Rheinische Post Krefeld Kempen
Zwischen Romantik und Moderne
Südlich von Bonn wird der Rhein romantischer, was internationale Gäste schon im 19. Jahrhundert schätzten. Heute lässt sich auf den alten Touristenpfaden wandeln. Mit diesem Ausflug endet unsere „Landpartie“-Sommerserie
REMAGEN Der Touristiker spricht von sogenannten Hotspots, die man gesehen haben muss, der Marketingstratege von Leuchttürmen und Alleinstellungsmerkmalen. Südlich von Bonn, dort wo der Rhein anfängt, romantisch zu werden, häufen sich diese Phänomene, die keine Erfindung unserer Zeit sind. Die Engländer haben den Rhein als Touristenziel entdeckt – bereits im 18. Jahrhundert. Die „Grand Tour“nach Italien führte den Rhein entlang, bald reiste man auch exklusiv zum „romantischen Rhein“.
Im Jahr 1874 will sich das Ehepaar Jan Hendrik und Margo Kramers aus dem niederländischen Den Haag zur Silberhochzeit etwas ganz Besonderes gönnen – und unternimmt mit den fünf Kindern eine für die damalige Zeit geläufige, klassische Bildungsreise. Der minuziös durch Tagebucheintragungen, gesammelte Rechnungen, Eintrittskarten und Zeichnungen dokumentierte Familientrip führt per Bahn zum Rheintal, wo man die damaligen Hotspots besucht: die Löwenburg mit Blick über „das prächtige Siebengebirge“, die Ruine Heisterbach, den Drachenfels. Logiert wird im Hotel Roland in Rolandseck. Skizzen belegen die Ausblicke, die man von dort hatte: über den Rhein zum Kloster Nonnenwerth, zum Drachenfels und nach oben zum Rolandsbogen.
Der 1856 bis 1858 gebaute Bahnhof wird nicht erwähnt, dort waren die Kramers aus der „CölnBonner“ gestiegen. Der Bahnhof, dessen klassizistischer Festsaal schon Queen Victoria, Kaiser Wilhelm II. und den Reichskanzler von Bismarck beherbergte, sieht nach der Renovierung fast aus wie in den goldenen Zeiten der Rheinromantik. Und auch der Blick von der Loggia über den Rhein ist fast unverändert. Bei einem Glas Rheinwein und einer Spezialität aus der Küche des Bistro Interieur No. 253, das Reisende, Touristen und Flaneure verwöhnt, lässt sich über die Kontinuität von rheinromantischen Hotspots sinnieren.
Seit den 1960er Jahren besucht eine weitere Klientel den Rolandsecker Bahnhof: Künstler, Kunstfans und Kulturbeflissene. In den 1960er Jahren hatte der Bahnhof allen Glanz eingebüßt, war marode, stand vor dem Abriss. Der Tausendsassa Johannes Wasmuth stoppte den Verfall, gründete einen Künstlerbahnhof mit Ateliers, Lesungen, Theatervorstellungen und Konzerten.
Wer heute vor den Bahnhof tritt, sieht, was aus Wasmuths Künstlerbahnhof geworden ist. Eine weiße, moderne Architektur am Hang. Bergmännisch unter dem Bahnhof hindurch, durch einen Stollen und über einen Aufzugs- und Treppenturm wird der Neubau des USamerikanischen Stararchitekten Richard Meier erschlossen, der vor zehn Jahren eröffnet wurde.
Das aus Bahnhof und Neubau bestehende Museum ist dem Bildhauer Hans Arp (1886-1966) – eine der schillerndsten Figuren des sogenannten Dadaismus – und seiner Frau, der Malerin und Bildhauerin Sophie Taeu- ber-Arp (1889-1943), gewidmet. Das Arp Museum zeigt in diesem Ensemble die eigene Sammlung, Wechselausstellungen und Ausschnitte aus der Unicef-Sammlung des Arztes Gustav Rau.
Der Kunstfan findet unweit des Museums die „Geheimen Gärten Rolandswerth“mit Werken zeitgenössischer Künstler, der Geschichtsinteressierte die nur noch als Torso erhaltene, 1918 gebaute Brücke von Remagen, eine Eisenbahnbrücke zwischen Remagen und Erpel. In der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs stellte sie den ersten alliierten Übergang über den Rhein dar. Am 17. März 1945 stürzte sie nach dem Beschuss durch deutsche V2-Raketen ein. Besondere Bekanntheit erlangte sie durch den US-Kriegsfilm „Die Brücke von Remagen“von 1969. Die noch erhaltenen Brückentürme beherbergen ein „Friedensmuseum“.
Wie gelangt man nach Rolandseck? Die klassischen Wege des 19. Jahrhunderts funktionieren heute noch. Man kann mit dem Ausflugsschiff oder, von Bad Honnef, mit der Fähre anreisen. Beliebt ist besonders die Anfahrt per Bahn. Das Museum ist damit wohl das einzige Deutschlands mit direktem Bahnanschluss. Der unspektakulärste Weg ist per Auto auf der Bundesstraße 9.
Für den sportlichen Besucher bieten sich zwei Möglichkeiten an. Eher anstrengend, mit viel Bergauf und Bergab, traumhaften Ausblicken auf das Rheintal und einem Abstecher zur unbedingt sehenswerten St.-Apollinaris-Kirche, ist der Rheinhöhenweg, auch Rheinburgenweg genannt, der von Sinzig nach Rolandseck führt.
Etwas gemächlicher ist der Radweg von der Bonner Kennedybrücke nach Remagen. Rund zwei Stunden ohne Stopp ist man unterwegs. Und man sieht alle Hotspots des 19. Jahrhunderts im Vorbeiradeln – das Siebengebirge, die Löwenburg, den Rolandsbogen, um nur einige zu nennen. Daneben natürlich auch vieles, was ein Tourist wie Herr Kramer mit seiner Familie noch nicht sehen konnte. Die Bonner Rheinaue als Landschafts-Juwel – Überbleibsel der Bundesgartenschau 1979 – und den ehemaligen Plenarsaal von Günter Behnisch, den Post Tower und auf der anderen Rheinseite die Bauten des Bonner Bogens als Beispiele neuerer Architektur. Zweimal wechselt der Radweg per Fähre die Rheinseite, zweimal ändert sich die Perspektive auf das Rheintal, das, je weiter man Richtung Süden fährt, wilder wird und mit Burgen und dichten Wäldern dem Bild der Rheinromantik ähnelt, das unsere Vorfahren hatten.