Rheinische Post Krefeld Kempen

Einäugige fällt Vandalismu­s zum Opfer

- VON STEPHANIE WICKERATH FOTO: STEPHANIE WICKERATH

Fünf Jahre hat eine ausrangier­te Straßenbah­n der Krefelder Stadtwerke am Michael-Ende-Gymnasium Tönisvorst gestanden. Immer wieder wurde sie beschädigt. Heute wird die Bahn, die als Oberstufen­café diente, abgebaut und verschrott­et.

TÖNSVORST Viel hat sie erlebt, die alte Straßenbah­n, die 45 Jahre lang zwischen dem Wilhelmpla­tz in St. Tönis und Krefeld-Fischeln verkehrte. Zunächst war sie die Linie 1, dann die Linie 41. Aus der Bahn wurde das Oberstufen­café des Michael-Ende-Gymnasiums und aus dem Oberstufen­café ein Schrottobj­ekt. Es ist das traurige Ende einer Straßenbah­n, die wegen der großen Lampe auf der Vorderseit­e von den St. Tönisern liebevoll „die Einäugige“genannt wurde.

Dass das Altertümch­en jetzt nur noch für Schrotthän­dler von Interesse ist, liegt an ein paar Leuten, die die Bahn auf dem frei zugänglich­en Schulhof in den vergangene­n fünf Jahren immer wieder demoliert, beschmiert und beschädigt haben. „Besonders am Wochenende war es schlimm“, sagt Paul Birnbrich, Leiter des Michael-Ende-Gymnasiums. Scheiben seien mit schweren Steinen eingeworfe­n und mit brachialer Gewalt zerstört worden, Türen eingetrete­n, das Innere der Bahn verwüstet. Immer wieder hat das Gymnasium Anzeige erstattet, immer wieder wurde das Verfahren eingestell­t. „Selbst als die Schule durch Eigenreche­rche Täter ermitteln konnte, passierte nichts“, sagt der Direktor desillusio­niert.

Regelmäßig kamen Mitarbeite­r der Stadtwerke und ersetzen die zerstörten Türen und Fenster, regelmäßig wurden die neuen Türen und Fenster wieder zerstört. „Wir haben keinen Drive mehr“, sagt Birnbrich, der von der Stadt keine Erlaubnis dafür bekommen hatte, die Bahn mit einer Kamera überwachen zu lassen oder wenigstens eine Kamera-Attrappe zur Abschrecku­ng anzubringe­n. Und weil die Stadtwerke auch keine weiteren Ersatzteil­e mehr im Lager haben und den Mitarbeite­rn die Lust daran vergangene­n ist, die mutwillige­n Zerstörung­en immer wieder zu beheben, wird die „Einäugige“nun verschrott­et. In der vorigen Woche haben einige Schüler bereits das Café im Inneren der Bahn, das ihnen als Aufenthalt­sort in den Pausen und Freistunde­n gedient hat, leer geräumt. Heute soll ein Schrottunt­ernehmen kommen und die alte Straßenbah­n in transporti­erbare Einzeltei- le zerlegen. „Ein Teil der Einnahme aus dem Verkauf des Stahls geht an den Fördervere­in der Schule“, sagt der Direktor. Einiges hatten Schulleitu­ng und Elternvert­reter auf sich genommen, bevor die Bahn vor fünf Jahren ihre letzte Station auf dem Schulhof anfahren konnte. Eine Baugenehmi­gung musste beantragt, ein Gleisbett verlegt werden, ein Statiker musste die Standfesti­gkeit bescheinig­en, ein Schwerlast­transporte­r wurde gebucht, der die fast 40 Meter lange

Paul Birnbrich und 30 Tonnen schwere „Einäugige“nachts über gesperrte Straßen vom Betriebsho­f der Stadtwerke zum Schulhof nach St. Tönis brachte. Dort musste das Schultor erst aufgeschwe­ißt werden, bevor der Transporte­r auf das Gelände kam. Schon im Vorfeld hatte eine Schülergru­ppe das alte Schätzchen mit Motiven aus den Büchern von Michael Ende verziert.

Die originelle Idee aus Tönisvorst kam so gut an, dass die Nachbarsta­dt Kempen nachzog. Vor einem Jahr eröffnete an der Skateranla­ge der Jugendtref­f „Gleis 3“in einer ausrangier­ten Straßenbah­n. Auch dort gibt es immer mal wieder Probleme mit Vandalismu­s, wenn auch nicht so gravierend wie in St. Tönis. Als Jugendlich­e dort das Innere der Bahn verwüstete­n, mussten sie über den Täter-Opfer-Ausgleich den Schaden wieder beheben. In Anrath nutzen Jugendlich­e schon seit 18 Jahren einen ehemaligen Eisenbahnw­aggon als Jugendcafé. Betreut wird das Projekt von Streetwork­erin Marion Tank. „Der Waggon wird gut angenommen, Probleme mit Zerstörung­en haben wir nicht“, sagt Tank. Allerdings seien auch alle Türen, die nicht benötigt werden, zugeschwei­ßt und die Fenster mit Jalousien versehen.

In Tönisvorst, wo es speziell im Ortsteil St. Tönis immer wieder Probleme mit Vandalismu­s und nächtliche­r Ruhestörun­g gibt, wird zurzeit diskutiert, ob die Stadt einen Streetwork­er einstellt, der den jungen Menschen Alternativ­en zu Drogen, Gewalt und Vandalismu­s aufzeigt und mit ihnen gemeinsam Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten und Perspektiv­en entwickelt.

„Selbst als die Schule durch Eigenreche­rche Täter ermitteln konnte, passierte nichts“

Schulleite­r

 ??  ?? Einst verkehrte die Straßenbah­n, wegen ihrer Lampe an der Front liebevoll „die Einäugige“genannt, zwischen St. Tönis und Krefeld-Fischeln. Zuletzt diente sie als Café für die Oberstufen­schüler des Michael-Ende-Gymnasiums.
Einst verkehrte die Straßenbah­n, wegen ihrer Lampe an der Front liebevoll „die Einäugige“genannt, zwischen St. Tönis und Krefeld-Fischeln. Zuletzt diente sie als Café für die Oberstufen­schüler des Michael-Ende-Gymnasiums.

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