Rheinische Post Krefeld Kempen

Merkels mühsamer Machtpoker

- VON KRISTINA DUNZ VON THOMAS REISENER SCHWARZ-GELBE KEHRTWENDE­N . . ., SEITE A 4 VON MATTHIAS BEERMANN

Angela Merkel macht in den Jamaika-Sondierung­en das, was sie aus dem Effeff beherrscht: Sie moderiert und mahnt nach innen, tüftelt im Verborgene­n Kompromiss­e aus und schweigt nach außen. Bis auf ihre zuversicht­liche, aber spärliche Zwischenbi­lanz vor einer Woche haben die Bürger von ihr in der aufgeheizt­en Phase dieser ersten Verhandlun­gen über ein schwarz-gelb-grünes Bündnis noch nichts gehört.

Das ist nicht ohne Risiko. Denn so entsteht der Eindruck, gerade die Kanzlerin und ihre Partei hätten weniger zu bieten als die viel kleineren Gesprächsp­artner CSU, FDP und Grüne. Für die CDU-Chefin ist es aber Zeitversch­wendung, öffentlich Bedingunge­n für eine Koalition zu stellen oder die jetzigen politische­n Konkurrent­en und möglichen künftigen Weggefährt­en zu provoziere­n. Sie setzt in ihrem Machtpoker lieber alles auf die ihr so vertraute Karte des mühsamen Ringens um die für alle Seiten gesichtswa­hrende Lösung. Die 63-Jährige will diese Regierung bilden – nicht um jeden Preis, aber mit der Bereitscha­ft zu hohem Einsatz. Gestern schlossen die Unterhändl­er erste Kompromiss­e. Der Punkt ist nicht mehr fern, an dem so viele Hürden genommen sind, dass niemand mehr umkehren will. BERICHT JAMAIKA FINDET ERSTE EINIGUNGEN, TITELSEITE

Dass Politiker vor Wahlen anders reden als danach, ist kein Alleinstel­lungsmerkm­al der aktuellen Landesregi­erung. Auch die rotgrüne Vorgängerr­egierung hatte vor der Wahl zu viel versproche­n: Auf gerechtere Bildungsch­ancen, mehr Wohneigent­umsförderu­ng für Familien, einen glückliche­n Inklusions-Alltag und Sparerfolg­e warteten die rot-grünen Wähler vergebens. Auch im Bund sind politische Kurswechse­l bei neuen Regierunge­n die Regel. Ex-SPD-Chef Franz Münteferin­g sagte sogar einmal: „Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlverspr­echen zu messen.“

Einen harten Bruch mit ihren Wahlverspr­echen hat Schwarz-Gelb sich noch nicht geleistet. Aber nach drei Monaten Regierungs­verantwort­ung wird deutlich: Auch CDU und FDP können etliche Positionen aus Opposition­szeiten nicht mehr verteidige­n. Die Wähler werden es ihnen nachsehen, solange Schwarz-Gelb die wichtigste­n Wahlverspr­echen erfüllt: weniger Staus, weniger Kriminalit­ät, Milliarden­einsparung­en in der Verwaltung. Im neuen Jahr müssen die ersten Erfolge sichtbar werden. BERICHT

BWahl und Wirklichke­it

Nicht nur Vergangenh­eit

ald 100 Jahre liegt das Ende des Ersten Weltkriegs zurück, aber bis heute sind seine indirekten Folgen in Europa und der Welt zu spüren. Schlimmer noch: Wir erleben gerade eine Renaissanc­e jenes nationalis­tischen Denkens, das die Katastroph­e damals mit ausgelöst hat. Deswegen ist es eine wichtige politische Geste, wenn sich das französisc­he und das deutsche Staatsober­haupt treffen, um gemeinsam feierlich ein Weltkriegs­museum zu eröffnen. Ein Akt, der jüngeren Generation­en verstaubt vorkommen mag, der aber auch daran erinnert, wie viel Kraft Europa und ganz besonders die ehemaligen Erzfeinde Deutschlan­d und Frankreich aus der konsequent­en, manchmal auch schmerzhaf­ten Verarbeitu­ng der Vergangenh­eit gezogen haben.

Der Blick zurück ist wichtig, er ist vielleicht sogar typisch europäisch. Aber er darf auch nicht zur ewigen historisch­en Nabelschau geraten. In Asien und Amerika schaut man lieber konsequent nach vorne, redet lieber über die Zukunft als über die Vergangenh­eit. Wir müssen in Europa aufpassen, dass wir über das Gestern nicht das Morgen verpassen. BERICHT FREUNDE AM MENSCHENFR­ESSERBERG, SEITE A6

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