Rheinische Post Krefeld Kempen

„Es wird eine Nach-Merkel-Zeit geben“

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Im Doppelinte­rview sprechen der Staatssekr­etär und der Ministerpr­äsident über die Zeit nach Merkel und über schwarz-gelb-grüne Projekte.

KIEL Sie kennen sich seit ihrer Zeit bei der Jungen Union. Die Generation vor ihnen gründete den „Andenpakt“, um sich gegenseiti­g in höchste Ämter zu bugsieren. Jens Spahn (37) und Daniel Günther (44) beteuerten, keinen neuen „Fördepakt“zu schmieden, während sie sich in Kiel trafen. Um ihre Zukunft und die der CDU ging es dennoch. Von der Saar kam die Kunde, Jamaika, also Schwarz-Grün-Gelb, klappt nicht. Was kommt von der Förde? GÜNTHER Klappt. Warum? GÜNTHER Manchmal gelingt es beim zweiten Mal besser. Das wichtigste Fundament ist doch, dass die Leute miteinande­r klarkommen. Hier passen die Typen. Und in unserem Koalitions­vertrag finden sich alle Parteien wieder. Das wird fünf Jahre halten – mindestens. Sehen Sie auch bei Jamaika im Bund Typen, die zusammen passen? SPAHN Aber sicher. Und wenn es rechnerisc­h diese Mehrheit gibt, sollte sie genutzt werden. Eine neue große Koalition sollte es jedenfalls auf keinen Fall werden. Das wäre nicht gut für das politische Klima im Land. Außerdem gibt es keine gemeinsame­n Projekte, die Luft ist einfach raus. Die SPD spielt ja schon seit Monaten Opposition und Regierung gleichzeit­ig. Da ist es doch konsequent, sich gleich für die Opposition zu entscheide­n. Außerdem haben Gabriel und Schulz dann genug Zeit, mal ihr Verhältnis zu klären. Derzeit ist man angesichts der Dauerpräse­nz von Sigmar Gabriel ganz verwirrt, wer denn nun eigentlich SPD-Vorsitzend­er und wer Kanzlerkan­didat ist. Jamaika jedenfalls ist eine ernstzuneh­mende Option, wenn es mit der FDP zusammen nicht reicht. Mit der FDP? Sie organisier­ten doch den Schwarz-Grün-Gesprächsk­reis! SPAHN Mit der FDP haben wir einfach die größten Schnittmen­gen – politisch und kulturell. Die Grünen würden auch immer mit der SPD koalieren, wenn es reichte. 2013 ist ein schwarz-grünes Bündnis auf den letzten Metern gescheiter­t, obwohl es möglich gewesen wäre. Mit unseren Gesprächen wollen wir verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Auf der anderen Seite sehen wir gerade in NRW, dass bürgerlich­e Mehrheiten wieder möglich sind. Bekommen wir nach der schwarzgel­ben, der rot-grünen nun die Jamaika-Welle in Deutschlan­d? GÜNTHER Wir sollten SchleswigH­olstein nicht überhöhen. Aber ich glaube, dass die Zeiten der Blockbildu­ngen in Deutschlan­d vorbei sind. Das ist doch positiv, dass so viele Kombinatio­nen möglich geworden sind. Die Union ist nicht mehr gefangen in der großen Koalition. Ich wünsche mir auch Zweier-Bündnisse, aber wir werden uns an DreierKons­tellatione­n gewöhnen müssen. Jamaika ist in der Verbindung von Ökologie und Ökonomie ein spannendes Zukunftspr­ojekt. Rufen viele an, um zu erfahren, wie es läuft? GÜNTHER Ja. Angela Merkel auch? GÜNTHER Ja, sie hat sich sehr für den Verlauf der Koalitions­verhandlun­gen interessie­rt. Das ist natürlich auch für die Bundespart­ei wichtig, wie so etwas funktionie­rt. Wo steckt in Ihrem Koalitions­vertrag eine Blaupause für den Bund? GÜNTHER Ich bin davon überzeugt, dass es klappt, wenn man jeder Partei Projekte gibt, hinter denen sie aus voller Überzeugun­g stehen. Im Bund wird es gelingen, wenn wir davon abgehen, uns in allen Bereichen nur auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner verständig­en zu wollen. Jede Partei braucht ihre kompletten Projekte – das ist die Philosophi­e hinter Jamaika. Im Bund kriegt also die FDP die 30Milliard­en-Steuerleic­hterung, kriegen die Grünen den Kohle-Sofortauss­tieg... SPAHN … und wir? Das wäre die Frage! SPAHN Mal andersrum gedacht: Zu den größten Herausford­erungen der nächsten Jahre gehört das Einwanderu­ngsrecht. Da mussten alle Seiten bereits einige politische Glaubensüb­erzeugunge­n über Bord werfen. Wir wollen mehr qualifizie­rte Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt und keine mehr in die Sozialhilf­e. Dafür müssen wir den Missbrauch des Asylrechts durch illegale Migranten verhindern und unsere EU-Grenze endlich sichern. Dabei geht es an den Kern unseres Selbstvers­tändnisses. Das wäre ein spannendes Projekt für Jamaika, denn es könnte eine der großen gesellscha­ftlichen Konflikte endlich befrieden. Sie sind 44 und 37 – regieren Junge anders? GÜNTHER Auf jeden Fall! Ich wollte mich immer abgrenzen von typischen Mechanisme­n. Wir müssen aufhören, inhaltlich­e Kritik sofort zu personalis­ieren. Und wer reflexhaft alles schlecht redet, was die andere Seite macht, kommt damit nicht mehr an bei den Leuten. Junge bringen frischen Wind, den die Politik braucht. Ich hab mir die CDU immer so vorgestell­t, dass auch mal kontrovers diskutiert wird, wie Jens Spahn das macht. Das tut der CDU gut, und das muss noch stärker werden. SPAHN Daniel und mich eint die Freude an der Debatte. Die Gesellscha­ft muss lernen, Kontrovers­en auszutrage­n und auszuhalte­n. Ver- schiedene Generation­en haben verschiede­ne Wahrnehmun­gen. Was uns an Werten in der CDU zusammenbr­ingt, das hat einen früher vielleicht auf dem Schulhof zum Außenseite­r gemacht. Die heutige Jugend sieht das ganz anders, die ist bürgerlich­er denn je. Das müssen wir noch stärker herausarbe­iten. Und Daniel Günther zeigt hier in Kiel, wie man scheinbar Unvereinba­res zusammenbr­ingt. Das gefällt mir. Seit 2000 hat sich die CDU unter Merkel verändert. Geht das zu Ende? SPAHN Veränderun­g wird es immer geben, das ist das Wesen des Menschen. Fortschrit­t ist und bleibt das, wofür wir stehen. Das „Wie“ist entscheide­nd. Wir wollen Veränderun­gen so gestalten, dass sie erträglich werden und unsere Werte dabei erhalten bleiben. Wenn zwei Menschen dauerhaft füreinande­r einstehen, war, ist und bleibt das für uns ein entscheide­nder Wert menschlich­en Zusammenle­bens – auch wenn Ehe heute anders aussieht als 1970. Die Linken und die rechten Spalter versuchen, den Menschen ihrer Ideologie anzupassen. Wir schauen auf den Menschen, seine Bedürfniss­e und seine Talente. GÜNTHER Manchmal ist die CDU zu langsam. Wir hätten viel früher Homosexuel­len entgegenko­mmen müssen, wenn die nach einem Modell leben wollen, für das die CDU immer geworben hat. Meine Erwartung an die CDU ist, gesellscha­ftspolitis­ch eher liberal zu sein und dafür in der Wirtschaft­s- und Sicherheit­spolitik das Konservati­ve zu bewahren. Kriegt die CDU den Generation­enwechsel besser hin als die CSU? SPAHN Das steht doch bei uns nicht an. Oder habe ich was verpasst? Na, wenn Angela Merkel nun triumphal wiedergewä­hlt wird, ist dann automatisc­h klar, dass sie 2021 wieder antritt oder muss man sich bei- zeiten doch einmal Gedanken machen? SPAHN Wir wollen erst einmal die Bundestags­wahl 2017 gewinnen und dann drei Wochen später die Landtagswa­hl in Niedersach­sen. Wir sehen doch gerade immer deutlicher: Die CDU ist mehr als eine Person, wir sind ein Team. Die Ministerpr­äsidenten, die Landesvors­itzenden, viele Fleißige mit Gestaltung­sanspruch in den Parlaments­fraktionen. Ich sehe das gelassen. Wissen Sie, 1998 hätte doch kein Mensch geahnt, dass 2005 Angela Merkel Kanzlerin ist. GÜNTHER Es wird irgendwann eine Nach-Merkel-Zeit geben. Wir wissen nicht wann. Aber wir sehen, dass sich – historisch untypisch – während einer CDU-Kanzlersch­aft eine neue Riege von Ministerpr­äsidenten aufbaut, die zusammen mit vielen weiteren jüngeren Leuten in Regierungs­verantwort­ung eine Fülle von Potenzial für eine Nach-MerkelÄra garantiere­n. Gehört Daniel Günther zu den potenziell­en Nachfolger­n, Herr Spahn? SPAHN (lacht) Natürlich gehört ein Ministerpr­äsident qua Amt zur Führungsri­ege der Union, zumal dann, wenn er wie Daniel Günther mit einer neuen Koalition Impulse für die Zukunft setzt. Vor allem geht es aber an der Schwelle zum dritten Jahrzehnt im neuen Jahrtausen­d darum, dass wir uns die richtigen Fragen stellen: Wie schaffen wir es, dass wir in zehn Jahren noch wirtschaft­lich erfolgreic­h sind? Wie halten wir die Gesellscha­ft, wie halten wir die Europäisch­e Union zusammen? Mit welcher prägenden Kultur, welcher Leitkultur? Es geht um die richtigen Themen, nicht um Organigram­me. Gehört Jens Spahn zu den potenziell­en Nachfolger­n, Herr Günther? GÜNTHER Wir tun uns beide keinen Gefallen, wenn wir uns gegenseiti­g ins Gespräch bringen. Natürlich zählen wir beide zur Führungsre­serve der CDU. Jens Spahn gehört doch zu den wahrnehmba­rsten CDU-Politikern. Er macht Wahlkampf in allen Bundesländ­ern und steht dort für die Bundes-CDU. Das ist eine positive Figur. Aber es ist doch klar, dass wir eine erfolgreic­he Kanzlerin haben, die Deutschlan­d noch viele Jahre regieren soll. Müssen Sie – mit Blick auf die Förde – in der Diesel-Debatte bei den Schiffen nachlegen? GÜNTHER Die Reedereien arbeiten daran. Natürlich kann die Innovation in der Antriebste­chniken noch schneller kommen. Ich hoffe, die machen das besser als die Verantwort­lichen in der Autoindust­rie. Da muss an vielen Schrauben gedreht werden. Es darf nicht so bleiben, dass wegen der EEG-Umlage es für die Schiffe zu teuer ist, im Hafen Strom von Land zu beziehen und sie deshalb weiter auf Dieselöl als Treibstoff setzen. Hat sich die Politik vor den Karren der Autoindust­rie spannen lassen? SPAHN Es ist doch klar, dass sich die Regierung für Deutschlan­ds wichtigste Industrie einsetzt. Alles andere wäre auch sehr komisch, denn davon hängt unser aller Wohlstand maßgeblich ab. Und wenn da nun der Vorwurf des Betruges im Raum steht, dann werden Behörden und Staatsanwa­ltschaft das aufklären. Daneben geht es aber auch um Moral und Anstand. Wie kann ein Manager mit Millioneng­ehalt, unter dessen Führung nachweisli­ch in den USA betrogen wurde, dann auch dreist seinen Bonus einfordern? Manche Äußerung lässt zweifeln, ob schon alle Automanage­r verstanden haben, worum es eigentlich geht. Das Ansehen ihrer Unternehme­n, ihrer Innovation­skraft und ihrer Autos in Deutschlan­d und der Welt steht auf dem Spiel. GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTOS: MAYNTZ ?? Junge CDU-Politiker in Regierungs­verantwort­ung: Jens Spahn (37, links) als Staatssekr­etär im Bundesfina­nzminister­ium und Daniel Günther (44) als Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein, stellten sich in Kiel zum Doppelinte­rview.
FOTOS: MAYNTZ Junge CDU-Politiker in Regierungs­verantwort­ung: Jens Spahn (37, links) als Staatssekr­etär im Bundesfina­nzminister­ium und Daniel Günther (44) als Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein, stellten sich in Kiel zum Doppelinte­rview.
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