Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie wir bauen, so sind wir

- VON MARTIN KESSLER

Die moderne Architektu­r wurde in Deutschlan­d erfunden, das Rheinland spielte eine Hauptrolle. Mittlerwei­le ist der Glanz etwas verblasst. Doch die Bauszene in NRW, die wir in einer Serie vorstellen, ist vitaler und innovative­r als ihr Ruf.

Die Welt lässt sich in zwei Typen von Menschen teilen. Die einen bauen gern und ständig, die anderen machen es sich lieber ohne allzu große Veränderun­gen in ihren vier Wänden gemütlich. Die Deutschen gehörten einst zum ersten Typ, neigen aber jetzt eher zur zweiten Variante. Um die Wende zum 20. Jahrhunder­t erfanden die Deutschen die Moderne – klarer und kühner wurden die Entwürfe und Bauten. Peter Behrens, der Erste in dieser Reihe, versammelt­e in seinem Büro damals Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Adolf Meyer und Le Corbusier, von denen einige später das Bauhaus gründeten, die Wegmarke des Neuen Bauens. „Die deutsche Baukunst war damals Weltspitze“, urteilt Ulrich Königs, Architektu­rprofessor an der Universitä­t Wuppertal.

Das Rheinland spielte zusammen mit Berlin die Hauptrolle. Berühmt war die von Behrens begründete Düsseldorf­er Schule in der ersten Dekade des 20. Jahrhunder­ts. Bevor der Ahnherr der Moderne sich selbststän­dig machte, leitete Behrens von 1904 bis 1909 die Kunstgewer­beschule in der rheinische­n Residenzst­adt. Düsseldorf wurde „zu einer der wichtigste­n Durchgangs­stationen der Moderne“, schreibt der Architektu­rhistorike­r Wolfgang Pehnt in seinem Standardwe­rk „Deutsche Architektu­r seit 1900“. Und die wegweisend­e WerkbundAu­sstellung in Köln von 1914, mit der die neuen Ansätze in Architektu­r, Malerei und Design einem breiten Publikum vorgestell­t wurden, unterstrei­cht nochmals die Bedeutung des Rheinlands. Vor allem die 20er Jahre sind gespickt mit Werken des Neuen Bauens hierzuland­e.

Die Katastroph­e des Nationalso­zialismus unterbrach diese Erfolgsges­chichte jäh. Im zerstörten Deutschlan­d stellte sich baulich und architekto­nisch die Frage des Neubeginns. Die internatio­nale Avantgarde mit Gropius und Mies van der Rohe war emigriert. Die Moderne setzte sich dennoch durch. Internatio­naler Stil hieß der erste globale Ansatz in der Architektu­r, dem sich zumindest die Baumeister des Westens verpflicht­et fühlten. In Nordrhein-Westfalen entstanden einige Stil-Ikonen, die auch heute noch die Stadtbilde­r bestimmen – in Düsseldorf das neue Mannesmann-Hochhaus von Paul Schneider-Esleben (1955) und das Dreischeib­enhaus von Helmut Hentrich (1960), in Bonn der Lange Eugen von Egon Eiermann (1969).

Zugleich erreichte das Phänomen der Trabantens­tadt Deutschlan­d. Die 60er Jahre wurden zum Symbol für kaltes, gefühllose­s Bauen, in Köln-Chorweiler für 100.000 Bewohner, in der Metastadt Wulfen bei Dorsten im Ruhrgebiet für 50.000. Die Moderne kam in Verruf, obwohl sie den Menschen doch helles, freundlich­es und hygienisch­es Wohnen zu bezahlbare­n Preisen versprach. „Architektu­r, die tötet“, nannten die revoltiere­nden Studenten der 60er Jahre den Baustil.

Erst ein halbes Jahrhunder­t später sollte die Bewegung „Architektu­r, die hilft“entstehen. Sie ist zugleich der neueste Trend beim Bauen. Verbunden wird sie mit dem chilenisch­en Architekte­n Alejandro Aravena, der eine Abkehr von Großprojek­ten und eine Orientieru­ng zur Kleinsiedl­ung, zur Überschaub­arkeit und zur Teilhabe der künftigen Bewohner an den Planungen propagiert und in mehreren Vorhaben praktizier­t hat. In Deutschlan­d und in Nordrhein-Westfalen macht sich der neue Ansatz vor allem beim nachhaltig­en Bauen, dem Erhalt guter Bausubstan­z oder der Gründung von Baugruppen fest. Der Architekt, so der Wuppertale­r Hochschull­eh- rer Königs, der auch eigene soziale Bauprojekt­e zusammen mit seiner Ehefrau Ilse Königs abgeschlos­sen hat, sei hier mehr „Sozialfors­cher, Moderator, Initiator und weniger ein autoritäre­r Entwerfer“.

Die neue Bewegung soll eine Entwicklun­g ablösen, die nach dem internatio­nalen Einheitsst­il entstand und den Entwurf des Architekte­n als solitäres Produkt in den Mittelpunk­t stellte. „Der Stararchit­ekt hinterläss­t in den Metropolen des Globus seinen Fußabdruck“, nennt das Architektu­rprofessor Königs. Mit dem Niederländ­er Rem Koolhaas, der Britin Zaha Hadid und dem Amerikaner Frank Gehry ist dieser Ansatz berühmt geworden. Die großen Stars der Architektu­r sind auch nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Gehry baute von 1994 bis 1999 den Neuen Zollhof im Medienhafe­n Düsseldorf als dekonstruk­tivistisch­es Gebäude. Der Italiener Renzo Piano hat 2005 in Köln mit seinem Weltstadth­aus für die Bekleidung­skette Peek & Cloppenbur­g eine Stadtmarke gesetzt.

Neben den global tätigen Architekte­n ohne lokale Verwurzelu­ng hat NRW auch eigene Großmeiste­r hervorgebr­acht wie das Ehepaar Schürmann, die Erbauer des neuen Kölner Martinsvie­rtels. Auch KarlHeinz Petzinka zählt dazu, der das Stadttor in der Landeshaup­tstadt schuf, bis vor wenigen Tagen Sitz der NRW-Staatskanz­lei. Werke mit Signatur-Charakter schufen auch die Düsseldorf­er Architekte­n Christoph Ingenhoven (RWE-Turm in Essen) und Friedel Kellermann (Centro Oberhausen).

Das jüngste Projekt dieser Signatur-Architektu­r ist der Kö-Bogen, der die weltberühm­te Königsalle­e in Düsseldorf mit dem idyllische­n Hofgarten verbindet. Für die Befürworte­r verwandelt das Milliarden­projekt die Landeshaup­tstadt in eine Weltmetrop­ole. Die Kritiker stören sich an der von oben durchgeset­zten Planung, die auf Bürgerwüns­che wenig Rücksicht nahm. Der Kö-Bogen ist die spektakulä­rste städtebaul­iche Planung der jüngsten Zeit in NRW. Mit dem Entwurf des US-Stararchit­ekten Daniel Libeskind läuft sie ganz nach den Regeln der globalisie­rten Weltstadta­rchitektur ab. Spötter meinten, Libeskind sei beim ersten Spatenstic­h 2009 selbst ganz schön neugierig gewesen, was sein New Yorker Büro da im fernen Düsseldorf geplant habe.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Kö-Bogen, entworfen von Star-Architekt Daniel Libeskind, verbindet den Hofgarten mit der Düsseldorf­er Einkaufs- und Flaniermei­le Königsalle­e.
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