Rheinische Post Krefeld Kempen
Heilende Wände
on getrunken; auf spielerische Weise haben sie ihre Muskelfunktionsketten gestärkt, den Schultergürtel, den Rücken, die Arme und Beine, die Finger – und den Herzmuskel auch: Klettern ist anstrengend. Die Schwerkraft und das eigene Gewicht werden an der Kletterwand ja mit einem muskulären Gesamtprogramm überwunden, das umfangreicher ist als jedes Fitnessgerät. Zugleich haben Emily und Marlene sich und den Körper im dreidimensionalen Raum wahrgenommen; sie haben ausgetestet, was an der Wand nur mühsam geht und was leicht.
Kranke können von den Anforderungen der Kletterwand im Sinne einer Rehabilitation profitieren. Schon viele Kinder und Jugendliche leiden an Haltungsschäden, die sie – der typische Teufelskreis – in Bewegungslosigkeit und Apathie treiben. Die Ärzte der psychosomatischen Klinik in Boppard schicken alle ihre Patienten in eine Turnhalle mit Kletterwand. In den anschließenden Gesprächen berichten die Patienten übereinstimmend, wie gut ihnen das getan habe; ihre Körperwahrnehmung habe sich gefestigt. Bei sogenannten Körperschema- oder Essstörungen ist der Nutzen riesig.
Sogar die Alten sind an der Wand gut aufgehoben, wenn es bei ihnen beispielsweise mit dem Gleichgewichtssinn hapert. Auch bei ihnen wird die Orientierung im Raum geschult, die Kraft in den Extremitäten erhöht, die Ökonomie der Bewegungen geschult. Dazu muss man nicht zehn Meter hoch hinaus. Zwei Meter über Normalnull sind schon eine Menge, wenn man das vorher nie gemacht hat.
Emily und Marlene sind sich einig, dass sie wieder in die Kletterkirche wollen. Die ärztliche Weisheit, dass das Besteigen einer Wand auch im Flachland gut ist, darf ihnen vorerst egal sein. Sie rasen die Wände rauf und betreiben Ganzkörpergymnastik. Runter kommen sie immer – am Seil per Flaschenzug.