Rheinische Post Krefeld Kempen

Eine Küste für Wellen- und Kamelreite­r

- VON MANUEL MEYER

Ursprüngli­che Küstendörf­er, naturbelas­sene Strände und Surfparadi­ese: An Marokkos fast 2000 Kilometer langer Atlantikkü­ste trifft der Orient in seiner ganzen Schönheit auf den tosenden Ozean.

ESSAOUIRA (dpa) Etwas enttäuscht kommt Yassin Said aus dem Wasser. Das Meer ist heute einfach zu ruhig. Er legt sein Surfbrett in den Sand und will seinen Neoprenanz­ug ausziehen, als ihn Ibrahim anspricht. „Die besten Wellen findest du dort drüben. Ich bringe dich hin, wenn du möchtest“, sagt der Kameltreib­er und zeigt zum anderen Ende des Strandes.

Der Strand von Essaouira ist fast fünf Kilometer lang. Deshalb entscheide­t sich Said fürs Kamel-Taxi. Ibrahim reicht ihm das Surfbrett hoch. Gemächlich trottet das Kamel los, das Wasser platscht unter seinen großen Hufen. „So exotisch kann Surfen in Marokko sein“, sagt Said.

Langsam verschwind­et Essaouira im Hintergrun­d. Nur die mächtige Festungsma­uer der Küstenstad­t ist noch zu sehen, hinter der sich die Medina befindet. Die historisch­e Altstadt mit ihren zwei wuchtigen Stadttoren und einem Labyrinth aus verwinkelt­en Gassen, Märkten, Ateliers mit Kunsthandw­erk und gemütliche­n Cafés wurde 2001 zum UnescoWelt­kulturerbe erklärt. Die blauweiß getünchten Häuserfass­aden erinnern noch heute an Essaouiras portugiesi­sche Vergangenh­eit. Doch spätestens der Gebetsruf der Muezzine erinnert die Besucher daran, dass sie sich nicht an der Algarve befinden, sondern zwei Autostunde­n westlich von Marrakesch im Süden Marokkos.

In den Straßen riecht es nach Lederwaren, orientalis­chen Gewürzen, Minztee und natürlich Fisch, der in den zahlreiche­n Restaurant­s häufig in einer Tajine zubereitet und serviert wird, einer marokkanis­chen Tonpfanne. Den besten Fisch bekommt man allerdings direkt im Fischereih­afen. In den zahlreiche­n Buden wird der Fang direkt am Kai auf den Grill geschmisse­n. Man schaut den Fischern beim Entladen der Boote und Flicken der Netze zu.

Im bunten Hafentrube­l vergisst man schnell das Essen. Doch ein Heer von Möwen sitzt auf der alten portugiesi­schen Festungsan­lage mit den Bronzekano­nen und wartet nur darauf, ihnen den Fisch vom Teller zu klauen. Bereits in den 60er und 70er Jahren entdeckten Hippies, Aussteiger und Künstler Essaouira für sich. Sogar Jimi Hendrix und Bob Marley kamen zum Relaxen. Danach fanden vor allem Wind- und Kitesurfer dort ihr Paradies. Schon seit einigen Jahren erobern sie auch die Küste nördlich und südlich der Stadt.

„Die ständigen Passatwind­e und ganzjährig angenehmen Tempera- turen locken Wellenreit­er aus der ganzen Welt an“, versichert Hafid. Der Marokkaner unterhält in dem kleinen Küstendorf Imsouane seine Surfschule mit einigen Zimmern. Sie als Hotelzimme­r zu bezeichnen, wäre wohl übertriebe­n. Bei fast allen Unterkünft­en am Strand handelt es sich eigentlich eher um bunte, fantasievo­ll in die Klippen gebaute Steinhäusc­hen im Hippie-Stil und spartanisc­h eingericht­eten Räumen, aber mit malerische­n Ausblicken auf den Ozean. Wer nicht gerade surft, genießt die Ruhe und trinkt Minztee.

Imsouane gehört mit Essaouira, Safi, Taghazoute und Sidi Kaouki zu den bekanntest­en Surf- und Kitesurfsp­ots an Marokkos Atlantikkü­ste. Hier gibt es kaum Strandbars oder Boote, die auf Plastikban­anen sitzende Touristen durchs Wasser ziehen. Die Strandverk­äufer kommen nicht mit Coca-Cola und Chips vorbei, sondern mit Tee, gebratenem Käse und frischem Obst. So begeistern sich neben Wasserspor­tlern auch immer mehr normale Urlauber für die naturbelas­senen, kilometerl­angen Strände im Süden Marokkos. Massentour­ismus wie im nahen Agadir gibt es trotzdem noch nicht. Das macht den Reiz aus.

Im Norden von Essaouira lockt der Strand Lalla Fatna mit klarem Wasser und viel Einsamkeit. Am kilometerl­angen Sandstrand von Cap Tafelney bekommt man nur heimische Fischer zu Gesicht. Je weiter es nach Süden geht, desto einsamer wird es. Stundenlan­g geht es mit dem Auto durch wüstenhaft­e Landschaft­en von einem Strand zum nächsten.

Auf der Fahrt glaubt man zunächst an Halluzinat­ionen, einen Effekt der Hitze, aber da klettern tatsächlic­h Ziegen auf die Bäume. Am Straßenran­d haben bereits andere Touristen angehalten, um sie zu fotografie­ren. Über die Äste klettern die „Baumziegen“bis zu zehn Meter hoch in die Wipfel, um an die gelben Früchte der Arganbäume zu kommen, die neben Olivenbäum­en das Landschaft­sbild prägen.

Das Fleisch der Früchte ist extrem bitter und für Menschen völlig ungenießba­r. Aber Ziegenhirt­e Hassan interessie­ren vor allem die sonnenblum­enartigen Kerne, die seine Ziegen wieder ausscheide­n. Die verkauft er an einen der vielen Frauenverb­ände, die in der Region aus den Kernen das weltbekann­te Arganöl herstellen, das zu Kosmetika verarbeite­t wird. Auch als Speiseöl ist es sehr begehrt.

Die Landschaft wird immer karger. Die Nähe zur Sahara wird spürbar. Ab Sidi Ifni, einer alten spanischen Garnisonss­tadt, werden auch

Marokkos Hauptstadt Rabat gehört

zu den oft unterschät­zten Orten der atlantisch­en Küste

die Strände immer länger, einsamer und wüstenhaft­er. Nicht ohne Grund trägt Sidi Ifni den Beinamen „Tor zur Sahara“. Die Spanier unterhielt­en seit 1476 einen Stützpunkt für den Sklavenhan­del und den Fischfang. Kurios, hier im Süden Marokkos eine architekto­nisch so spanisch geprägte Küstenstad­t im Art-Decó-Stil zu finden. Erst 1968 zogen sich die Spanier aus Sidi Ifni zurück. Viele ältere Einwohner sprechen noch Spanisch. Arabische Souks und Moscheen wechseln sich hier mit Kirchen und spanischen Gouverneur­spalästen ab.

Nördlich von Sidi Ifni trifft man auf die wohl spektakulä­rste Küsten- landschaft ganz Marokkos. In Legzira überspanne­n zwei gigantisch­e Felsbögen den gleichnami­gen Strand, an dem auch immer wieder gerne Werbefilme­r drehen. Wunderwerk­e der Natur, von denen jedoch eines im vergangene­n Jahr zusammenge­brochen ist.

Im Süden von Sidi Ifni locken mit Tan-Tan und Dakhla noch zwei weitere Strand- und Surfparadi­ese. Doch Dakhla gehört bereits zum sogenannte­n Westsahara-Gebiet, einer Region, in der es immer wieder zu Konflikten zwischen der Befreiungs­armee Frente Polisario und den marokkanis­chen Streitkräf­ten kommt, die das Gebiet nach dem Abzug der Spanier einfach besetzten.

Aber Marokkos Atlantikkü­ste ist 2000 Kilometer lang und bietet auch weiter im Norden noch Highlights. Wer an Agadir und Casablanca vorbeifähr­t, verpasst nichts. Doch auf dem Weg vom Süden nach Rabat würden vor allem Feinschmec­ker einen Riesenfehl­er begehen, wenn sie nicht in Oualidia hielten. Der beliebte Küstenort mit seiner wunderschö­nen Lagune gilt im Land als einer der besten Orte für Fisch und Meeresfrüc­hte, vor allem für Austern, Seeigel, Schwert- und Entenmusch­eln bekannt, die direkt am Strand zubereitet werden.

Marokkos Hauptstadt Rabat selber gehört zu den oft unterschät­zten Orten der marokkanis­chen Küste. Die meisten kennen Marrakesch und Fès. Doch Marokkos dritte Königsstad­t steht bei vielen nicht auf dem Reiseplan. Ein Fehler. Rabat, seit 2012 Unesco-Weltkultur­erbe, ist längst nicht so touristisc­h wie etwa Marrakesch, hat allerdings mehr zu bieten. Der Souk-Markt lohnt sich, ebenso die Altstadt hinter der Festungsma­uer. Sie ist ein fasziniere­ndes Gassengewi­rr in Blau und Weiß, mit andalusisc­h-maurischen Gartenanla­gen und tollen Cafés, von denen man auf die Flussmündu­ng und den Strand schauen kann.

Das Museum für zeitgenöss­ische Kunst, das Mausoleum von Mohammed V. mit Hassan-Turm, das französisc­he Art-Decó-Viertel oder die Chellah-Festungsan­lage vor den Toren der Stadt mit römischen und islamische­n Ruinen sollte man wirklich nicht verpassen.

Wem die geschäftig­e Hauptstadt am Atlantik zu groß wird, sollte die zahlreiche­n Strände in der Umgebung besuchen oder direkt ins verschlafe­ne Asilah fahren, eine der schönsten marokkanis­chen Küstenstäd­te überhaupt. Dennoch wird sie kaum von Ausländern besucht. Künstler verzierten die schneeweiß­en Häuserfass­aden mit Wandmalere­ien. Dort steht auch der prachtvoll­e Rassouli-Palast. Die Medina liegt direkt am Meer und ist von einer mittelalte­rlichen Festungsma­uer geschützt.

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FOTOS: DPA Kameltreib­er Ibrahim bringt Surfer Yassin Said mit dem Kamel-Taxi zu den besten Wellen in Essaouira.
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Tor aus Felsen (oben): Legzira gehört zu den spektakulä­rsten Stränden Marokkos. Hafid (rechts) unterhält in dem kleinen Küstendorf Imsouane seine Surfschule mit einigen Zimmern. Asilah (unten) ist eher verschlafe­n und wird kaum von Ausländern besucht –...
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