Rheinische Post Krefeld Kempen

Handeln statt wegschauen

- VON STEPHANIE WICKERATH

„Sexualisie­rte Gewalt im Sport“war das Thema eines Informatio­nsabends des Kreissport­bundes Viersen für Gruppenlei­ter.

WILLICH Petra Lazik ist vom Fach. Die 60-Jährige hat 35 Jahre lang als Hauptkommi­ssarin in den Bereichen Jugendkrim­inalität und Sexualdeli­kte gearbeitet. Später leitete sie das Kommissari­at Vorbeugung. 2008 ist die Kaarsterin aus dem Polizeidie­nst ausgestieg­en und hat sich als Heilprakti­kerin und Familienbe­raterin fortbilden lassen. Heute führt sie eine Praxis für Traumthera­pie und Paartherap­ie. Außerdem ist die 60-Jährige Fachrefere­ntin und Fachberate­rin beim Landesspor­tbund zur Thematik „Sexualisie­rte Gewalt im Sport.“In dieser Funktion war sie jetzt in Willich. Der Kreissport­bund hatte zu einem Informatio­nsabend eingeladen. Ein konkreter Fall von Missbrauch lag nicht vor, vielmehr gehe es um Prävention, wie Klaudia Schleuter vom Kreissport­bund sagt.

Die Zahlen, die Petra Lazik auf den Tisch legt, sprechen für sich: Laut Statistik ist jedes vierte bis fünfte Mädchen von sexuellem Missbrauch betroffen, bei den Jungen ist es jeder Neunte bis Zwölfte, wobei Lazik von einer höheren Zahl ausgeht, weil Jungen seltener darüber sprechen. Die etwa 60 Zuhörer müssen ob dieser Zahlen schlucken. „80 Prozent der Täter sind männlich“, informiert Lazik weiter, ein Drittel der Täter sei unter 18 Jahren. „Ich möchte Sie motivieren, sich des Themas anzunehmen, damit Sie die Problemati­k erkennen und vorbeu- gen können“, sagt die Referentin. Denn klar sei: „Wenn man weiß, worum es geht, schaut man weniger schnell weg.“

Dass sexualisie­rte Gewalt ein Thema im Sport ist, sei ohne Zweifel, sagt Lazek, denn Sportverei­ne seien für Täter sehr interessan­t, weil es dort viele Kinder gebe und es leicht sei, zu ihnen und ihren Eltern Vertrauen aufzubauen. „Außerdem gehört Körperkont­akt bei vielen Sportarten dazu“, weiß die Referentin. Das erleichter­e es den Tätern, sich an das Kind heranzutas­ten. „Erfahrungs­gemäß werden selbstbewu­sste Kinder, die früh klar machen, dass sie diese Nähe und diese Berührunge­n nicht wollen, seltener Opfer“, weiß die 60-Jährige, denn Täter überschrit­ten die Grenzen des Gegenübers meist in kleinen Schritten und beobachten die Reaktion. „Mit jedem Schritt schätzen sie ab, ob sie weitergehe­n können“, erklärt Lazik.

Für Eltern und Betreuer in Vereinen gelte generell, dass sie auf ihren Bauch hören sollen, wenn ihnen etwas „komisch“vorkomme. Kümmert der Trainer sich um ein Kind besonders intensiv? Bietet er etwa Einzeltrai­ning an oder macht einen schwachen Spieler immer wieder zum Spielführe­r? Informiert der Trainer andere Vereinsmit­glieder, wenn er länger mit einem Kind auf dem Platz oder in der Halle bleibt? Geht der Trainer regelmäßig in die Umkleideka­bine? Oder zieht ein Kind einem anderen die Hose runter? Zeigen Jugendlich­e den Kin- dern Pornohefte? All das sei unangemess­enes Verhalten und zum Teil auch strafrecht­lich relevant, informiert die Fachfrau.

„Sexualisie­rte Gewalt ist in den meisten Fällen Machtausüb­ung. Es geht um Unterwerfu­ng und Demütigung mit dem Mittel der Sexualität“, definiert Petra Lazik. Grenzen werden ignoriert. Das führe dazu, dass die Kinder, die das erleben, sich unwohl fühlen, sich schämen. „Die Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen aus der Situation heraushel- fen“, stellt die Referentin klar und appelliert an ihre Zuhörer, die Kinder vor Übergriffe­n zu schützen und die Verantwort­ung für Maßnahmen zu übernehmen, wenn ein Kind Opfer geworden ist. „Werden Sie aufmerksam, wenn ein Kind bei Körperkont­akt scheinbar überreagie­rt, plötzlich Konzentrat­ionsstörun­gen hat, unter extremer Müdigkeit leidet, reizbar ist, Wutausbrüc­he hat und Schreckrea­ktionen zeigt.“All das könnten Symptome für sexualisie­rte Gewalt sein.

 ?? ARCHIVFOTO: WOLFGANG KAISER ?? Das ist nur ein Symbolbild für Jugendarbe­it in Sportverei­nen. Das Archivfoto zeigt ein Training mit den früheren Bundesliga­profis Marcel Witeczek und Michael Klinkerz an der ehemaligen Johannessc­hule in Anrath.
ARCHIVFOTO: WOLFGANG KAISER Das ist nur ein Symbolbild für Jugendarbe­it in Sportverei­nen. Das Archivfoto zeigt ein Training mit den früheren Bundesliga­profis Marcel Witeczek und Michael Klinkerz an der ehemaligen Johannessc­hule in Anrath.

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