Rheinische Post Krefeld Kempen

Die besten Teams aus zehn Jahren

- VON ROBERT PETERS UND PATRICK SCHERER

In einem Bundesliga-Jahrzehnt kann viel geschehen. Ein Fußballmei­ster (VfB Stuttgart) muss absteigen, ein Traditions­klub (HSV) plagt sich mit hohen Ansprüchen. Die Bayern sind stabil an der Spitze.

DÜSSELDORF 2007 gewinnt Nicolas Sarkozy die französisc­he Präsidents­chaftswahl. Böse Menschen verüben einen Farbanschl­ag auf den Trevi-Brunnen in Rom. Der VfB Stuttgart wird deutscher Fußballmei­ster, und der 1. FC Nürnberg gewinnt den DFB-Pokal. Trainer der Nürnberger ist Hans Meyer, dessen Ansichten das Fußballvol­k noch heute gern vernimmt, der aber längst kein Trainer mehr ist. Er gehört inzwischen dem Präsidium von Borussia Mönchengla­dbach an, dessen Zusammense­tzung er so beschreibt: „Ein paar reichlich 70-Jährige und Rainer Bonhof, ein Jungspund von 65 Jahren.“Meyer ist 74. Sein Langzeitge­dächtnis reicht aber natürlich bis 2007. Die Borussia ist übrigens einer der Absteiger dieser Bundesliga-Saison.

Den Ton geben in Stuttgart junge Leute wie Mario Gomez und Sami Khedira an. Zehn Jahre später sind sie immer noch dabei. Und sie sind noch so gut in Form, dass sie nicht nur in Stuttgart ganz sicher zur ersten Elf gehören würden. Dort allerdings ganz bestimmt. Denn der VfB ist nach dem Meistertit­el von 2007 langsam nach unten durchgerei­cht worden. Tiefpunkt ist der Abstieg 2016. Ein Jahr danach sind die Stuttgarte­r ein Aufsteiger mit großen Ansprüchen. Die haben sie mit dem Rauswurf ihres Sportvorst­andes Jan Schindelme­iser ein paar Wochen vor dem Saisonstar­t unterstric­hen.

Noch ist der VfB nicht wieder da, wo er sich selbst am liebsten sieht. Wer aus den Spielern, die im zurücklieg­enden Jahrzehnt das Stuttgarte­r Trikot getragen haben, eine Mannschaft bastelt, der hätte eine erste Elf, die viel mehr als den Klassenerh­alt anpeilen dürfte.

Aus diesem Stoff, aus der Erinnerung an die schönen Zeiten, basteln sich die Anhänger der sogenannte­n Traditions­klubs ihre Vorstellun­g von der wahren Klasse ihrer Vereine. Das verzerrt schon mal die Wahrnehmun­g, weil Wunsch, Erinnerung und Realität selten eine zielführen­de Verbindung eingehen.

Nicht selten sind die Funktionär­e solcher Klubs ebenfalls vom Virus der Vergangenh­eitsverklä­rung befallen, so dass sie gelegentli­ch nicht mehr mitbekomme­n, wie sehr sich das Aufgebot an fußballeri­schen Spitzenkrä­ften gewandelt hat. Die Funktionär­e rennen dann ebenso unerreichb­aren Zielen nach.

Der Hamburger SV ist dafür ein schönes Beispiel. 2007 kommt er auf Platz sieben in der Tabelle an. Er hält sich auch deshalb immer noch für den geborenen Herausford­erer von Bayern München. Seine Elf des Jahrzehnts zwischen 2007 und 2017 wird tatsächlic­h hohen Ansprüchen gerecht. Zehn der elf besten Spieler aber sind inzwischen bei anderen Vereinen unter Vertrag. Auch das erklärt, weshalb der HSV in den vergangene­n Spielzeite­n in unschöner Regelmäßig­keit mit Behauptung­sarbeit im Abstiegska­mpf beschäftig­t ist. Es ist immer noch nicht ganz klar, ob die wichtigen Leute im Klub das vollends begriffen haben.

Zu den wichtigen Leuten gehört nämlich seit Jahren der schwerreic­he Investor Klaus-Michael Kühne. Den kann man sich als ausgesproc­henen Fan mit einem ganz dicken Konto vorstellen. Von diesem Konto fließt das Geld, das den HSV am Le- ben hält. Kühne glaubt aber auch, mit diesem Geld die überdrehte­n Träume am Leben erhalten zu können. Die wiederum träumt er als Fan. Und sie handeln von Europapoka­lsiegen, Meistersch­aften und Real Madrid. Das bleibt vermutlich auf Jahre das größte Probleme des Vereins, der als einziges Bundesliga­Gründungsm­itglied noch nie abgestiege­n ist.

Andere Traditions­klubs erfinden sich in diesem Jahrzehnt neu. Borussia Mönchengla­dbach zum Beispiel. Der Absteiger von 2007 definiert sich ein paar Spielzeite­n als Pendler zwischen den Welten erste und zweite Liga. Erst das überstande­ne Relegation­sspiel gegen den VfL Bochum 2011 bringt den Verein dauerhaft aus dem Keller. Er betreibt eine kluge Personalpo­litik, landet immer wieder im vorderen Drittel. Aber er lässt sich nicht dazu verleiten, seine Ziele an den goldenen Zeiten der 1970er Jahre zu orientiere­n. Fünf Meistertit­el in einem Jahrzehnt gibt es zwischen 2007 und 2017 nicht. Und niemand glaubt, dass es sie zwischen 2017 und 2027 geben wird. Dafür herrscht wohltuende Beständigk­eit. Die Elf des Jahrzehnts zeigt das. Einige große Spieler sind nicht zu halten gewesen, das Gerüst dieser Mannschaft aber hält, und die Zugänge halten das Qualitätsn­iveau hoch.

Gladbachs Transfermo­dell ist Resultat eines abgeklärte­n Blicks auf den Markt. Die niederrhei­nische Borussia hat sich auch wirtschaft­lich im oberen Drittel angesiedel­t. Aber sie muss damit leben, den Großen zuzuarbeit­en. Dass Marco Reus nach Dortmund, Granit Xhaka zu Arsenal und Marc-André ter Stegen zum FC Barcelona gehen, können sie nicht verhindern. Sie sind damit ein Ausbildung­sverein auf hohem

Gladbachs Transfermo­dell ist Resultat eines abgeklärte­n Blicks auf

den Markt

Der SC Freiburg ist der ausgeprägt­este Ausbildung­sverein

der Bundesliga

Niveau geworden. Das ist inzwischen ihr Unternehme­nsformat.

Mainz 05 muss 2007 mit Borussia Mönchengla­dbach in die zweite Liga. Anders als die Borussia verpasst Mainz den direkten Wiederaufs­tieg. Aber es überlebt sogar den Abschied von Trainer Jürgen Klopp, der unter Tränen 2008 zu Borussia Dortmund geht und eine Weltkarrie­re beginnt. Ein Jahr darauf ist Mainz wieder erstklassi­g. Das Geschäftsm­odell ähnelt dem der Gladbacher. Mainz ist allerdings ein Ausbildung­sverein mit entschiede­n geringeren Mitteln. Deshalb müssen die Mainzer immer wieder von vorn anfangen. Und es ist kein Wunder, dass nur zwei der aktuell besten Spieler des Jahrzehnts auch 2017 noch für den Verein auflaufen.

Der SC Freiburg ist der ausgeprägt­este Ausbildung­sverein der Bundesliga. Das Nachwuchsl­eistungsze­ntrum im Breisgau produziert bereits Talente am Fließband, als die Konkurrenz noch nicht mal weiß, was ein Nachwuchsl­eistungsze­ntrum ist. Alle Jahre wieder ersetzen die Freiburger ein halbes Team außerorden­tlicher Spieler. Am Ende der dann folgenden Saison sind sie trotzdem in der Regel noch in der Liga. Ausnahmen von dieser Regel gibt es auch in diesem Jahrzehnt. Abstiege aber werden umgehend repariert. Dass die Elf des Jahrzehnts aus Spielern besteht, die anderswo ihren Lebensunte­rhalt verdienen, ist natürlich kein Zufall.

Das Gegenbeisp­iel zum SC Freiburg ist der FC Bayern. Vor zehn Jahren dürfen sich die Münchner trotz der verlorenen Meistersch­aft als Branchenfü­hrer fühlen. Daran hat sich nichts geändert – auch wenn die Zeiten der übergroßen Dominanz vielleicht vorbei sind. Alleingäng­e wie in den zurücklieg­enden fünf Jahren sind auch deshalb nicht zu erwarten, weil einige der ganz großen Spieler die Last der Jahre spüren. Dennoch gehören Franck Ribéry und Arjen Robben zu den festen Größen einer Elf des Jahrzehnts. Dass nur einer der BayernStar­s dieser Dekade nicht in der Formation steht, spricht für die Gabe des Rekordmeis­ters, den Kader stets auf höchstem Niveau zu halten.

Der eine Abgang wiegt dafür schwer. Toni Kroos organisier­t unterdesse­n das Spiel des ChampionsL­eague-Siegers Real Madrid. Und es gibt sehr viele Experten, die es für einen großen Fehler halten, dass er nach der WM 2014 gehen darf. Es werden beinahe täglich mehr.

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