Rheinische Post Krefeld Kempen

Das Grauen kehrt zurück

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: DPA

Die neue Verfilmung von Stephen Kings Roman „Es“versucht der Vorlage über die Atmosphäre nahezukomm­en. Fast wäre es gelungen.

In Hollywood glauben sie immer noch, man könne den Roman „Es“von Stephen King verfilmen. Aber das stimmt nicht. Das 1500 Seiten dicke Buch lässt sich nicht auf die Leinwand übertragen. Bei Stephen King kriecht das Grauen sehr langsam und kaum merklich in die Lücken zwischen den Zeilen. Er beschreibt eine kleine Stadt, das Alltagsleb­en, er beschreibt Jugendlich­e und ihre Freundscha­ft, und irgendwann fühlt sich der Leser irgendwie unwohl. Er ahnt, dass etwas im Schwange ist; es gibt indes

Der Horror, der sich bei King nur anschleich­t, ist hier allzu laut und

plump inszeniert

keine Belege, nichts Greifbares, alles ist reine Atmosphäre. Die Allmählich­keit, mit der sich Stephen King im Kopf des Lesers einnistet, ist die große Gabe dieses Schriftste­llers. Deshalb könnte man seine Werke, jedenfalls die besten unter ihnen, viel angemessen­er in Musik übertragen als in Bilder. Das ist ja das große Missverstä­ndnis, dass King ein Bilderlief­erant sei. Aber er arbeitet abstrakt. Mit Stimmungen, Gestimmthe­iten, mit Klängen und Misstönen, mit minimalen Verschiebu­ngen. Der Film „Es“, der nun in die Kinos kommt, kann also nur eine Annäherung sein.

Alle 27 Jahre kehrt das Böse heim nach Derry, heißt es im Roman, und genau 27 Jahre sind auch seit der berühmten Fernseh-Adaption mit Tim Curry in der Hauptrolle vergangen. In den USA ist die neue Produktion von Regisseur Andy Muschietti sensatione­ll erfolgreic­h. In den drei Wochen seit Kinostart hat der 35 Millionen Dollar teure Film bereits rund 270 Millionen Dollar eingespiel­t. Und tatsächlic­h beginnt „Es“sehr gut. Es regnet, ein Junge will ein Papierboot fahren lassen, und der große Bruder, der stark erkältet im Bett bleiben muss, faltet es ihm. Das Boot rauscht den Rinnstein entlang, es rutscht in einen Gully, und dort lauert der Clown Pennywise. Der Junge stirbt bald darauf.

Schon in diesem Vorspiel zeigen sich die Stärken und die Schwächen des Films. Das Miteinande­r der Brü- der ist wunderbar gezeichnet. Muschietti hat die Handlung, die im Roman Ende der 50er Jahre angesiedel­t ist, in die 80er Jahre verlegt. Auf den zweiten Romanteil, der die Hauptfigur­en als Erwachsene zeigt, verzichtet er. Man sieht also ein Jugendzimm­er mit einem Filmplakat der „Goonies“an der Wand, man sieht T-Shirts mit „Airwolf“-Aufdruck und BMX-Räder, und überhaupt ist die Ästhetik liebevoll und detailgetr­eu den 80er Jahren nachempfun­den. Die Netflix-Serie „Stranger Things“, die ähnlich ausgestatt­et ist, ist ja im Grunde eine der besten King-Verfilmung überhaupt. Mit dem Manko, dass es gar keine Vorlage von Stephen King dazu gibt. Die Macher haben sich einfach an Motiven und am Aroma seines Gesamtwerk­s bedient.

In „Es“, und damit sind wir bei den Schwächen, wird das Monster arg frontal vorgestell­t. Pennywise (Bill Skarsgård) zeigt seine imposante Zahnreihe, es fließt Blut, da liegt ein Arm. So geht es den ganzen Film über: Der Horror ist stets offensicht­lich, brutal und blutig. Die Soundeffek­te, die die Auftritte von Pennywise begleiten, sind Schock- effekte: sehr direkt und plump. Dieser Film setzt auf Maske und Bombast.

Dass man dennoch von einer gelungenen Annäherung an „Es“sprechen kann, ist dem großartige­n Ensemble der jugendlich­en Darsteller zu verdanken. Sieben Kinder bilden den „Club der Loser“, und wer King kennt, weiß, dass er ein Herz für Außenseite­r hat. Über weite Strecken hat man das Gefühl, in einer Fortsetzun­g von „Stand By Me“zu sitzen, der schönen Verfilmung von Kings Story „Die Leiche“durch Rob Reiner aus dem Jahr 1986. Die tollste Figur ist Beverly (Sophia Lillis), das einzige Mädchen unter den glorreiche­n Sieben. Sie mutet wie eine Schwester von Georgina aus den „Fünf Freunden“an: patent und mutig. Sie führt den Kampf gegen das Grauen an, den Kampf für eine bessere und freie Zukunft. Und natürlich finden alle Jungs sie gut.

Die Risikothem­en des Romans wurden gestrichen, die Homophobie, der Rassismus und die Angst vor Aids. Statt dessen konzentrie­rt sich „Es“auf die Innenwelt der Kinder. Erwachsene kommen zunächst nur so vor wie sie bei den „Peanuts“vor- kommen, nämlich im Grunde gar nicht und wenn doch, dann als quakende Karikature­n. Allmählich treten sie dann aus dem Dunkel, im Fall von Beverly werden sie gar übergriffi­g. Die Erwachsene­n symbolisie­ren die Zukunft, den Abschied von der Unschuld, Sexualität, Körperangs­t.

Die gelungenen King-Verfilmung­en sind vor allem die frühen, also „Carrie“, „Dead Zone“und „Shining“. Sie haben die Grundkonst­ellation der literarisc­hen Vorlage übernommen und selbststän­dig ausformuli­ert. Sie haben etwas Eigenes daraus gemacht und gar nicht erst versucht, den Stephen-KingTon zu treffen; deswegen funktionie­ren sie. „Es“geht einen anderen Weg. Dieser Film kommt der Vorlage über die Atmosphäre nahe. Das gelingt streckenwe­ise ziemlich gut.

Nur der Clown stört.

USA 2017 – Regie: Andy Muschietti, mit Bill Skarsgård, Jaeden Lieberher, Jeremy Ray Taylor, Sophia Lillis, 135 Min., FSK ab 16

Bewertung:

 ??  ?? Der Clown Pennywise kommt zu Beginn von „Es“aus der Kanalisati­on. Im Film wird er von Bill Skarsgård gespielt.
Der Clown Pennywise kommt zu Beginn von „Es“aus der Kanalisati­on. Im Film wird er von Bill Skarsgård gespielt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany