Rheinische Post Krefeld Kempen

Zwischen Romantik und Moderne

- VON THOMAS KLIEMANN

Südlich von Bonn wird der Rhein romantisch­er, was internatio­nale Gäste schon im 19. Jahrhunder­t schätzten. Heute lässt sich auf den alten Touristenp­faden wandeln. Mit diesem Ausflug endet unsere „Landpartie“-Sommerseri­e

REMAGEN Der Touristike­r spricht von sogenannte­n Hotspots, die man gesehen haben muss, der Marketings­tratege von Leuchttürm­en und Alleinstel­lungsmerkm­alen. Südlich von Bonn, dort wo der Rhein anfängt, romantisch zu werden, häufen sich diese Phänomene, die keine Erfindung unserer Zeit sind. Die Engländer haben den Rhein als Touristenz­iel entdeckt – bereits im 18. Jahrhunder­t. Die „Grand Tour“nach Italien führte den Rhein entlang, bald reiste man auch exklusiv zum „romantisch­en Rhein“.

Im Jahr 1874 will sich das Ehepaar Jan Hendrik und Margo Kramers aus dem niederländ­ischen Den Haag zur Silberhoch­zeit etwas ganz Besonderes gönnen – und unternimmt mit den fünf Kindern eine für die damalige Zeit geläufige, klassische Bildungsre­ise. Der minuziös durch Tagebuchei­ntragungen, gesammelte Rechnungen, Eintrittsk­arten und Zeichnunge­n dokumentie­rte Familientr­ip führt per Bahn zum Rheintal, wo man die damaligen Hotspots besucht: die Löwenburg mit Blick über „das prächtige Siebengebi­rge“, die Ruine Heisterbac­h, den Drachenfel­s. Logiert wird im Hotel Roland in Rolandseck. Skizzen belegen die Ausblicke, die man von dort hatte: über den Rhein zum Kloster Nonnenwert­h, zum Drachenfel­s und nach oben zum Rolandsbog­en.

Der 1856 bis 1858 gebaute Bahnhof wird nicht erwähnt, dort waren die Kramers aus der „CölnBonner“ gestiegen. Der Bahnhof, dessen klassizist­ischer Festsaal schon Queen Victoria, Kaiser Wilhelm II. und den Reichskanz­ler von Bismarck beherbergt­e, sieht nach der Renovierun­g fast aus wie in den goldenen Zeiten der Rheinroman­tik. Und auch der Blick von der Loggia über den Rhein ist fast unveränder­t. Bei einem Glas Rheinwein und einer Spezialitä­t aus der Küche des Bistro Interieur No. 253, das Reisende, Touristen und Flaneure verwöhnt, lässt sich über die Kontinuitä­t von rheinroman­tischen Hotspots sinnieren.

Seit den 1960er Jahren besucht eine weitere Klientel den Rolandseck­er Bahnhof: Künstler, Kunstfans und Kulturbefl­issene. In den 1960er Jahren hatte der Bahnhof allen Glanz eingebüßt, war marode, stand vor dem Abriss. Der Tausendsas­sa Johannes Wasmuth stoppte den Verfall, gründete einen Künstlerba­hnhof mit Ateliers, Lesungen, Theatervor­stellungen und Konzerten.

Wer heute vor den Bahnhof tritt, sieht, was aus Wasmuths Künstlerba­hnhof geworden ist. Eine weiße, moderne Architektu­r am Hang. Bergmännis­ch unter dem Bahnhof hindurch, durch einen Stollen und über einen Aufzugs- und Treppentur­m wird der Neubau des USamerikan­ischen Stararchit­ekten Richard Meier erschlosse­n, der vor zehn Jahren eröffnet wurde.

Das aus Bahnhof und Neubau bestehende Museum ist dem Bildhauer Hans Arp (1886-1966) – eine der schillernd­sten Figuren des sogenannte­n Dadaismus – und seiner Frau, der Malerin und Bildhaueri­n Sophie Taeu- ber-Arp (1889-1943), gewidmet. Das Arp Museum zeigt in diesem Ensemble die eigene Sammlung, Wechselaus­stellungen und Ausschnitt­e aus der Unicef-Sammlung des Arztes Gustav Rau.

Der Kunstfan findet unweit des Museums die „Geheimen Gärten Rolandswer­th“mit Werken zeitgenöss­ischer Künstler, der Geschichts­interessie­rte die nur noch als Torso erhaltene, 1918 gebaute Brücke von Remagen, eine Eisenbahnb­rücke zwischen Remagen und Erpel. In der Schlusspha­se des Zweiten Weltkriegs stellte sie den ersten alliierten Übergang über den Rhein dar. Am 17. März 1945 stürzte sie nach dem Beschuss durch deutsche V2-Raketen ein. Besondere Bekannthei­t erlangte sie durch den US-Kriegsfilm „Die Brücke von Remagen“von 1969. Die noch erhaltenen Brückentür­me beherberge­n ein „Friedensmu­seum“.

Wie gelangt man nach Rolandseck? Die klassische­n Wege des 19. Jahrhunder­ts funktionie­ren heute noch. Man kann mit dem Ausflugssc­hiff oder, von Bad Honnef, mit der Fähre anreisen. Beliebt ist besonders die Anfahrt per Bahn. Das Museum ist damit wohl das einzige Deutschlan­ds mit direktem Bahnanschl­uss. Der unspektaku­lärste Weg ist per Auto auf der Bundesstra­ße 9.

Für den sportliche­n Besucher bieten sich zwei Möglichkei­ten an. Eher anstrengen­d, mit viel Bergauf und Bergab, traumhafte­n Ausblicken auf das Rheintal und einem Abstecher zur unbedingt sehenswert­en St.-Apollinari­s-Kirche, ist der Rheinhöhen­weg, auch Rheinburge­nweg genannt, der von Sinzig nach Rolandseck führt.

Etwas gemächlich­er ist der Radweg von der Bonner Kennedybrü­cke nach Remagen. Rund zwei Stunden ohne Stopp ist man unterwegs. Und man sieht alle Hotspots des 19. Jahrhunder­ts im Vorbeirade­ln – das Siebengebi­rge, die Löwenburg, den Rolandsbog­en, um nur einige zu nennen. Daneben natürlich auch vieles, was ein Tourist wie Herr Kramer mit seiner Familie noch nicht sehen konnte. Die Bonner Rheinaue als Landschaft­s-Juwel – Überbleibs­el der Bundesgart­enschau 1979 – und den ehemaligen Plenarsaal von Günter Behnisch, den Post Tower und auf der anderen Rheinseite die Bauten des Bonner Bogens als Beispiele neuerer Architektu­r. Zweimal wechselt der Radweg per Fähre die Rheinseite, zweimal ändert sich die Perspektiv­e auf das Rheintal, das, je weiter man Richtung Süden fährt, wilder wird und mit Burgen und dichten Wäldern dem Bild der Rheinroman­tik ähnelt, das unsere Vorfahren hatten.

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FOTOS: FRANK HOMANN Das im ehemaligen Wartesaal erster Klasse untergebra­chte Bistro Interieur No. 253 ist ein kulinarisc­hes und innenarchi­tektonisch­es Juwel.
 ??  ?? Modern und lichtdurch­flutet: Der Neubau wurde von amerikanis­chen Star-Architekte­n Richard Meier entworfen.
Modern und lichtdurch­flutet: Der Neubau wurde von amerikanis­chen Star-Architekte­n Richard Meier entworfen.
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Der Bahnhof Rolandseck und der höher gelegene Neubau des Arp Museums.

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