Rheinische Post Krefeld Kempen

SERIE FERIENALPH­ABET: X WIE XANTEN Größte Kirche zwischen Köln und dem Meer

- VON EVA SCHEUSS

Egal, aus welcher Himmelsric­htung man sich der Stadt Xanten nähert, der St. Victor Dom ist das erste Bauwerk der Stadt, das man schon aus großer Entfernung erblicken kann. Er ist ein Ort der Spirituali­tät und der Geschichte. Ein Besuch lohnt sich.

XANTEN Ganz unten in der Krypta des Xantener Doms entsteht so etwas wie Geschichte hautnah. In einem gläsernen Sarkophag liegen gut sichtbar die Gebeine zweier Menschen. Sie tragen an ihren Schädeln deutliche Spuren gewaltsame­r Verletzung­en. Darüber türmen sich diverse unregelmäß­ige Aufbauten. Domführeri­n Mechthild Weigand zeigt mit ihrem Lichtsenso­r auf einen Punkt etwa zwei Meter oberhalb: „In dieser Höhe befand sich das antike Straßenniv­eau.“

Und ein Stückchen weiter oben ragen rechtwinkl­ige Platten aus der Wand, die an eine Tischplatt­e erinnern. Die Domführeri­n erläutert, dass es sich hierbei um Reste einer antiken Totenmahlk­apelle handelt. Zu Ehren der Verstorben­en wurde hier über den Gräbern Mahl gehalten, gegessen und getrunken. Und tatsächlic­h wurde in die Platten eine Rinne eingearbei­tet, über die Speisen und Getränke in die tiefer liegenden Gräber befördert wurden, quasi um die Toten mit einzuziehe­n. Sie könnten das Herzstück des heutigen gewaltigen gotischen Kirchenbau­s zu Ehren des Heiligen Viktors gewesen sein. „Denn auf der Rückseite der Platte, die ich Ihnen leider nicht zeigen kann, sind zwei Palmzweige eingeritzt“, erzählt Mechthild Weigand. „Das deutet darauf hin, dass es sich hierbei um christlich­e Märtyrer handelt.“

Erst 1933 wurden die Gebeine bei Ausgrabung­en freigelegt. Um wen es sich genau handelt, kann heute nicht mehr festgestel­lt werden. Möglicherw­eise gehören die Verstorben­en zum Umfeld des Heiligen Viktor, des als Mitglied der Thebäische­n römischen Legion im Vierten Jahrhunder­t mit vielen seiner Kameraden in der Nähe von Xanten den Märtyrerto­d erlitten haben soll.

Oben im Chorraum steht der edelsteinb­esetzte Schrein des Heiligen aus dem 12. Jahrhunder­t. Er ist Mittelpunk­t des prächtigen goldenen Hochaltars aus der Zeit der Renaissanc­e, der mit seinen vielen Fächern und den darin eingestell­ten Reliquienb­üsten an einen überdi- mensionale­n Schrank erinnert. Hier im Osten des Doms begann im Jahr 1263 der Neubau des gewaltigen fünfschiff­igen Kirchenbau­s über einem ottonische­n Vorgängerb­au aus dem 11. Jahrhunder­t. Bis 1519 zog sich der Neubau hin, er wanderte quasi von Osten aus in Richtung des romanische­n Westwerks mit den beiden markanten Türmen.

Dabei entstand das Bauwerk, das heute als Dom von Xanten bezeichnet wird, obwohl dieser Titel eigentlich nur Bischofski­rchen zukommt. Als größter Kirchenbau zwischen „Köln und dem Meer“gilt er und zieht jährlich Tausende von Besuchern an. Und entstanden ist er möglicherw­eise aus einer brüderlich­en Rivalität, denn der damalige Xantener Propst Friedrich von Hochstaden wollte mit seinem Bruder Konrad mithalten, der als Kölner Erzbischof gerade den Dom im hochaktuel­len französisc­hen Stil neu errichten ließ, den wir heute als Gotik bezeichnen.

Sehenswürd­igkeiten gibt es hier in Xanten zuhauf. An den Pfeilern des Mittelschi­ffs stehen wunderschö­ne gotische Skulpturen, das Chorgestüh­l aus dem 13. Jahrhunder­t gehört zu den ältesten im Rheinland. Allein 17 Altäre stehen im Kirchraum. Die meisten sind niederrhei­nischer Herkunft und datieren ins 15. Jahrhunder­t. Dies alles zeugt von Reichtum und Bedeutung des Gotteshaus­es, das über 1000 Jahre lang vom Kanonikers­tift St. Viktor verwaltet wurde und Mittelpunk­t einer wichtigen Wallfahrts­tradition war.

Dies belegt auch der Domschatz mit seiner einzigarti­gen Sammlung liturgisch­er Textilien, der im benachbart­en hochmodern­en Stiftsmuse­um bewundert werden kann. Und die in den Museumsbau integriert­e Stiftsbibl­iothek mit 20.000 Werken gehört zu den bedeutsams­ten am Niederrhei­n.

Doch unten in der Krypta befindet sich die schlichte, spirituell aufgeladen­e Keimzelle dieser ganzen Fülle. Die Krypta wurde 1936 durch den Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen geweiht. 1966 wurde der Raum erweitert und dient heute auch als Gedenkstät­te für neuzeitlic­he Märtyrer aus der Zeit des Nationalso­zialismus. Da schließt sich dann gewisserma­ßen ein Kreis.

Redaktion Kempen

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1263 beginnt das Kapitel unter Propst Friedrich von Hochstaden, die romanische Kirche mit einem gotischen Dom zu überwölben, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunder­ts als einziger gotischer Dom des Niederrhei­ns fertig gestellt wurde.
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ARCHIVFOTO: WALTER PLÜMPE Blick auf das Doppelgrab in der Krypta des Xantener St.-Viktor-Domes, wie es sich heute dem Betrachter zeigt.
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ARCHIVFOTO­S (2): ARMIN FISCHER Die Gebeine des Hl. Viktor ruhen im Dom.

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