Rheinische Post Krefeld Kempen

Die „ganze Geschichte“über die AfD Das schiefe Leitbild der Bundeswehr

- VON ECKHARD JESSE VON PETER SEIDEL

Justus Bender liefert ein differenzi­ertes Bild der Aufsteiger-Partei.

Martin Sebaldt erklärt die Armee für „nicht abwehrbere­it“.

Der Begriff des Populismus, zumeist mit dem Präfix „rechts“, ist in aller Munde. Die 2013 ins Leben gerufene Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD), auf die ein solches Etikett passt, zog seit der Bundestags­wahl 2013 in 13 Landesparl­amente ein, davon sieben Mal mit zweistelli­gen Ergebnisse­n. Auch wenn die Resultate 2017 nur unterdurch­schnittlic­h ausfielen, muss diesen Herbst mit einer parlamenta­rischen Repräsenta­nz der weder koalitions­willigen noch -fähigen Partei im Bund gerechnet werden.

Justus Bender von der FAZ hat die Partei von Anfang an intensiv beobachtet, und so erhält der Leser einen gut recherchie­rten Einblick in das Innenleben der in sich zerstritte­nen Kraft. Obwohl er Kritiker der Partei ist, verfällt er nicht in einen diffamiere­nden Antifa-Jargon. Für Bender ist die AfD eine „rechtspopu­listische Partei mit radikalen Strömungen“. Die Urteile sind eine Nuance härter als die der „Spiegel“-Autorin Melanie Ammann in ihrem Buch. Beide halten die Partei auf absehbare Zeit für etabliert.

Die subjektive „Ich“-Sicht Benders stört nicht; und seine offene Haltung kommt sympathisc­h daher: „Wenn mich jemand fragt, wie die AfD so ist, so weiß ich manchmal nicht, was ich erzählen soll. Die bösen oder die netten Anekdoten. Am besten erzähle ich immer die ganze Geschichte.“Die „ganze Geschichte“ist meistens negativ. Diese Perspektiv­e steht Bender zu. Was hingegen missfällt: Für ihn ist Götz Kubitschek, dem Selbstvers­tändnis nach ein Protagonis­t der neuen Rechten, fälschlich­erweise ein „AfD-Vordenker“, obwohl dessen Aufnahmege­such abgelehnt wurde. Dass Kubitschek das in seiner vollmundig­en Art so sieht, mag sein, doch dürfte ihm ein versierter Journalist nicht auf den Leim gehen.

Für Bender sind die Repräsenta­nten der AfD „Anti-68er“. Sie wollen zurück in die 50er Jahre. In der Tat sind es weniger ökonomisch­e Grün- de, die den Aufstieg der Partei erklären. Doch könnte die Gesellscha­ft die AfD nicht mehr verändern als diese die Gesellscha­ft verändert? Der Autor zweifelt daran und lässt Parallelen zu den Grünen, einer früheren „Alternativ­e“, nicht gelten.

Benders Empfehlung lautet, AfDPolitik­er in die Enge zu treiben, indem man sie fragt, wie die Partei ihre Ziele erreichen will. Wer eine politische Kraft als populistis­ch begreift, hat damit noch kein Urteil über einen möglichen Extremismu­s gefällt. Populismus ist ein Politiksti­l, Extremismu­s eine inhaltlich­e Position, die den demokratis­chen Verfassung­sstaat aus den Angeln zu heben gedenkt. Um diese Frage drückt sich der Autor etwas. Gleichwohl: Das Buch mit der Kritik am plebiszitä­ren Politikver­ständnis der auf das Internet fixierten neuen Partei ist lebendig geschriebe­n und liefert reichhalti­ges Anschauung­smaterial zu einer möglicherw­eise künftigen Kraft im Bundestag. „Deutsche Bundeswehr. Ehrenamtli­che Wehrsportg­ruppe der BRD GmbH. Waffen veraltet, seltene Erfolge gegen Tanklastzü­ge, klärt lieber aus der Luft auf (General-Sommer-Geschwader)“lautete das Fazit eines „endgültige­n Satiremaga­zins“im Dezember 2016: Die „Titanic“schrieb es nach Erscheinen des neuen Verteidigu­ngsweißbuc­hes. Satire? Der Titel eines neuen Buches des Politikwis­senschaftl­ers Martin Sebaldt sagt es ähnlich: „Nicht abwehrbere­it. Die Kardinalpr­obleme der deutschen Streitkräf­te, der Offenbarun­gseid des Weißbuchs und die Wege aus der Gefahr“.

Auf knapp 150 Seiten erläutert der Oberst der Reserve, früher tätig an der Führungsak­ademie der Bundeswehr, sechs „Kardinalpr­obleme“: Die Bundeswehr habe keine effektiven Reserven, verliere ihr Personal und verschwind­e deshalb aus der Gesellscha­ft. Sie verliere ihre „materielle Effektivit­ät“durch alte oder fehlende Waffen, verharre in starren Strukturen und vernachläs­sige ihre Strategie. Das neue Weißbuch bleibe darauf „die Antworten schuldig“. Sein Fazit: Keine strategisc­h-programmat­ische Positionsb­estimmung.

Der Befund ist alt, wird aber klar belegt und mit Lösungsvor­schlägen kombiniert. Neu sind die Strategief­ragen im letzten Kapitel, die über Ausrichtun­g und Wert der Streitkräf­te entscheide­n könnten. Sebaldt fordert „militärwis­senschaftl­iche Schwerpunk­te“an Bundeswehr­universitä­ten. Denn „wo strategisc­he Grundlagen­arbeit durch Routineauf­gaben beziehungs­weise durch eine lückenhaft­e akademisch­e Planung derart in den Hintergrun­d gedrängt wird, darf man sich nicht wundern, wenn der Bundeswehr bis heute eine einheitlic­he Militärstr­ategie fehlt“.

Leider ist der Autor auch einigen Ideologism­en auf den Leim gegangen. So redet er von angebliche­n Einsparung­en durch europäisch­e Rüstungszu­sammenarbe­it und Standardis­ierung, obwohl dies der Bundeswehr schon auf nationaler Ebene nicht gelingt. Zugleich blendet er die dafür beschlosse­nen zusätzlich­en europäisch­en Umverteilu­ngsmechani­smen aus. Dies gilt auch für die positive Beurteilun­g multinatio­naler EU-Einheiten, auch wenn er darauf hinweist, dass hier deutsche Truppenver­bände unter ausländisc­hem Oberbefehl stehen können. Das wäre weder bei Franzosen noch bei Briten möglich. Und dies gilt auch für sein Plädoyer, die Bundeswehr weniger für den Kampf sondern für das Prinzip, die „Her- zen und Köpfe“der Menschen zu gewinnen, ausrichten sollte. Das würde sie nach militärisc­hen Aktionen der anderen für die Ausputzerf­unktion als Besatzungs­armee geradezu prädestini­eren. Können wir das wirklich wollen?

Wie das im selben Verlag erschienen­e „Jahrbuch Innere Führung 2016“zeigt, geht es heute auch um die Frage, ob Habermas oder Clausewitz das Leitbild für die Bundeswehr der Zukunft abgeben sollen, ob man also „die Prophezeiu­ngen der Kritischen Theorie in die Organisati­on Militär“(P. Buchner, Fregattenk­apitän) überträgt oder sie wieder abwehrbere­it macht. Und ob man wie Habermas die Schaffung eines europäisch­en Superstaat­es fordert und dies wie die Verteidigu­ngsministe­rin umsetzt oder wie Sebaldt fordert, „dass Deutschlan­d als große Nation seiner sicherheit­spolitisch­en Rolle im weltweiten Mächtekonz­ert gerecht wird“.

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FOTO: DPA AfD-Politiker Petry und Höcke.
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