Rheinische Post Krefeld Kempen
Merkels mühsamer Machtpoker
Angela Merkel macht in den Jamaika-Sondierungen das, was sie aus dem Effeff beherrscht: Sie moderiert und mahnt nach innen, tüftelt im Verborgenen Kompromisse aus und schweigt nach außen. Bis auf ihre zuversichtliche, aber spärliche Zwischenbilanz vor einer Woche haben die Bürger von ihr in der aufgeheizten Phase dieser ersten Verhandlungen über ein schwarz-gelb-grünes Bündnis noch nichts gehört.
Das ist nicht ohne Risiko. Denn so entsteht der Eindruck, gerade die Kanzlerin und ihre Partei hätten weniger zu bieten als die viel kleineren Gesprächspartner CSU, FDP und Grüne. Für die CDU-Chefin ist es aber Zeitverschwendung, öffentlich Bedingungen für eine Koalition zu stellen oder die jetzigen politischen Konkurrenten und möglichen künftigen Weggefährten zu provozieren. Sie setzt in ihrem Machtpoker lieber alles auf die ihr so vertraute Karte des mühsamen Ringens um die für alle Seiten gesichtswahrende Lösung. Die 63-Jährige will diese Regierung bilden – nicht um jeden Preis, aber mit der Bereitschaft zu hohem Einsatz. Gestern schlossen die Unterhändler erste Kompromisse. Der Punkt ist nicht mehr fern, an dem so viele Hürden genommen sind, dass niemand mehr umkehren will. BERICHT JAMAIKA FINDET ERSTE EINIGUNGEN, TITELSEITE
Dass Politiker vor Wahlen anders reden als danach, ist kein Alleinstellungsmerkmal der aktuellen Landesregierung. Auch die rotgrüne Vorgängerregierung hatte vor der Wahl zu viel versprochen: Auf gerechtere Bildungschancen, mehr Wohneigentumsförderung für Familien, einen glücklichen Inklusions-Alltag und Sparerfolge warteten die rot-grünen Wähler vergebens. Auch im Bund sind politische Kurswechsel bei neuen Regierungen die Regel. Ex-SPD-Chef Franz Müntefering sagte sogar einmal: „Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.“
Einen harten Bruch mit ihren Wahlversprechen hat Schwarz-Gelb sich noch nicht geleistet. Aber nach drei Monaten Regierungsverantwortung wird deutlich: Auch CDU und FDP können etliche Positionen aus Oppositionszeiten nicht mehr verteidigen. Die Wähler werden es ihnen nachsehen, solange Schwarz-Gelb die wichtigsten Wahlversprechen erfüllt: weniger Staus, weniger Kriminalität, Milliardeneinsparungen in der Verwaltung. Im neuen Jahr müssen die ersten Erfolge sichtbar werden. BERICHT
BWahl und Wirklichkeit
Nicht nur Vergangenheit
ald 100 Jahre liegt das Ende des Ersten Weltkriegs zurück, aber bis heute sind seine indirekten Folgen in Europa und der Welt zu spüren. Schlimmer noch: Wir erleben gerade eine Renaissance jenes nationalistischen Denkens, das die Katastrophe damals mit ausgelöst hat. Deswegen ist es eine wichtige politische Geste, wenn sich das französische und das deutsche Staatsoberhaupt treffen, um gemeinsam feierlich ein Weltkriegsmuseum zu eröffnen. Ein Akt, der jüngeren Generationen verstaubt vorkommen mag, der aber auch daran erinnert, wie viel Kraft Europa und ganz besonders die ehemaligen Erzfeinde Deutschland und Frankreich aus der konsequenten, manchmal auch schmerzhaften Verarbeitung der Vergangenheit gezogen haben.
Der Blick zurück ist wichtig, er ist vielleicht sogar typisch europäisch. Aber er darf auch nicht zur ewigen historischen Nabelschau geraten. In Asien und Amerika schaut man lieber konsequent nach vorne, redet lieber über die Zukunft als über die Vergangenheit. Wir müssen in Europa aufpassen, dass wir über das Gestern nicht das Morgen verpassen. BERICHT FREUNDE AM MENSCHENFRESSERBERG, SEITE A6