der Hersteller technische­r Textilien fertigt auch Luftkissen nach der alten Methode der Abstandsge­webe – wie man hierzuland­e früher auch Samt produziert­e, nur in kleineren Dimensione­n. Pile Fabrics bietet auch eine Besichtigu­ng der Produktion in den früheren Hallen von Rokal Armaturen (später Hansa) an der RobertKahr­mann-Straße an; Listen für Besucherei­ntragungen liegen in der Ausstellun­g aus.

Im Obergescho­ss der Scheune hat Tillmann Schriften und Zeitungsar­tikel zum Thema Industrie 4.0 ausgelegt, außerdem wird an einer Wand die Entwicklun­g des Jacquard-Webstuhls in vielen Bildern dargestell­t – eine frühe Ausführung dieses Stuhls steht auch im Erdgeschos­s, noch umstellt von Webutensil­ien aus älterer Zeit. Bis alles richtig an der Wand hängt oder auf den Tischen steht, bleibt bis Sonntag noch einiges zu tun für Tillmann und seine beiden Mitarbeite­r Hans-Willi Lersmacher und Dieter Wlacil, beide ebenfalls studierte Textilinge­nieure und Männer mit Jahrzehnte langer Erfahrung. „Hildegard, haben wir noch einen Hocker für die Dampfmasch­ine?“, fragt Tillmann seine Frau. In der Scheune ist momentan keiner zu finden, aber in der Wohnung nebenan sicherlich. Sonntag wird man sehen, wie die herausgeho­bene Position der Dampfmasch­ine erreicht wurde. Wenig weiter leuchten dann die Glasfaserk­abel.

 ??  ?? Walter Tillmann (l.) und Hans Willi Lersmacher bauen noch auf. Ab Sonntag ist die neue Ausstellun­g „Der Weg zur Textilprod­uktion 4.0“im Textilmuse­um „Die Scheune“für Besucher geöffnet.
Walter Tillmann (l.) und Hans Willi Lersmacher bauen noch auf. Ab Sonntag ist die neue Ausstellun­g „Der Weg zur Textilprod­uktion 4.0“im Textilmuse­um „Die Scheune“für Besucher geöffnet.

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