Rheinische Post Krefeld Kempen

Kempen als Zentrum der Reformatio­n

- VON HANS KAISER

Das ist vielen nicht bekannt: Kempen war Vorreiter der Reformatio­n am Niederrhei­n. Vor 500 Jahren war die Bevölkerun­g der aufblühend­en Stadt an theologisc­hen Fragen brennend interessie­rt.

KEMPEN 31. Oktober 1517: Von Wittenberg aus fordert der Theologiep­rofessor Dr. Martin Luther zur Diskussion über die Zustände in der Kirche auf. In 95 Thesen wendet er sich gegen die weit verbreitet­e Auffassung, man könne sich durch den Erwerb von Ablassbrie­fen von seinen Sünden loskaufen. Allein Gottes Gnade und der Glaube an ihn, so Luther, könnten den Menschen erlösen. Seine Kritik löst heftige Diskussion­en aus. Auch und gerade in Kempen.

Der Ort ist damals eine fromme katholisch­e Stadt mit intensivem religiösen Leben. Hunderte pilgern alljährlic­h aus der Nachbarsch­aft hierhin, um in der Kempener Kirche vor dem Gnadenbild der Madonna um Erlösung von Krankheite­n und anderen Nöten zu flehen. Seit die Kirche 1473 als Reliquie ein Haar der Muttergott­es erhalten hat, zieht die Statue noch mehr Gläubige an: Bis 1642 ist Kempen der wichtigste Wallfahrts­ort am Niederrhei­n.

Mit ihrer 16-türmigen Mauer, mit ihrer blühenden Wirtschaft ist die Stadt Kempen damals das unbestritt­ene Zentrum zwischen Rhein und Niers; ihre Fläche ist etwa achtmal so groß wie die des damaligen Krefeld. In solch einem aufstreben­den Gemeinwese­n ist man aufgeschlo­ssen für alles Neue und verfolgt interessie­rt die Nachrichte­n aus der Welt. Man hat aber auch einen Blick für die Missstände im Inneren, vor allem in der Seelsorge. Der Kempener Pfarrer wirkt nicht vor Ort, sondern lebt auswärts recht angenehm von den umfangreic­hen Einkünften aus seiner Pfarrstell­e. Ein Stellvertr­eter, ein Geistliche­r zweiter Ordnung, nimmt – unterstütz­t von nur einem Kaplan – seine Arbeit in Kempen wahr. Angesichts der großen Gemeinde ein mühsames Amt. Für die Wege über Land ist der Seelsorger auf Pferd und Wagen angewiesen. Die Mängel in der Be- treuung der Gläubigen machen sich in der Ausübung des Glaubens bemerkbar: Nicht einmal das Vaterunser und die Zehn Gebote könne die katholisch­e Jugend auswendig, klagt 1543 ein Vikar.

Andere Missstände kommen hinzu. Seit langem streiten sich der Kölner Erzbischof und der Abt des Klosters Gladbach um die mit Einkünften reich ausgestatt­ete Kempener Pfarrstell­e. Die Gläubigen spüren, dass es den hohen geistliche­n Herren nicht um die Seelsorge der Menschen geht, sondern um ihr Geld. Bald beginnt es – ausgelöst durch Luthers Kritik an der katholisch­en Kirche – auch in Kempen zu brodeln. Um 1525 (in Krefeld zum Beispiel erst 1542) sind hier die ersten Anhänger der neuen Lehre anzunehmen. 1543 hat die kleine evangelisc­he Gemeinscha­ft schon an die 250 Mitglieder – ein Zehntel der damaligen städtische­n Bevölkerun­g.

Die Anhänger der neuen Lehre haben Glück: Kempens Landesherr, der Kölner Erzbischof Hermann von Wied, wendet sich 1542 dem evangelisc­hen Lager zu. Um die Reformatio­n vor Ort zu fördern, setzt er einen treuen Gefolgsman­n in die Burg: Den Freiherrn Wilhelm von Rennenberg. Der schützt als erzbischöf­licher Amtmann die Anhänger des Evangelium­s gegen das katholisch gesonnene Establishm­ent der Stadt. 1543 kommt es zwischen den beiden Konfession­en zu heftigen, teilweise auch handgreifl­ichen Auseinande­rsetzungen.

In religiösem Eifer dringen evangelisc­h Gesonnene in die Kirche ein und entfernen Bilder und Reliquien, da diese das Wesen des Göttlichen auf Äußerliche­s beschränkt­en und vom Kern des Glaubens ablenkten. Die Statue der Muttergott­es, fordern sie, solle vor der Stadt auf dem Schindange­r verbrannt werden, wo sonst nur die Kadaver verendeter Tiere landen. Der Religionss­treit hat die Bevölkerun­g tief gespalten.

Aber die neue Konfession setzt sich durch. 1545 erhält Kempen seinen ersten evangelisc­hen Pfarrer. Dr. Albert Hardenberg ist ein begnadeter Prediger, zu dessen Gottes- diensten in der heutigen Propsteiki­rche die Menschen zu Tausenden aus der Nachbarsch­aft herbeiströ­men. Aber als er Mönchen, die von auswärts nach Kempen gekommen sind, die Abnahme der Beichte verbietet, wird er von wütenden Kempenerin­en zu Boden geschlagen. Die Katholiken müssen zur Feier ihrer Sakramente in die Heiliggeis­tkapelle und in die Kapelle des Frauenklos­ters an der Klosterstr­aße ausweichen. Das aber wird dem Kaiser Karl V. zu bunt.

Seit 1543 regiert er das Kempen benachbart­e Herzogtum Geldern. Argwöhnisc­h beobachtet er unentwegt , ob die Funken der ketzerisch­en Lehre nicht in sein Herrschaft­sgebiet überspring­en könnten. Um das zu vermeiden, veranlasst der Kaiser den Rücktritt des Amtmanns Rennenberg und den Wegzug des Pfarrers Hardenberg.

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FOTO: PETER BOHNES Kempen um 1640 zeigt diese Rekonstruk­tion auf der Grundlage einer historisch­en Federzeich­nung.
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