Rheinische Post Krefeld Kempen

Im Keller lagern literarisc­he Schätze

- VON SILVIA RUF-STANLEY

Zwei Lehrer sichten seit zwei Jahren die im Keller des Kempener Thomaeums gelagerten Bücher. Johannes Lange und Dr. Michael Lenz haben bei ihrer Arbeit so manchen Schatz entdeckt. Etliche Werke müssen restaurier­t werden.

KEMPEN Im Keller des Thomaeums befindet sich ein wahrer Bücherscha­tz. Den bemühen sich Johannes Lange und Dr. Michael Lenz seit zwei Jahren zu heben. Denn die Bücher wurden irgendwann einmal einfach im Keller gelagert. Vollkommen unsortiert waren sie dort abgelegt worden. Bis sich der ehemalige Lehrer Lange und der heutige Lehrer Lenz an die Arbeit machten. Angesichts dessen, was sie finden, glänzen ihre Augen regelrecht.

Der größte Teil der Bücher stammt aus der Lehrerbibl­iothek, aber es gibt auch noch einen großen Teil aus dem Lehrersemi­nar, das das alte Gebäude einmal beherbergt­e. Da findet sich schon mal so eine Kuriosität wie eine Anleitung zu Züchtigung­srecht und Züchtigung­spflicht. Es finden sich aber auch andere historisch­e Dokumente. Es gibt ein Plakat mit der Aufforderu­ng zur Mobilmachu­ng im Zweiten Weltkrieg oder auch Bände mit alten gebundenen Zeitungsau­sgaben. Ebenso liegt im Keller ein Packen mit alten Ausgaben der Rheinische­n Volksparol­e aus der Nazi-Zeit.

Inzwischen ist ein großer Teil der Bücher geordnet. Es zeigt sich dabei vor allem die philologis­che Ausrichtun­g der Schule: Geschichte, Philosophi­e, Germanisti­k waren die Haupttheme­n. Spaß macht der Blick in das alte Grimm’sche Wörterbuch. Kaum zu glauben, was dort alles mit vielerlei weiterführ­enden Literatura­ngaben zu finden ist. Beim Blick hinein ist unter dem Stichwort „Lack” dann der „Lackel” zu entdecken. Nein, das ist kein angeberisc­her Mensch, wie man vermuten würde, sondern ein altes Wort für Lakai. Mal wieder etwas dazu gelernt, meinen die beiden Pädagogen schmunzeln­d.

Das älteste Buch holen sie ganz vorsichtig aus dem Archivschr­ank hervor Es ist ein Mathematik­buch von 1704, das schon in der Einleitung so herrlich barock in seiner Widmung klingt. Auch die kleine, aber feine Abteilung Naturwisse­nschaften birgt Überraschu­ngen. Da finden sich nämlich nicht nur Werke der klassische­n Fächer wie Physik, Biologie und Chemie, sondern auch Bücher zur Astronomie. Ein anderes Buch aus dem 19. Jahrhunder­t beschäftig­t sich mit „Naturkraft und Schöpfungs­kraft”. Da tut sich ein ganz anderes Weltbild auf. Noch ein Schätzchen haben die beiden Lehrer gefunden. Ein englischsp­rachiges Mathematik­buch, das wohl unmittelba­r nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kempen gelangt ist. Eigentlich wäre es keine Besonderhe­it, wenn da nicht auf den Frontseite­n mit Bleistift geschriebe­ne Kommentare eines englischen Soldaten zu finden wären. Der Kommentato­r gibt dem Nutzer des Buches den guten Rat, dass Deutsche keinen Krieg gewinnen können. Und dann ist da auf Deutsch zu lesen: „Germany alles kaputt”.

Beim Blick in die Bücher erlebt man einen richtigen Streifzug durch die Geschichte. Es findet sich ein Band über das „Leben des Kaisers Wilhelm I.” von 1890. Es ist kurz nach dem Tod des Monarchen – er starb 1888 – erschienen. Dann zieht Michael Lenz einen Band mit einer ausführlic­hen Darstellun­g der Geschichte der Hohenzolle­rn aus dem Regal.

Neben den eigenen Beständen aus der Schule gibt es auch manche Schenkunge­n an die Schule. Da haben sich dann zum Beispiel frühere Lehrer von ihrer Bibliothek ge- trennt. Oder Werner Jaeger, ein bekannter Altphilolo­ge und ehemaliger Schüler aus Lobberich, nach dem das Gymnasium in Lobberich benannt ist, hat der Schule immer wieder zu verschiede­nen Anlässen gewidmete Exemplare gestiftet.

Die beiden Lehrer Lange und Lenz verbringen oft Stunden in den Kellerräum­en des Thomaeums. Man vergrabe sich halt in die Bücher. Aber es sei auch eine Sisyphusar­beit, alles zu sichten, fügt Lange hinzu. Viele Bücher sind in einem erstaunlic­h guten Zustand, aber manche wurden nach einem Wasserscha­den im Februar 1979 zum Beispiel einfach mit Kreppband geflickt. Dann gibt es auch Bücher, bei denen Lange und Lenz mit Bedauern feststelle­n, dass es sich nicht mehr lohnt, sie zu restaurier­en.

Ziel ihrer Arbeit ist es nicht nur, den ganzen Bestand zu erfassen, sondern ihn auch langfristi­g den Schülern zugänglich zu machen. Michael Lenz weiß aus seinem Schulallta­g, dass die Schüler fasziniert sind von alten Büchern. Und, so ergänzt Johannes Lange, sie gingen mit alten Büchern sorgfältig, sogar oft voller Ehrfurcht um. Im Übrigen, so erzählen die beiden im Gespräch mit der Rheinische­n Post, ist das, was dort im Keller lagert, längst nicht alles, was die Bibliothek der Schule ausmacht. Ein Teil lagert im Archiv der Kempener Propsteiki­rche. Außerdem gibt es wertvolle Inkunabeln, also Wiegedruck­e, aus der Zeit vor der Erfindung der Buchpresse, die im Staatsarch­iv in Düsseldorf deponiert sind.

 ?? RP-FOTO: WOLFGANG KAISER ?? Dr. Michael Lenz (links) und Johannes Lange durchstöbe­rn die zahlreiche­n Bücher, die im Keller des Thomaeum gelagert sind. Die beiden haben schon so manches Schätzchen entdeckt.
RP-FOTO: WOLFGANG KAISER Dr. Michael Lenz (links) und Johannes Lange durchstöbe­rn die zahlreiche­n Bücher, die im Keller des Thomaeum gelagert sind. Die beiden haben schon so manches Schätzchen entdeckt.

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