Rheinische Post Krefeld Kempen
Die „ganze Geschichte“über die AfD Das schiefe Leitbild der Bundeswehr
Justus Bender liefert ein differenziertes Bild der Aufsteiger-Partei.
Martin Sebaldt erklärt die Armee für „nicht abwehrbereit“.
Der Begriff des Populismus, zumeist mit dem Präfix „rechts“, ist in aller Munde. Die 2013 ins Leben gerufene Alternative für Deutschland (AfD), auf die ein solches Etikett passt, zog seit der Bundestagswahl 2013 in 13 Landesparlamente ein, davon sieben Mal mit zweistelligen Ergebnissen. Auch wenn die Resultate 2017 nur unterdurchschnittlich ausfielen, muss diesen Herbst mit einer parlamentarischen Repräsentanz der weder koalitionswilligen noch -fähigen Partei im Bund gerechnet werden.
Justus Bender von der FAZ hat die Partei von Anfang an intensiv beobachtet, und so erhält der Leser einen gut recherchierten Einblick in das Innenleben der in sich zerstrittenen Kraft. Obwohl er Kritiker der Partei ist, verfällt er nicht in einen diffamierenden Antifa-Jargon. Für Bender ist die AfD eine „rechtspopulistische Partei mit radikalen Strömungen“. Die Urteile sind eine Nuance härter als die der „Spiegel“-Autorin Melanie Ammann in ihrem Buch. Beide halten die Partei auf absehbare Zeit für etabliert.
Die subjektive „Ich“-Sicht Benders stört nicht; und seine offene Haltung kommt sympathisch daher: „Wenn mich jemand fragt, wie die AfD so ist, so weiß ich manchmal nicht, was ich erzählen soll. Die bösen oder die netten Anekdoten. Am besten erzähle ich immer die ganze Geschichte.“Die „ganze Geschichte“ist meistens negativ. Diese Perspektive steht Bender zu. Was hingegen missfällt: Für ihn ist Götz Kubitschek, dem Selbstverständnis nach ein Protagonist der neuen Rechten, fälschlicherweise ein „AfD-Vordenker“, obwohl dessen Aufnahmegesuch abgelehnt wurde. Dass Kubitschek das in seiner vollmundigen Art so sieht, mag sein, doch dürfte ihm ein versierter Journalist nicht auf den Leim gehen.
Für Bender sind die Repräsentanten der AfD „Anti-68er“. Sie wollen zurück in die 50er Jahre. In der Tat sind es weniger ökonomische Grün- de, die den Aufstieg der Partei erklären. Doch könnte die Gesellschaft die AfD nicht mehr verändern als diese die Gesellschaft verändert? Der Autor zweifelt daran und lässt Parallelen zu den Grünen, einer früheren „Alternative“, nicht gelten.
Benders Empfehlung lautet, AfDPolitiker in die Enge zu treiben, indem man sie fragt, wie die Partei ihre Ziele erreichen will. Wer eine politische Kraft als populistisch begreift, hat damit noch kein Urteil über einen möglichen Extremismus gefällt. Populismus ist ein Politikstil, Extremismus eine inhaltliche Position, die den demokratischen Verfassungsstaat aus den Angeln zu heben gedenkt. Um diese Frage drückt sich der Autor etwas. Gleichwohl: Das Buch mit der Kritik am plebiszitären Politikverständnis der auf das Internet fixierten neuen Partei ist lebendig geschrieben und liefert reichhaltiges Anschauungsmaterial zu einer möglicherweise künftigen Kraft im Bundestag. „Deutsche Bundeswehr. Ehrenamtliche Wehrsportgruppe der BRD GmbH. Waffen veraltet, seltene Erfolge gegen Tanklastzüge, klärt lieber aus der Luft auf (General-Sommer-Geschwader)“lautete das Fazit eines „endgültigen Satiremagazins“im Dezember 2016: Die „Titanic“schrieb es nach Erscheinen des neuen Verteidigungsweißbuches. Satire? Der Titel eines neuen Buches des Politikwissenschaftlers Martin Sebaldt sagt es ähnlich: „Nicht abwehrbereit. Die Kardinalprobleme der deutschen Streitkräfte, der Offenbarungseid des Weißbuchs und die Wege aus der Gefahr“.
Auf knapp 150 Seiten erläutert der Oberst der Reserve, früher tätig an der Führungsakademie der Bundeswehr, sechs „Kardinalprobleme“: Die Bundeswehr habe keine effektiven Reserven, verliere ihr Personal und verschwinde deshalb aus der Gesellschaft. Sie verliere ihre „materielle Effektivität“durch alte oder fehlende Waffen, verharre in starren Strukturen und vernachlässige ihre Strategie. Das neue Weißbuch bleibe darauf „die Antworten schuldig“. Sein Fazit: Keine strategisch-programmatische Positionsbestimmung.
Der Befund ist alt, wird aber klar belegt und mit Lösungsvorschlägen kombiniert. Neu sind die Strategiefragen im letzten Kapitel, die über Ausrichtung und Wert der Streitkräfte entscheiden könnten. Sebaldt fordert „militärwissenschaftliche Schwerpunkte“an Bundeswehruniversitäten. Denn „wo strategische Grundlagenarbeit durch Routineaufgaben beziehungsweise durch eine lückenhafte akademische Planung derart in den Hintergrund gedrängt wird, darf man sich nicht wundern, wenn der Bundeswehr bis heute eine einheitliche Militärstrategie fehlt“.
Leider ist der Autor auch einigen Ideologismen auf den Leim gegangen. So redet er von angeblichen Einsparungen durch europäische Rüstungszusammenarbeit und Standardisierung, obwohl dies der Bundeswehr schon auf nationaler Ebene nicht gelingt. Zugleich blendet er die dafür beschlossenen zusätzlichen europäischen Umverteilungsmechanismen aus. Dies gilt auch für die positive Beurteilung multinationaler EU-Einheiten, auch wenn er darauf hinweist, dass hier deutsche Truppenverbände unter ausländischem Oberbefehl stehen können. Das wäre weder bei Franzosen noch bei Briten möglich. Und dies gilt auch für sein Plädoyer, die Bundeswehr weniger für den Kampf sondern für das Prinzip, die „Her- zen und Köpfe“der Menschen zu gewinnen, ausrichten sollte. Das würde sie nach militärischen Aktionen der anderen für die Ausputzerfunktion als Besatzungsarmee geradezu prädestinieren. Können wir das wirklich wollen?
Wie das im selben Verlag erschienene „Jahrbuch Innere Führung 2016“zeigt, geht es heute auch um die Frage, ob Habermas oder Clausewitz das Leitbild für die Bundeswehr der Zukunft abgeben sollen, ob man also „die Prophezeiungen der Kritischen Theorie in die Organisation Militär“(P. Buchner, Fregattenkapitän) überträgt oder sie wieder abwehrbereit macht. Und ob man wie Habermas die Schaffung eines europäischen Superstaates fordert und dies wie die Verteidigungsministerin umsetzt oder wie Sebaldt fordert, „dass Deutschland als große Nation seiner sicherheitspolitischen Rolle im weltweiten Mächtekonzert gerecht wird“.