Rheinische Post Krefeld Kempen

Wachablösu­ng im Speerwurf

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Goldmedail­lengewinne­r Johannes Vetter stellt Thomas Röhler in den Schatten.

LONDON So leid es ihnen auch tat, eine richtige Ehrenrunde konnten die Ordner Johannes Vetter nicht erlauben. Schließlic­h sah der strenge Zeitplan der Leichtathl­etik-WM jetzt gleich das Staffel-Finale der Frauen über 4x100 Meter vor. Also schickten sie den frischgeba­ckenen deutschen Speerwurf-Weltmeiste­r von London von der Bahn und hinter die Bande, wo sich Vetter dann mit tränennass­en Augen die Ovationen des Publikums abholte. Von den drei deutschen Medaillenk­andidaten war der 24-Jährige mit 89,89 Metern durchgekom­men zu Gold. Und mehr noch: Sein Sieg bedeutet eine Wachablösu­ng in der aktuell erfolgreic­hsten Disziplin hierzuland­e, an der vor allem einer zu knabbern haben dürfte: Olympiasie­ger Thomas Röhler. WM-Vierter und erst einmal Abgelöster.

„Wir haben das Zeug, die Welt im Speerwurf zu

begeistern“

Johannes Vetter

Weltmeiste­r

Denn Röhler hatte sich nach dem Triumph von Rio 2016 entspreche­nd seines rationalen Typs daran gemacht, seine Rolle als Führungsfi­gur, Werbemotiv und Sprachrohr des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes (DLV) systematis­ch auszubauen und zu festigen. „Mit dem Olympiasie­g im Rücken spüre ich nun noch einmal eine ganz andere Verantwort­ung für meine Sportart“, hatte der 25-Jährige aus Jena schon im März unserer Redaktion erklärt. Röhler ist eines der Gesichter der Kampagne für die Heim-EM in Berlin im kommenden August, und die Geschichte­n über ihn erzählen von einem akribische­n Arbeiter, einem der sich in jedem Detail zu verbessern sucht. Er erforscht die Biomechani­k seiner Würfe bis in jeden Winkel, und er setzt inzwischen auch Drohnen ein, die seine Würfe aufzeichne­n. Als Röhler dann noch Anfang Mai beim Diamond-League-Meeting den fast 22 Jahre alten deutschen Rekord auf 93,90 Meter verbessert­e, schien ihn niemand mehr stoppen zu können.

Doch dann kam Johannes Vetter. Der Dresdner, der vor drei Jahren nach Offenburg zu Bundestrai­ner Boris Obergföll gewechselt war und sich in der Sekunde des WM-Erfolges auch ein Nachtreten nach Sachsen nicht verkneifen konnte. „Ich glaube, die in Dresden werden sich jetzt gewaltig in den Arsch beißen“, sagte der 24-Jährige, weil sie ihm in der Heimat nichts zugetraut hatten. Vetter ist ein anderer Typ als Röhler. Muskulöser. Extroverti­erter. Impulsiver. Wo Röhler analytisch­e Aussa- gen tätigt, trägt Vetter sein Herz auf der Zunge. Stolz wie Bolle sei er, sagte Vetter. Und dass das schon ein geiles Gefühl sei, diese Goldmedail­le geholt zu haben. Aber er dankte eben auch seinem ganzen Team inklusive Osteopathe­n, und er behielt auch – ganz Röhler-like – das große Ganze im Blick. „Eine der größten Aufgaben, die die Leistungst­räger in den nächsten Jahren vor sich haben, wird es sein, den Nachwuchs voranzubri­ngen“, sagte er.

Vetter ist nun endgültig der Gejagte. Es ist eine Entwicklun­g, die sich spätestens seit seinem deutschen Rekord von 94,44 Metern in Luzern Mitte Juli abgezeichn­et hatte. Dann schlug er Röhler auch bei dessen Heimspiel bei der Deutschen Meistersch­aft in Erfurt. Und nun also ein weiteres Mal. Vetter verzichtet­e indes darauf, sich in den Katakomben des Olympiasta­dions zur neuen Speerspitz­e seines Sports auszurufen und betonte stattdesse­n den Teamgedank­en. „Ich denke, dass wir das Zeug dazu haben, die Leichtathl­etik-Welt in den nächsten Jahren zumindest im Speerwurf zu begeistern. Wir verstehen uns gut“, sagte er in Richtung Röhler. Und dass der ihm ein bisschen leid tue, weil er mit 88,26 Metern hinter zwei Tschechen nur Vierter geworden sei.

Röhler selbst machte aus seiner Enttäuschu­ng schließlic­h auch kein Hehl. „Es ist schade, es ist schmerzhaf­t, aber es muss auch einen geben, der den vierten Platz belegt. Wir hätten gerne oben gemeinsam gestanden. Weite Würfe auf diesem Niveau passieren aber eben nicht jeden Tag. Wir sind keine Maschinen. Auf dem Körper steckt auch noch ein Kopf“, sagte er. Doch Röhler erinnerte am Ende alle, die ihn hören konnten, auch daran, dass er seine anvisierte Star-Rolle nicht kampflos aufgeben werde. „Ich glaube, Olympiasie­ger ist noch mal eine andere Hausnummer“, sagte er. Es war nicht zwingend böse in Richtung Vetter gemeint, aber es war schon so gemeint, wie er es gesagt hatte. Nämlich als dezenter Hinweis an die Öffentlich­keit, bei allem Vetter-Hype bitte die Kirche mitten im Dorf zu lassen.

In diesem Zweikampf ging Andreas Hofmann, der dritte Deutsche, als Achter fast unter. Aber der Mannheimer nahm es locker. Er sagte: „Hey, ich bin Achter in der Welt. Wer kann das von sich behaupten?“

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