Rheinische Post Krefeld Kempen
Die überschätzte Konferenz
BONN Was von der größten Konferenz auf deutschem Boden – 25.000 Teilnehmer sind noch bis Ende nächster Woche zum Klimagipfel in Bonn versammelt – bleiben wird, lässt sich zur Halbzeit noch nicht sagen. Seit der ersten Klimakonferenz 1995 in Berlin ist es quasi Tradition, dass vor dem Erscheinen der Minister, Staats- und Regierungschefs in der zweiten Woche kaum Bewegung in die Verhandlungspositionen kommt. In Kopenhagen hat nicht einmal dieses Konzept funktioniert – der Gipfel in der dänischen Hauptstadt endete 2009 im Desaster. In Paris 2015 wiederum führte eine Spitzenleistung der französischen Präsidentschaft zu einem Erfolg, der nicht nur die deutsche Umweltministerin zu Tränen rührte.
Vor zwei Jahren hat die Weltgemeinschaft ein gemeinsames Ziel formuliert: Bis zum Ende des Jahrhunderts soll die Temperatur der Erdatmosphäre um nicht mehr als zwei Grad steigen, besser noch nur um 1,5 Grad. Das erfordert enorme Anstrengungen – je nach Land höchst unterschiedliche. Die einen müssen das Roden tropischer Regenwälder (die enorm viel Kohlendioxid „schlucken“können) stoppen, die anderen das Verbrennen von Kohle und Öl drastisch einschränken.
Wer was unternimmt, um die Erderwärmung zu bremsen, wie die Ergebnisse gemessen und verglichen werden können – all das blieb nach dem Durchbruch von Paris noch offen. In einem mehrjährigen Prozess sollen die Regeln für diese Aufgaben formuliert werden. Die Bonner Konferenz ist nicht viel mehr als eine Etappe auf diesem mühseligen Weg, fast 200 Vertragsstaaten auf einen gemeinsamen Nenner in diesen Fragen zu bringen.
Die Vorstellung, dass Untätigkeit oder Verfehlen von Zielen in irgendeiner Weise bestraft wird, erscheint utopisch. Zumal in Zeiten, in denen strauchelnde Musterschüler im Fach Klimaschutz wie Deutschland ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreichen können.
Die Bundesregierung hat allerdings bei einem bislang unterschätzten The- ma ein vorbildliches Zeichen gesetzt: bei den Finanzhilfen für Staaten, in denen die Erwärmung bereits Schäden angerichtet hat. Deutschland stockt seine Zusagen auf 240 Millionen Euro auf. Der Klima-Anpassungsfonds kommt Staaten wie Fidschi zugute. Das Inselreich im Südpazifik – eigentlicher Gastgeber der Bonner Konferenz – ist vom Meeresanstieg akut bedroht, ohne selbst nennenswert durch den Ausstoß von Kohlendioxid zum Klimawandel beigetragen zu haben. Vereinbart ist, dass ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar in den Fonds fließen.
Wer die Verursacher sind, wird dem Besucher der höchst anregenden Ausstellung „Wetterbericht“in der Bonner Bundeskunsthalle deutlich vor Augen geführt: Auf einem Monitor symbolisieren rote und gelbe Flecken den steigenden CO2-Ausstoß – sie züngeln fast nur auf der Nordhalbkugel.
Bei den Hilfsgeldern sind in Bonn die größten Fortschritte zu erwarten. Der Beitritt des blutrünstigen Assad-Re- 2014 bis 2016 waren weltweit die wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Abweichung von der Durchschnittstemperatur des 20. Jahrhunderts in Grad Celsius.
1880 1900 1920 0,8
°C
0,6
0,4
0,2
0,0
-0,2
-0,4
1940 gimes in Syrien und des bettelarmen Nicaragua zum Pariser Abkommen dürfte eher eine Fußnote bleiben. Die USA, die den Austritt aus dem Vertrag für 2020 angekündigt haben, sind hingegen völlig isoliert. Die US-Delegation, die in Bonn noch mit dabei ist, hält sich auffallend zurück.
Das Gewicht der Mammut-Konferenz hält sich also in Grenzen. Da bleibt ausreichend Raum für jeden Einzelnen, darüber nachzudenken, wie er persönlich zur Begrenzung des Klimawandels beitragen kann. Der Philosoph Hans Jonas hat es einmal so formuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“Große Worte. Gefährde ich wirklich den Fortbestand der Menschheit, wenn ich Jahr für Jahr mehrere Übersee-Urlaubreisen unternehme oder ein überdimensioniertes Auto mit Verbrennungsmotor fahre? Genau genommen ist die Antwort natürlich Ja, wenn sich auch das Ausmaß nur in Zif-
Wärmerekord
Es bleibt ausreichend Raum für den Einzelnen, über seinen eigenen Beitrag zum Klimaschutz nachzudenken
1960
Rekordjahr 2016: + 0,94°C
1980
2000 2010
2010: + 0,70 °C
+ 0,63 °C