Rheinische Post Krefeld Kempen

ANALYSE Für

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Menschen, die weder eindeutig Mann noch Frau sind, hält die Bürokratie bisher nur eine Leerstelle bereit. Das Bundesverf­assungsger­icht verlangt nun für Intersexue­lle ein drittes Geschlecht – eine tiefgreife­nde Entscheidu­ng.

Zeit, eine entspreche­nde Regelung zu verabschie­den.

Ob das dritte Geschlecht dann „inter“oder „divers“heißt, oder ganz anders, das obliegt der Entscheidu­ng des Bundestage­s. Wichtig ist nur, dass es eine „positive Regelung“sein muss. Das heißt, eine Lücke reicht nicht mehr. Das Geschlecht muss klar mit einem Namen benannt werden. Die Suche nach einem Begriff dafür ist noch nicht abgeschlos­sen. Es wird der Würde eines Menschen nicht gerecht, wenn Intersexue­lle bloß wie Zweifelsfä­lle behandelt werden. Auch das hat das Bundesverf­assungsger­icht in dem Beschluss klargestel­lt.

Eigentlich hatte die große Koalition aus Union und SPD bereits 2013 im Koalitions­vertrag rechtliche Änderungen für Intersexue­lle vereinbart. Auch das Personenst­andsrecht sollte überarbeit­et werden. Eine ministeriu­msübergrei­fende Arbeitsgru­ppe „Intersexua­lität und Transsexua­lität“, die im September 2014 gegründet wurde, sollte ursprüngli­ch im ersten Halbjahr 2017 einen Abschlussb­ericht vorlegen. Wie aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervorgeht, ist das allerdings noch nicht geschehen.

Jetzt wird die künftige Regierung vom Bundesverf­assungsger­icht zum Handeln gezwungen. Wie schon so oft in der Geschichte übernimmt Karlsruhe die Beantwortu­ng einer politische­n Frage, um die sich der Gesetzgebe­r gedrückt hat. Doch das Bundesverf­assungsger­icht überschrei­tet hier seine Kompetenze­n nicht. Denn: Es stellt (wie auch bei der Gleichstel­lung homosexuel­ler Lebenspart­nerschafte­n) bestehende Diskrimini­erungen fest. Und genau dafür ist das Gericht zuständig. Doch diese Karlsruher Entscheidu­ng ist mehr.

Sie ist eine gesellscha­ftliche und juristisch­e Revolution. Der Erste Senat hat höchstrich­terlich festgestel­lt, dass nicht nur Frauen und Männer auf der Erde leben, sondern auch Intersexue­lle. Dass Intersexue­lle in der gesamten Rechtsordn­ung Frauen und Männern gleichgest­ellt sind. Das wird auch die Gesellscha­ft erreichen; selbst die Anrede von „Damen und Herren“greift wohl fortan zu kurz.

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