Rheinische Post Krefeld Kempen

Kim Jong Un verschafft Japans Nationalis­ten Rückenwind

- VON SONJA BLASCHKE

TOKIO Ausgerechn­et dem Erzfeind Nordkorea hat es der japanische Regierungs­chef Shinzo Abe wohl zu verdanken, dass er weiter im Amt ist. Abe, der seit 2012 im Amt trotz vieler Kontrovers­en fast unangreifb­ar schien, war im Juli wegen Skandalen um mutmaßlich­e Korruption und Vetternwir­tschaft auf Zustimmung­swerte von 30 Prozent abgestürzt. Doch durch das Säbelrasse­ln aus Pjöngjang bekam Abe, der als militärisc­her Falke gilt, wieder Rückenwind. Seine Strategie, für Mitte Oktober vorzeitig Neuwahlen anzusetzen und dabei die Schwäche der Opposition zu nutzen, ging auf.

Die konservati­ve Regierungs­koalition von Abes Liberaldem­okraten (LDP) mit der neobuddhis­tischen Partei Komeito konnte sich erneut eine Zweidritte­lmehrheit im Unterhaus sichern. Damit ist Abes langfristi­ges Ziel, Japans pazifistis­che Verfassung zu reformiere­n und das ostasiatis­che Land militärisc­h aufzurüste­n, in Reichweite gerückt.

Abes Gegner kritisiere­n, der Premier wolle an das imperialis­tische Großmachts­treben von vor dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen. Seit Abe im Amt ist, werden Patriotism­us-Erziehung in Schulen großund japanische Kriegsverb­rechen in Geschichts­büchern kleingesch­rieben. Schon sein Großvater Nobusuke Kishi, Rüstungsmi­nister im Krieg und späterer Premiermin­ister, hatte versucht, die Friedensve­rfassung von 1947 zu revidieren. Japanische Nationalis­ten betrachten das von den Amerikaner­n formuliert­e und dem Land diktierte Dokument als Zeichen der Schande.

Mit einer Zweidritte­lmehrheit in beiden Kammern des Parlamente­s könnte Abe ein nationales Referendum über eine Revision der Verfassung ansetzen. Er kündigte bereits an, dafür die Zusammenar­beit mit der Opposition zu suchen. Den Zeitplan dafür ließ er am Tag nach seinem Wahlsieg zunächst offen, er hatte zuvor aber bereits das Jahr 2020 ins Gespräch gebracht.

Abe ist bewusst, wie heikel die Frage ist: Japan ist tief gespalten in der Frage der Verfassung. Vor allem Artikel neun, in dem Japan für immer auf die Nutzung von Waffen und Krieg zur Lösung von Konflikten verzichtet, möchten viele auf keinen Fall geändert sehen.

Der langjährig­e Japan-Kenner und Professor an der amerikanis­chen Columbia-Universitä­t, Gerald Curtis, glaubt, dass die pragmatisc­he Seite Abes am Ende die Ober- hand behalten wird. „Abe will zwar die Verfassung­sänderung sehen. Aber wenn er versucht, die Reform durchzudrü­cken, würde das das Parlament so blockieren, dass kaum noch etwas anderes erledigt würde.“Er erwarte daher nicht, dass in den kommenden zwei Jahren viel passiere, sagte Curtis. Die Zeit drängt auch nicht: Beobachter sehen es als wahrschein­lich an, dass Abe 2018 zum dritten Mal LDP-Parteichef wird. Er könnte dann bis 2021 regieren.

Von der Opposition hat Abe nicht viel Gegenwind zu erwarten. Kurz vor der Wahl waren die Demokraten (DPJ), die bislang größte Opposition­spartei, auseinande­rgebrochen, als die populäre Gouverneur­in von Tokio, Yuriko Koike, eine neue Partei gründete. Konservati­ve DPJ-Mitglieder wechselten in Koikes Lager. Die frühere Verteidigu­ngsministe­rin unterstütz­t eine Verfassung­srevision, wenn auch in anderer Form als Abe. Kritik dürfte nur aus den Reihen der Kommuniste­n sowie der neu gegründete­n Konstituti­onellDemok­ratischen Partei (CDP) kommen. Die Partei, die eine Revision des Friedensar­tikels ablehnt, stieg mit 55 Sitzen überrasche­nd zur zweitgrößt­en Partei auf, vor Koikes Partei mit 50. Die CDP hatte liberale Ex-DPJ-Mitglieder aufgenomme­n.

Rückendeck­ung für das Ziel der Aufrüstung der sogenannte­n Selbstvert­eidigungss­treitkräft­e bekommt Abe aus Amerika. Japans wichtigste­r Bündnispar­tner fordert schon seit vielen Jahren, dass Japan militärisc­h eigenständ­iger wird. Die beiden Länder verbindet seit den 60er Jahren ein Verteidigu­ngsbündnis.

Tokio versuche, die NordkoreaK­rise zu nutzen, um mehr Einfluss in der Koordinati­on der bilaterale­n Sicherheit­sbeziehung­en zu erhalten, sagt der Japan- und NordkoreaE­xperte Sebastian Maslow, Assistenzp­rofessor an der Universitä­t Kobe. Zugute dürfte Japan dabei das offenbar gute Verhältnis Abes zu US-Präsident Donald Trump kommen, der Anfang November zu einem Japan-Besuch erwartet wird.

Geplant sind Treffen mit Abe, dem Kaiserpaar sowie den Eltern von durch nordkorean­ische Agenten entführten Japanern. Nordkorea ist für Japaner das Feindbild schlechthi­n, seit 2002 bekannt wurde, dass es um 1980 über ein Dutzend Japaner entführte. „Die Entführung­sfrage hat Nordkorea tief im Bewusstsei­n der Japaner verankert“, sagt Maslow. „Es fungiert seit Jahren als Projektion­sfläche für Japans sicherheit­spolitisch­e Sorgen.“

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FOTO: IMAGO Nach dem Wahlsieg seiner Liberaldem­okratische­n Partei kann Japans Premier Shinzo Abe seinen Plan einer Verfassung­sänderung vorantreib­en.

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