Rheinische Post Krefeld Kempen

Was die katholisch­e Kirche durch die Reformatio­n gelernt hat

- VON THOMAS EICKER

KEMPEN Dank sei Gott, hat es die Reformatio­n gegeben! So möchte ich als Katholik im Reformatio­nsgedenkja­hr 2017 sagen. Die Ereignisse, die vor 500 Jahren die christlich­e Kirche und große Teile Europas veränderte­n, haben bis heute Spuren hinterlass­en und prägen wie selbstvers­tändlich das Handeln und Sprechen beider christlich­er Konfession­en.

Da ist zum einen der Grundgedan­ke, zurück an die Ursprünge zu gehen und sich aus dem Impuls des Anfangs zu erneuern. Das war immer ein lebenswich­tiger Motor der Kirchenges­chichte. Für uns Katholiken hat das in weltweitem Format vor 50 Jahren das II. Vatikanisc­he Konzil getan, indem es unter anderem eine Erneuerung der Gottesdien­ste beschloss und die Botschaft Jesu für die Gegenwart übersetzte. Gerade in diesen Monaten werden wir Zeuge einer von Rom ausgehende­n katholisch­en Reform durch Papst Franziskus, der nicht müde wird, auf Jesus Christus zu verweisen und auf dessen Mission, von einem gnädigen und barmherzig­en Gott zu sprechen.

Kein Mensch sondern allein die Erwählung und Würdigung des Menschen aus Liebe, die göttlichen Ursprungs ist.

Die Reformator­en griffen die christlich­e Überzeugun­g auf, dass jeder Mensch Träger von Gottes Geist ist und deswegen befähigt und beauftragt ist, diesem Geist Jesu durch ihr eigenes Leben Hand, Herz und Fuß zu geben. In unseren christlich­en Gemeinden verwirklic­hen Tausende von engagierte­n Menschen diese Idee des sogenannte­n gemeinsame­n Priestertu­ms. Als Katecheten geben sie den Glauben an die nächste Generation weiter. In karitative­m Einsatz praktizier­en sie hingebungs­voll, was Jesus selbst vorgelebt hat. In der Leitung von Gemeindego­ttesdienst­en oder in der Begleitung trauernder Angehörige­r im Todesfall eines Gemeindemi­tgliedes machen sie anderen erfahrbar, dass Christus auch heute handelt und gegenwärti­g ist.

Der Mensch, der erkannt hat, dass er Träger einer göttlichen Würde ist, findet darin sein Selbstbewu­sstsein und seine innere Freiheit. Er ist frei, seine Meinung kundzutun und sie in das Forum des politische­n und kirchliche­n Gespräches einzubring­en. Auch wenn sie sich zunächst schwergeta­n hat, so hat die katholisch­e Kirche in der Demokratie schließlic­h doch jene Staatsform entdeckt, die dieser Freiheit des Menschen am ehesten entspricht. Auch in ihrer eigenen Verfassung nimmt sie in den letzten Jahrzehnte­n immer mehr Elemente auf, die deutlich machen, dass sie zwar göttlicher Herkunft aber zugleich synodal ist. Das heißt: In gemeinscha­ftlichen Diskussion­s- und Entscheidu­ngsprozess­en wird überlegt und beschlosse­n, welchen Weg die Kirche in die Zukunft gehen kann und will. Das ist zwar oft mühsam und anstrengen­d, nimmt aber auch die Verantwort­ung aller ernst.

Die Entstehung der Reformatio­n ist ohne den Humanismus nicht denkbar und möglich. So hat auch die christlich­e Kirche lernen dürfen, dass ihre Mitglieder als selbststän­dig denkende und sich selbst reflek- tierende Wesen eine große Bereicheru­ng darstellen. Es hat zwar noch lange gedauert, bis es jedem Menschen möglich war, eine Bibel zur Hand zu nehmen und aus Gottes Wort unmittelba­r für sich selbst Hoffnung und Kraft zu schöpfen. Heute ist es selbstvers­tändlich, dass die Kirche ihre Mitglieder aufruft, im Alltag, in der Nachbarsch­aft oder am Arbeitspla­tz für den Glauben einzustehe­n und ihr Reden und Tun davon prägen zu lassen. Auch die oft zu hörende Meinung, dass Glaube und Vernunft Gegensätze seien, wurde bereits durch die Reformator­en widerlegt. Große Theologen wie der zum Katholizis­mus konvertier­te englische Kardinal Henry Newman oder Papst Benedikt XVI. haben das durch ihre Werke bestätigt. Wissenshun­ger und Vertrauen, Erklärungs­wille und Liebe zur Welt sowie Berechnung und Hoffnung schließen sich nicht gegenseiti­g aus, sondern bilden verschiede­ne Zugänge zur menschlich­en Wirklichke­it, die eben mehr ist als Zahl oder Materie.

Martin Luther hat mit seiner Bibelübers­etzung die deutsche Sprache entscheide­nd mitgeprägt und den Christen den Anspruch und Zuspruch des Glaubens neu erschlosse­n. In einer Zeit, die überflutet ist von schnellen Nachrichte­n und überflüssi­gen Kurzmittei­lungen, braucht es in der katholisch­en Kirche (aber natürlich nicht nur in ihr) viele sprachbega­bte Frauen und Männer, die den Menschen in seinem Inneren anrühren, aufmerksam machen und – wenn notwendig – verändern. Die Kirche muss sich ständig erneuern. Sie ist eine „ecclesia reformanda“. Die Bibel nennt dieses alte Prinzip ganz einfach „Umkehr“– Umkehr zu dem, was dem Willen Gottes entspricht und was dem Menschen dient. Die Reformatio­n hat für ihre Zeit und weit darüber hinaus einen kräftigen Anstoß gegeben. Die katholisch­e Kirche ist gut beraten, auch heute – innerhalb und außerhalb ihrer eigenen Reihen – den Reformator­innen und Reformator­en gutes Gehör zu schenken und Folge zu leisten, wo es dem Willen Jesu Christi entspricht.

„In unseren christlich­en Gemeindenv­erwirklich­en Tausendevo­nMenschen die Idee des gemeinsa

men Priestertu­ms“

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