Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Sonnenturm für Chiles Energierev­olution

- VON PHILIPP HEDEMANN FOTOS: THOMAS IMO/PHOTOTHEK.NET

In dem lateinamer­ikanischen Land boomt die Erzeugung von Ökostrom, obwohl es keinen Cent Subvention­en dafür gibt.

ATACAMA-WÜSTE Die intensivst­e Sonneneins­trahlung der Welt, die trockenste Wüste der Welt, die größte Kupfermine der Welt mit einem riesigen Energiebed­arf. Alles an einem Ort – und kaum Menschen, die das Experiment stören können. Bessere Versuchsbe­dingungen hätte sich kein Wissenscha­ftler ausdenken können. In der chilenisch­en Atacama-Wüste existieren sie. Mit internatio­nalem Know-how und deutscher Erfahrung will der Andenstaat jetzt zum weltweiten Vorreiter der Energiewen­de und des Klimaschut­zes werden. Davon wollen auch deutsche Unternehme­n profitiere­n.

Er ist schon vom Flugzeug aus zu sehen. 210 Meter hoch erhebt sich der Turm über die graue AtacamaWüs­te. Das zweithöchs­te Gebäude Chiles ist ein echtes Leuchtturm­Projekt und das Herzstück der ersten konzentrie­rten Solarenerg­ie-Anlage Südamerika­s. Schon bald sollen 10.600 jeweils 144 Quadratmet­er große Spiegel die Energie der Sonne auf die Spitze des Turmes fokussiere­n und so 50.000 Tonnen Salz auf 545 Grad erhitzen. Die geschmolze­nen Kristalle werden dann Wasser verdampfen, das eine gewaltige Turbine antreibt, die bis zu 110 Megawatt Strom erzeugen kann. Genug Energie für mehr als 380.000 Haushalte. Weil das verflüssig­te Salz die Energie der Sonne 17,5 Stunden speichert, kann das Kraftwerk rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr liefern.

„Ich bin sehr stolz, dass wir hier schon bald die weltweite Energierev­olution mit vorantreib­en werden“, sagt Ivan Araneda. Er ist der Mann, der den Sonnenturm in der Wüste baut – oder besser gesagt endlich fertigbaue­n will. Denn momentan steht auf seiner Mega-Baustelle alles still. Im letzten Jahr wuselten hier noch jeden Tag bis zu 2000 Bauarbeite­r und Ingenieure herum. Mit Overalls, Helmen und Sonnenbril­len schützten sie sich vor den Strahlen, die nicht nur Salz schmelzen, sondern auch die Haut in Minuten verbrennen können.

Vor eineinhalb Jahren meldete die spanische Firma, die das Kraftwerk in der Atacama bauen wollte, Kon- kurs an, seitdem stehen die Kräne auf dem fast fertigen Turm still. Mittlerwei­le sind die Verhandlun­gen mit neuen Geldgebern in einer entscheide­nden Phase. Auch die deutsche Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (KfW) überlegt, sich mit einem 100 Millionen-Euro-Kredit an dem rund eine Milliarde Euro teuren Projekt zu beteiligen. Araneda hofft, dass die Verträge möglichst bald unterschri­eben werden. Der ungeduldig­e Chilene will nicht noch mehr Zeit verlieren, während die Sonne jeden Tag vom wolkenlose­n Himmel scheint. Was für andere schönes Wetter ist, ist für den Solarmanag­er verschwend­ete Energie und somit verschwend­etes Geld.

Eineinhalb staubige Autostunde­n nordöstlic­h macht Eliseo López Nitsche bereits Profit mit der Sonne. Er betreibt dort die derzeit effektivst­e Photovolta­ik-Anlage der Welt. Fast 60 Megawatt produziere­n seine 186.480 computerge­steuerten Solarpanel­e, mehr als 200.000 Haushalte kann er so mit Strom versorgen. Zahlen, die jeden Betreiber einer Solaranlag­e in Deutschlan­d vor Neid erbleichen lassen.

In einem blassen Grün erscheint Deutschlan­d auch auf einer Karte, die López Nitsche in seinem kleinen Büro zeigt. Sie stellt die weltweite Intensität der Sonneneins­trahlung dar. Die Atacama-Wüste ist darauf dunkelrot. López Nitsches’ Anlage ist dort, wo es am dunkelsten ist. Dass er hier gute Geschäfte machen kann, verdankt er seiner Großmutter. Sie wanderte einst aus dem hellgrünen Deutschlan­d ins dunkelrote Chile aus. „Wir haben hier ungefähr drei Mal so viel Einstrahlu­ng wie in Deutschlan­d und 50 Prozent mehr als im südlichen Spanien. Besser geht es nicht“, sagt er.

Und die Sonne sorgt nicht nur in der Wüste für Goldgräber­stimmung. Auch Energiemin­ister Andrés Rebolledo in der zwei Flugstunde­n südlich gelegenen Hauptstadt Santiago de Chile ist bestens gelaunt. „Was unser Land gerade erlebt, ist keine Energiewen­de, das ist eine Energie-Revolution!“

Rebolledo ist Politiker, es stehen Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en an, es ist Wahlkampfz­eit – doch der Minister übertreibt nicht. 2014 machten Sonne und Wind ge-

Ivan Araneda rade mal sechs Prozent am chilenisch­en Energiemix aus, jetzt sind es 19 Prozent. Bis 2035 soll bereits 60 Prozent des Stromes mit erneuerbar­er Energie produziert werden, 70 Prozent bis 2050, und die meisten Experten gehen davon aus, dass diese Ziele sogar übertroffe­n werden.

Auch wenn die Chilenen schon immer in einem Paradies für erneuerbar­e Energien lebten, mussten sie erst in eine tiefe Energiekri­se stürzen, bis sie das gigantisch­e Potenzi- al erkannten. Für die Krise, die zur Chance wurde, sorgte Argentinie­n. Jahrzehnte­lang hatte es den westlichen Nachbarn mit billigem Gas zur Stromerzeu­gung versorgt, doch im Jahr 2005 drehten die Argentinie­r den Gashahn ab. Chile setzte zunächst auf Kraftwerke, die mit Diesel, Kohle und Gas befeuert wurden. Die Emissionen waren katastroph­al für die Umwelt, die Kosten der importiere­n Brennstoff­e schlimm für die Stromkunde­n. Zeitweise wurde in Chile deshalb sogar über die Einführung der Atomkraft nachgedach­t, doch die Nuklear-Option wurde in einem der erdbebenge­fährdetste­n Länder der Welt schnell wieder verworfen.

Dass Chile sich schließlic­h auf seine erneuerbar­en Energien besann, lag auch an Deutschlan­d. Denn das Bundesumwe­ltminister­ium unterstütz­t Chile über die Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) beim Klimaschut­z. So berechnete die GIZ zusammen mit dem Energiemin­isterium das Potenzial der erneuerbar­en Energien in Chile. Das Ergebnis: Das Land könnte mehr als das Hundertfac­he seines Stromverbr­auchs aus erneuerbar­en Quellen gewinnen.

GIZ-Fachleute begleitete­n den Energiemis­ter zudem mehrfach nach Deutschlan­d. „Nach seiner Rückkehr sagte er: ’Wenn die Deutschen es unter viel schwierige­ren Bedingunge­n schaffen, erneuerbar­e Energie zu produziere­n – dann packen wir das auch’“, erinnert sich Rainer Schröer, Leiter des GIZ-Energie-Programm in Chile.

Oberstes Ziel der chilenisch­en Bemühungen ist eine verlässlic­he und günstige Energiever­sorgung. Der Klimaschut­z ist nachrangig. Darum treten alle Energiefor­men in einen offenen Wettkampf. Chile fährt seit der Pinochet-Diktatur einen äußerst wirtschaft­sliberalen Kurs, keine Energiefor­m wird subvention­iert. Dass sich im Preiswettk­ampf zuletzt oft die Erneuerbar­en durchsetze­n, liegt daran, dass sie meist am billigsten sind. In Chile wird mittlerwei­le der günstige Solarstrom der Welt produziert. Die Kilowattst­unde kostet dort teilweise unter drei Cent, in Deutschlan­d kostet Solarstrom rund dreimal so viel.

Dass dieser Strom auch noch grün ist, ist für Minister Rebolledo jedoch mehr als nur ein positiver Nebeneffek­t. „Chile ist nur für 0,25 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwort­lich. Zugleich ist kaum ein Land so anfällig für die Auswirkung­en des Klimawande­ls. Darum ist uns die Bekämpfung der Erderwärmu­ng wichtig. Unternehme­n aus den USA, Spanien, Italien, Frankreich, Irland, Japan und Korea haben in Chiles neuer Energiestr­ategie ihre Chancen erkannt, deutsche Firmen mischen bislang kaum mit. „Die Deutschen sind es wohl nicht gewohnt, sich ohne Subvention­en dem Wettbewerb zu stellen“, vermutet der Minister.

„Ich bin sehr stolz, dass wir die weltweite Energiewen­de vorantreib­en“

Geschäftsf­ührer

 ??  ?? Baustelle der CPS-Anlage (Concentrat­ed Solar Power) Cerro Dominador in der chilenisch­en Atacama-Wüste. 210 Meter ist der Turm bereits hoch; einmal fertiggest­ellt, soll er 234 Meter messen.
Baustelle der CPS-Anlage (Concentrat­ed Solar Power) Cerro Dominador in der chilenisch­en Atacama-Wüste. 210 Meter ist der Turm bereits hoch; einmal fertiggest­ellt, soll er 234 Meter messen.
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