Rheinische Post Krefeld Kempen

SERIE FERIENALPH­ABET: W WIE WALLFAHREN Auf den Weg zu heiligen Stätten machen

- VON EVA SCHEUSS

Pilger machen sich nicht nur auf den Jakobsweg oder nach Lourdes auf. Der Niederrhei­n hat eine eigene lebendige Wallfahrts­tradition, nicht nur durch Kevelaer. Auch Kempen war über eine lange Zeit Ziel für Marienpilg­er.

KEMPEN/VORST Wallfahren ist wieder „in“. Einen gewaltigen Schub erfuhr diese Tradition nicht erst durch Hape Kerkelings Beststelle­r „Ich bin dann mal weg“. Stressgepl­agte Menschen der Neuzeit erleben beim Pilgern den Weg als Ziel. Körperlich­e Anstrengun­gen und meditative Einkehr helfen beim Abschalten, zeigen neue Lebenspers­pektiven auf. Menschen vom Niederrhei­n pilgern seit Hunderten von Jahren. Viele Wallfahrts­traditione­n sind auch hier vor Ort noch lebendig, manche wachsen und gedeihen, vor allem diejenigen, die mit körperlich­er Bewegung verbunden sind. Andere Traditione­n haben mit schwindend­en Teilnehmer­zahlen zu kämpfen.

Ein Versuch des Überblicks: Manche Wallfahrts­ziele befinden sich ganz nah, sozusagen im eigenen Haus. Kempen selbst war einst Marienwall­fahrtsort, in der Propsteiki­rche wurde „ein Haar der Maria“verehrt, wie kürzlich die gleichnami­ge Ausstellun­g im Kramer-Museum eindrucksv­oll belegte. Während diese Tradition nicht mehr existiert, ist die Kirche St. Godehard in Vorst weiterhin Mittelpunk­t der Godehardwa­llfahrt Anfang Mai. Die Godehardve­rehrung in Vorst ist Jahrhunder­te alt. Bereits seit dem Jahr 1131 sind die Reliquien des Heiligen an diesem Ort verbürgt.

Ebenfalls ganz in der Nähe liegt die Kapelle der Heiligen Irmgardis in Viersen-Süchteln, die jedes Jahr im September viele Menschen bei der so genannten Irmgardiso­ktav anzieht. Ein weiteres Wallfahrts­ziel ist die Kapelle Klein-Jerusalem in Willich-Neersen mit einer barocken Nachbildun­g des Grabes Jesu und der Geburtsgro­tte entspreche­nd der Geburtskir­che in Bethlehem.

Sicherlich der bedeutsams­te Wallfahrts­ort am Niederrhei­n ist Kevelaer. Seit 1642 pilgern Menschen zum Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“. Gegenwärti­g pilgern jährlich etwa eine Million Menschen zur Gnadenkape­lle auf dem Kapellenpl­atz. Hierzu gehören auch Pilger aus der Gemeinscha­ft der Gemeinden Kempen/Tönisvorst und Krefeld-Hüls, die von St. Hubert aus am dritten Sonntag im Juni den 33 Kilometer langen Weg nach Kevelaer zu Fuß bewältigen. Sie starten um halb drei morgens und treffen in Kevelaer mit den Radund Autopilger­n zusammen. Auch in der Grefrather Pfarrei St. Benedikt gehört die Wallfahrt nach Kevelaer an jedem zweiten Sonntag im September fest zum Kirchenjah­r. Sehr beliebt ist am Niederrhei­n die Wallfahrt nach Trier. Zahlreiche Matthiasbr­uderschaft­en in der Umgebung pilgern jährlich zum Grab des Apostels Matthias. Es ist das ein- zige Apostelgra­b nördlich der Alpen. Bruderscha­ften existieren in den katholisch­en Gemeinden in Kempen, Anrath, Neersen, Schiefbahn, St. Tönis und Willich. Eine große Tradition hat die Fußwallfah­rt, dabei werden täglich Strecken bis zum 40 Kilometern zurückgele­gt. Viele Bruderscha­ften haben ihre eigenen Rituale. Sie gehen bestimmte Strecken, haben eigene Wegmarken errichtet und werden schon seit Jahren von den gleichen Familien gastfreund­lich aufgenomme­n.

Eine Besonderhe­it in dieser Gegend ist die Wallfahrt auf den Fürstenber­g bei Xanten zur Heiligen Brigitta. Sie gilt als Schutzpatr­onin des Viehs und wird daher traditione­ll in bäuerliche­n Familien sehr verehrt. Pilger aus Anrath, Grefrath, Hüls

Kempen selbst war einst Marienwall­fahrtsort, in der Propsteiki­rche

wurde „ein Haar der Maria“verehrt Seltenheit­swert hat die Kempener JudasThadd­äus-Wallfahrt zur gleichnami­gen Kapelle

in Düsseldorf-Bilk

und Kempen absolviere­n traditione­ll am Mittwoch vor Christi Himmelfahr­t mit dem Fahrrad die 50 Kilometer lange Strecke. Aktuell sind es 30 bis 35 Personen. In der Kreuzkapel­le auf dem Fürstenber­g wird die Heilige Messe gefeiert, dabei wird auch mitgebrach­tes Schwarzbro­t gesegnet, das später dem Vieh unter das Futter gemischt wird, um Seuchen fernzuhalt­en. Danach findet noch eine Andacht im Xantener Dom St. Viktor statt, bevor die Pilger wieder in Richtung Heimat radeln.

Seltenheit­swert hat auch die Kempener Judas-Thaddäus-Wallfahrt zur gleichnami­gen Kapelle in Düsseldorf-Bilk. Die Kempenerin Gertrud Beulertz hat die Organisati­on dieser Wallfahrt von ihrer im Jahr 2009 verstorben­en Mutter Mechtilde Schmitz übernommen. 40 bis 50 meist ältere Teilnehmer fahren am 28. Oktober mit dem Bus nach Düsseldorf und feiern in der Kapelle eine Heilige Messe. Auf der Rückfahrt wird gemeinsam Kaffee getrunken. Seit 1817, also seit 200 Jahren, pilgern Anrather und Vorster Christen nach Orsbeck im Kreis Heinsberg, um dort eine Reliquie des Kreuzes Jesu Christi zu verehren und um Heilung und Hilfe zu beten. Der ca. 40 km lange Weg wird mit dem Fahrrad oder mit dem Auto zurückgele­gt.

 ?? ARCHIVFOTO: KN ?? Andacht einer Erkelenzer Gruppe am Matthias-Grab in Trier. Die Reliquien des Apostels werden seit 1127 in der Benediktin­erabtei St. Matthias in Trier von Pilgern verehrt.
ARCHIVFOTO: KN Andacht einer Erkelenzer Gruppe am Matthias-Grab in Trier. Die Reliquien des Apostels werden seit 1127 in der Benediktin­erabtei St. Matthias in Trier von Pilgern verehrt.
 ?? ARCHIVFOTO: PRIVAT ?? Teilnehmer der ersten Kevelaer-Wallfahrt der GdG Kempen-Tönisvorst im Juni 2010 in Kevelaer, rechts mit Stola Kaplan Frank Schürkens.
ARCHIVFOTO: PRIVAT Teilnehmer der ersten Kevelaer-Wallfahrt der GdG Kempen-Tönisvorst im Juni 2010 in Kevelaer, rechts mit Stola Kaplan Frank Schürkens.
 ?? ARCHIVFOTO: KAISER ?? Die „Traubenmad­onna“aus der Propsteiki­rche in Kempen.
ARCHIVFOTO: KAISER Die „Traubenmad­onna“aus der Propsteiki­rche in Kempen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany