Rheinische Post Krefeld Kempen
Eine teure Koalition der Europafreunde
Inhaltlich sind Union und SPD weniger weit auseinander als die gescheiterten Jamaika-Parteien. Doch der Preis der SPD wird hoch sein.
BERLIN Die 237 eckigen Klammern um die Streitpunkte im letzten Sondierungspapier der gescheiterten Jamaika-Koalition üben auf Sozialdemokraten eine besondere Faszination aus: Diese Streitfragen zwischen Union, FDP und Grünen bieten aus SPD-Sicht eine ideale Grundlage für ihre eigenen Ziele und Forderungen bei den sich abzeichnenden Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition. Der Preis der SPD werde hoch sein, ist überall in der Partei zu hören. Wenn die SPD das Wagnis „Groko“nochmals eingehen solle, wolle sie dafür gut bezahlt werden.
Für die Union erschwerend kommt hinzu, dass die SPD ihr Heil in einem Linksschwenk sucht. Union und SPD müssten unterscheidbarer werden, haben die Sozialdemokraten nach ihrem Wahldebakel am 24. September analysiert. Das gehe nur, wenn die SPD ihr linkes Profil stärke. Statt einer konservativ-liberalen Jamaika-Koalition mit grünem Anstrich dürfte Deutschland nun eine sozialkonservative Regierung erhalten, die weniger auf Modernisierung als auf soziale Umverteilung setzt.
Den Soli will zwar auch die SPD abschaffen, allerdings zunächst nur für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen bis 50.000 Euro im Jahr. Besserverdienende dürften anders als bei Jamaika erst später oder gar nicht steuerlich entlastet werden. Bei der Erbschaftsteuer ver- langt die SPD eine Reform, denn reiche Firmenerben blieben zu oft steuerfrei.
Elke Ferner, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, gibt bereits den Kurs in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vor. „Es ist jetzt an der Union, Vertrauen wieder aufzubauen“, sagte sie. Vorhaben wie die Solidarrente für Geringverdiener und das Rückkehrrecht von Teil- zur Vollzeit seien schon im bisherigen Koalitionsvertrag vereinbart, aber von der Union blockiert worden. „Die Union kann ihre Blockade jetzt aufgeben und beide Gesetzentwürfe mit uns beschließen“, sagte Ferner. Dass die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen bei einer SPDRegierungsbeteiligung entfiele, wäre ebenso selbstverständlich.
Aufhorchen ließ Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, als er jüngst die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde forderte, denn er gilt als wirtschaftsfreundlicher Genosse. Die Union dürfte das zwar nie akzeptieren, doch das bisherige Lohnfindungsverfahren durch eine Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern könnte unter Druck geraten. Dass vor allem die Gehälter in der Pflege deutlicher steigen müssen, hat sich auch die Union auf die Fahnen geschrieben. Die SPD will ihr Lieblingsprojekt endlich durchsetzen, die Fusion der gesetzlichen mit der privaten Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung. Dagegen ist harter Widerstand der Union zu erwarten, die nicht dulden will, dass Versicherer vom Markt verschwinden und Altersrückstellungen verloren gehen.
Das Rentenniveau will die SPD dauerhaft bei 48 Prozent des Durchschnittslohns stabilisieren. Das würde die Rentenkasse hohe Milliardenbeträge kosten, so dass Bei- tragssätze und Steuerzuschüsse stark steigen müssten. Bisher vorgesehen ist wegen der demografischen Entwicklung, dass das Rentenniveau bis 2030 auf bis zu 43 Prozent sinken kann, für die Zeit danach gibt es noch keine Regelung. Höhere Erwerbsminderungsrenten sind sowieso Konsens.
Die Bildungsinvestitionen würde eine schwarz-rote Koalition ähnlich wie Jamaika deutlich aufstocken. Zusätzlich will die SPD wie die FDP das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern kippen. Als gesetzt können Projekte wie die Musterfeststellungsklage für Verbrau-