Rheinische Post Krefeld Kempen
Wo Spaziergänger in schöner Landschaft frische Luft tanken können.
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Polemische Kirchenkritik im Zeitalter der Reformation sah so aus: Im zwiegespaltenen „Weinberg des Herrn“bewirtschaften rechts die rechtschaffenen Protestanten die Reben, Martin Luther ist der oberste Gärtner. Links verwüsten die Katholiken ihren Teil von Gottes Garten auf Erden. Lucas Cranach der Jüngere fertigte das Altarbild 1582. Da war Luther längst tot. Doch die Feindbilder wirkten fort – und das noch über Jahrhunderte, schreibt der Historiker Volker Reinhardt in dem achtseitigen Extra zur Reformation, das dieser Ausgabe beiliegt.
Wäre das Verhältnis von Katholiken und Protestanten heute noch das gleiche wie 1517, gäbe es in diesem Jahr nichts zu feiern. Aber 500 Jahre, nachdem Martin Luther seine 95 Thesen wider den Ablasshandel veröffentlicht hat, stehen die Zeichen auf Versöhnung. Der neue Leitspruch heißt „Einheit in Vielfalt“– die Spitzen der Kirchen sprechen oft davon. So auch der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck im Doppelinterview für unser Spezial.
Das Reformationsjubiläum hat die Ökumene vorangebracht. So weit, dass nicht mehr über das Ob, sondern vor allem über das Wie gesprochen wird. In einer zunehmend atheistischen Gesellschaft müssen die Kirchen sichtbar gemeinsam auftreten, um für christliche Werte einzutreten.
Die evangelische Kirche feiert heute, am Reformationstag, das Ereignis, auf das sie ihre Entstehung zurückführt. Der Staat ehrt Luther als Vordenker freiheitlicher Grundrechte. Dafür gibt es einen zusätzlichen Fei- ertag. Selbst die katholische Kirche feiert mit. Sie hat die Einladung der evangelischen Kirche angenommen, gemeinsam mit ihr das Christusfest zu begehen. Luther ging es um die Rückbesinnung auf das Evangelium – und das können beide Kirchen heute nach eigener Auffassung nur noch gemeinsam bezeugen. 2017 könnte in der zukünftigen Geschichtsschreibung als das Jahr vermerkt werden, in dem das Fundament für die sichtbare Einheit gelegt wurde.
Das zentrale Hindernis auf dem Weg dahin ist die Frage des gemeinsamen Abendmahls. Heute scheidet sich die Auffassung darüber vor allem am Amtsverständnis und an unterschiedlicher theologischer Deutung des Leibes Christi. Der neue Kirchentagspräsident Hans Leyendecker hat die Frage der Mahlgemeinschaft kürzlich als existenziell bezeichnet. Papst Franziskus hat gemischtkonfessionellen Ehepaaren ein Entgegenkommen signalisiert. Aber auch alle anderen Geschwister im Glauben, angefangen beim sonntäglichen Gottesdienstgänger und Messebesucher bis hin zu Landesbischöfen und Kardinälen, spüren den Schmerz dieser Trennung. Es wäre so schön, wenn sie die Freude an ihrem Glauben am Tisch des Herrn teilen könnten. Das Leid teilen sie bereits. Sie sprechen heute schon mit einer Stimme, wenn sie Opfer von Krieg, Terror und Gewalt trösten.
Die Reformation wurde zur Volksbewegung, weil sie dem Gläubigen Autonomie zutraute. Wie die Reformation die Gesellschaft veränderte, zeigen wir mit einer Panoramagrafik. Die Einheit der Kirche ist nicht die Herausforderung. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Christen Kraft und Mut finden, ihre Gesellschaft zu gestalten. LUTHER-SPEZIAL