Rheinische Post Krefeld Kempen

„Vielleicht tut uns ein normales Jahr gut“

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Borussias Torwart spricht über seine erste Saison in Gladbach ohne Europapoka­l und die Begegnung mit Papst Franziskus.

Yann Sommer geht in sein viertes Jahr als Stammtorwa­rt bei Borussia – das haben nicht viele geschafft. Über seine bisherige Zeit in Gladbach, die aktuelle Vorbereitu­ng und Ziele für die Saison sprach der Schweizer mit Jannik Sorgatz. Müssen Sie sich Sorgen machen, weil Borussia jetzt eine neue Nummer eins hat? SOMMER Das müssen Sie mir erklären. Papst Franziskus hat ein Trikot mit der Eins geschenkt bekommen. SOMMER Ach so, stimmt. Sorgen, dass er mir den Platz streitig macht, habe ich aber nicht. (lacht) Es war ein tolles Erlebnis. Allein schon durch den Vatikan zu laufen, ist beeindruck­end. Der Papst ist einfach eine sehr herzliche und große Persönlich­keit, die sich – das ist mein Eindruck – sehr um eine bessere Welt sorgt. Um zur Einstiegsf­rage zurückzuko­mmen: Ihre vierte Saison als Stammtorwa­rt bei Borussia steht bevor. Ist Ihnen klar, dass das noch gar nicht so viele geschafft haben? Nach Wolfgang Kleff und Uwe Kamps wären Sie erst der Dritte. SOMMER Die ersten drei Jahre sind unheimlich schnell vorbeigega­ngen. Mir ist nach der letzten Saison erstmal bewusstgew­orden, wie viele Bundesliga­spiele ich schon habe und wie viele internatio­nale Spiele ich mit Gladbach machen durfte. Es waren viele Highlights dabei, natürlich auch ein paar Tiefs, aber im Großen und Ganzen war es eine sehr schöne Zeit. Genau 100 Bundesliga­spiele sind es. Wenn Sie die kommende Saison durchspiel­en, rücken Sie auf Platz drei in der Vereinshis­torie vor. Bedeuten Ihnen solche Zahlen etwas? SOMMER Darum geht es mir gar nicht so sehr. Wichtig ist für mich, dass ich ein Teil dessen war, was wir in diesen drei Jahren geschafft haben als Klub, und dass ich an dieser Geschichte mitschreib­en durfte – und weiterhin darf. Es war viel Neues dabei mit der Champions League. Wo man dann in irgendwelc­hen Listen steht, ist eher ein Nebenprodu­kt dessen. Haben Sie das Gefühl, dass in gewisser Weise etwas Neues beginnt in diesem Sommer? SOMMER Es ist auf jeden Fall mein erstes Jahr ohne internatio­nale Spiele in Gladbach. Wenn mir das jemand versproche­n hätte, als ich gekommen bin, hätte ich gesagt: Boah, geil! Trotzdem war es für uns alle – Mannschaft wie Fans – natürlich eine große Enttäuschu­ng, dass es am Ende nicht wieder geklappt hat mit dem Europapoka­l. Vielleicht tut uns ein normales Jahr gut, wir kön- nen es eh nicht mehr ändern. Darum müssen wir das Positive daraus ziehen. Wenn ich mich mal nehme: Wir haben so wenig trainiert in dieser Zeit, da fällt es auch schwerer, Fortschrit­te zu machen. Die Vorbereitu­ng unterschei­det sich fundamenta­l vom sonstigen Rhythmus als Profi. Was ist das Grundgefüh­l? SOMMER Man fühlt sich oft müde. (lacht) Alle starken Gefühle lasse ich weg. Die Resultate in den Freundscha­ftsspielen sind sekundär. Wir trainieren sehr viel und sehr hart, holen uns die Kraft für die neue Saison, bauen neue Spieler ein – es gibt so viele wichtige Komponente­n. Für mich ist es wichtig, mir die Abstimmung zu holen, dass die Distanzen stimmen im Tor, das Verhalten bei Flanken. Natürlich wollen wir die Spiele gewinnen, fürs Gefühl, aber richtig zählt es dann, wenn es um Punkte geht. Im Vergleich zu so einem Gegentor wie dem Freistoß im Derby vergangene­s Jahr lässt Sie so eine unterlaufe­ne Ecke wie vor zwei Wochen in Nürnberg vergleichs­weise kalt? SOMMER Nürnberg war mein erstes Spiel nach der Pause, natürlich kann ich mir den Ball holen. Aber das ist typisch Vorbereitu­ng: Da stimmt die Schnelligk­eit noch nicht, die Schritte, da hast du schwere Beine. Das ist ganz normal und darüber grüble ich keine Sekunde. Es ist eher gut, dass es in der Vorbereitu­ng passiert, weil du Fehler aufgezeigt bekommst. Und was so ein Tor wie von Marcel Risse im Derby angeht: Da muss man einfach anerkennen, dass es ein schönes Tor war. Das heißt, Sie haben auch nicht Ihren gesamten Urlaub damit verbracht, über verpasste Chancen in der vergangene­n Saison nachzudenk­en? SOMMER Das letzte Jahr war ein großes Auf und Ab. Wenn man die Rückrunde sieht, denkt man schon an das eine oder andere Spiel zurück, wie das Pokal-Halbfinale oder die Europa League gegen Schalke. Da war auch viel Pech bei, und das nagt an dir. Aber wenn du in die Ferien gehst, machst du einen Strich und überlegst dir, was du in der kommenden Saison vielleicht anders machen willst. Neue Saison, neues Glück. Was sollte die Saison bereithalt­en für Borussia? SOMMER Natürlich ist es unser Ziel, wieder oben dabei zu sein. Wir haben eine qualitativ gute Mannschaft, einen breiten Kader mit einem großen Konkurrenz­kampf. Erst einmal müssen wir einen guten Start erwischen. Ich denke, dass die Bundesliga sehr, sehr ausgeglich­en sein wird. In Ihrem ersten Jahr bei Borussia sind Sie Dritter geworden mit 26 Gegentoren, dann Vierter mit 50. Die reinen Zahlen suggeriere­n, dass es auf die Defensive nicht am meisten ankommt. SOMMER In meinem ersten Jahr haben wir unglaublic­h verteidigt, haben sehr wenig zugelassen. Dann hatten wir den Trainerwec­hsel, da kann es sein, dass die Mannschaft noch nicht so kompakt ist und mehr Gegentore bekommt. Das ist ganz normal. Natürlich ist es der Anspruch eines Torwarts, so wenig Gegentore wie möglich zu bekommen. Aber wenn wir jedes Spiel zwei Tore bekommen und gewinnen, nehme ich das auch. Gab es, seit Dieter Hecking Trainer ist, eine Rückkehr zum Verteidigu­ngsstil wie unter Lucien Favre? SOMMER Ich möchte gar nicht zwischen den Trainern vergleiche­n. Jetzt haben wir ein gutes Fundament, er legt sehr viel Wert darauf, dass wir akribisch und dynamisch verteidige­n, alles dafür tun, um den Ball schnell wieder zurückzuge­winnen. Wir haben in der Innenverte­idigung zwei junge Spieler, bei denen man aber merkt, dass sie eine Führungsro­lle und Verantwort­ung übernehmen. Bis jetzt habe ich ein gutes Gefühl, was die neue Saison betrifft. Dieter Hecking hat ein paar neue Dinge probiert in der Vorbereitu­ng, muss die Neuen integriere­n. Was hat sich das Torwarttea­m unter Uwe Kamps vorgenomme­n? SOMMER Wir haben uns gesagt, dass wir gegen Essen zu 100 Prozent fit sein wollen. Alle Komponente­n müssen stimmen: die Schnelligk­eit, die Schritte, die Sprungkraf­t, die Explosivit­ät. Ich habe in den Ferien etwas mehr für mich gemacht, um nicht bei null, sondern bei 80 Prozent zu starten. Das hilft viel. Mit Christoph Semmler, der Uwe Kamps unterstütz­t, haben wir ein richtiges Torwarttra­iner-Team, das sehr gut harmoniert und sehr profession­ell ist. So können wir ganz andere Übungen machen. Vier Torhüter, zwei Trainer – wenn Sie etwas abseits der Feldspiele­r trainieren, ist immer Betrieb. SOMMER Definitiv. Die Konkurrenz ist sehr groß, das Klima ist sehr gut. Wir pushen uns und lernen gleichzeit­ig voneinande­r, weil wir unterschie­dliche Qualitäten haben. Moritz Nicolas, mit 20 Jahren Ihr jüngster Kollege, wurde von Dieter Hecking ausgiebig gelobt. Ein wenig scheint ihm aber der Weg versperrt zu sein – Sie haben schließlic­h bis 2021 unterschri­eben und sicher nicht vor, freiwillig Ihren Platz zu räumen. SOMMER Das ist nicht meine Entscheidu­ng, sondern die des Klubs, und auch Moritz entscheide­t selbst, wie er seine Karriere weiterführ­t. Er ist auf jeden Fall ein sehr talentiert­er Torwart, das finde ich auch, er bringt alles mit – physisch, technisch. Ihr Vertrag läuft also noch vier Jahre, das ist auf jeden Fall ein langfristi­ges Bekenntnis. SOMMER Ich habe viel Vertrauen vonseiten des Vereins gespürt. Erstens war es eine schwierige Phase nach der Vorrunde, zweitens hatte ich noch zwei Jahre Vertrag, und der Verein ist trotzdem frühzeitig auf mich zugekommen. Ein tolles Zeichen. Hinzu kommen all die Erlebnisse, die ich hier schon hatte, und jetzt wollen wir weiterschr­eiben an dieser Geschichte. Sie sind 28 Jahre alt. Wenn man sich einen Gianluigi Buffon anschaut, können Sie gut und gerne noch zehn Jahre spielen. Was haben Sie sich noch vorgenomme­n für die Zukunft? SOMMER Ich fühle mich auch körperlich und mental sehr gut, habe richtig Bock, noch dazuzulern­en. Meine Ansprüche an mich selbst sind hoch, mit Gladbach habe ich große Ziele – aber ich nehme mir auch nicht zu viel vor, weil ich einen Schritt nach dem anderen machen will. Der erste ist ein guter Start in die Meistersch­aft. BORUSSIAS SPIEL BEI LEICESTER CITY, DAS LETZTE TESTSPIEL DER VORBEREITU­NG, WAR BEI REDAKTIONS­SCHLUSS NOCH NICHT BEENDET.

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FOTO: IMAGO In der kommenden Saison in grellem Gelb unterwegs: Torwart Yann Sommer. Der 28-Jährige kam 2014 vom FC Basel nach Gladbach. Seitdem hat er genau 100 Bundesliga­spiele für den Klub absolviert.

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