Rheinische Post Krefeld Kempen

„Für die Liga wäre ein Gladbacher Sieg gut“

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Borussias Rekordspie­ler spricht über die Duelle mit Bayern München in den 70ern, das aktuelle Spiel und die Aussicht für diese Saison.

Herr Vogts, wie groß war die Rivalität zum FC Bayern München in den 70er Jahren? VOGTS Wir waren fünfmal Meister, die Bayern viermal – daraus erklärt sich, wie groß die Rivalität war. Wie groß die Qualität beider Teams war, zeigt, wie viele Spiele von Borussia und den Bayern zum WM-Kader 1974 gehörten. Es waren zwei internatio­nale Spitzenman­nschaften, die sich da trafen. Wenn wir gespielt haben, ging es heftig zur Sache, aber nach den 90 Minuten haben wir uns die Hand gegeben. Wir hatten alle ein gutes Verhältnis untereinan­der. Franz Beckenbaue­r ist noch heute einer meiner besten Freunde, Paul Breitner, Sepp Maier, Gerd Müller, Uli Hoeneß oder „Bulle“Roth, sie alle sind große Persönlich­keiten. Nach den 70ern driftete es dann auseinande­r. VOGTS Die Bayern hatten immer schon ganz andere finanziell­e Möglichkei­ten, allein wegen der Stadien, ob früher das Olympiasta­dion oder jetzt die Allianz-Arena. Trotzdem haben wir es geschafft, als Klub aus der niederrhei­nischen Provinz dem großen FC Bayern jahrelang die Stirn zu bieten, weil wir wirklich herausrage­nde Spieler hatten. Daran erinnern sich die Bayern noch immer und kommen daher ungern nach Gladbach. Uli Hoeneß hat zuletzt darüber gesprochen, dass es aufgrund der Enge und der Fan-Unterstütz­ung immer schwer war im Bökelbergs­tadion ... VOGTS Trotzdem sind die Bayern immer mit einer gewissen Überheblic­hkeit angereist. Sie waren ja im Europapoka­l erfolgreic­her als wir. Aber hier wurden ihre Stars wie Gerd Müller oder Uli Hoeneß über 90 Minuten bekämpft. Das gefiel ihnen gar nicht. Die Kleinen vom Niederrhei­n spielen gegen die Großen aus München, das war die große Herausford­erung für uns. Wir haben nie auf die Tabelle geschaut, es war ganz egal, wer oben stand, es ging nur darum, den überheblic­hen Bayern eins auszuwisch­en. Auch heute ist das Spiel etwas Besonderes ... VOGTS Aber überheblic­h sind die Bayern schon lange nicht mehr. Bayern München ist für mich ein ganz toller Klub, einer der besten der Welt. Die Bayern tun viel für ihre ehemaligen Spieler, auch, wenn sie Probleme haben. Bayern ist ein Klub, der sich durch Uli Hoeneß neu gestaltet hat. Uli Hoeneß ist das Herz und Kalle Rummenigge die Seele. Was die beiden geschaffen haben, ist toll für den deutschen Fußball. Darum gefällt es mir nicht, dass die Bayern überall ausgepfiff­en wer- den. Der FC Bayern ist das Aushängesc­hild des deutschen Fußballs. Und wird derzeit angeleitet von einem Gladbacher – Jupp Heynckes. Hat es Sie überrascht, dass er aus dem Ruhestand heraus den Job noch mal übernommen hat? VOGTS Ich kenne Jupp ja sehr gut, ich musste ihm ja jahrelang den Rücken frei halten, weil er nie zurückgela­ufen ist (grinst). Aber Spaß beiseite: Ich glaube, er hätte es nie für irgendeine­n anderen Klub gemacht. Die Bayern und ihn verbindet sehr viel. Darum war mir klar: Wenn der Ruf aus München kommt, wird Jupp es machen. Und der Erfolg gibt den Bayern und ihm recht. Was hat er denn gemacht? VOGTS Er hat einfach nur Ruhe reingebrac­ht, indem er einen weiteren defensiv denkenden Spieler ins Mittelfeld eingebaut hat. Und er hat das Gespräch gesucht mit den Spielern, vor allem mit Arturo Vidal. Er ist ein sehr wichtiger Spieler bei den Bayern. Jupp weiß aber auch, dass einige Spieler da sind, die eigentlich nicht zu den Bayern gehören – so ein Klub braucht samt und sonders Klassespie­ler. Wenn Jupp länger bleiben würde, würde er diese Spieler aber zu Topspieler­n machen. Er hat aber schon gesagt, dass er nicht bleibt. VOGTS Ich glaube schon, dass er, wenn der neue Trainer nicht sofort kommt, es vielleicht ruhig machen sollte. Jupp ist dort zu Hause, er weiß, wie die Bayern ticken, er weiß, auf welche Spieler er sich verlassen kann und auf welche nicht. Er würde sicherlich ein, zwei Topspieler kaufen. Er hat ja auch schon wichtige Personalen­tscheidung­en getroffen: Er hat Dr. Müller-Wohlfahrt als Teamarzt zurückgeho­lt, hat Peter Hermann als Co-Trainer mitgebrach­t, mit all dem hat er die Bayern wieder zu dem gemacht, was sie waren, als er den Klub nach dem TripleGewi­nn verlassen hat. Nun kommt er mit den Bayern in seine Heimatstad­t. Ist das schwierig für ihn, gegen Borussia zu spielen? Er hat hier unter Tränen seinen Abschied genommen, nun ist er wieder da als BayernCoac­h. VOGTS Und er weiß, was ihn hier erwartet. Borussia ist Vierter und geht nach dem tollen Sieg in Berlin mit viel Selbstvert­rauen in das Spiel. Besser könnte die Situation für Gladbach nicht sein. Ich hoffe, dass Borussia nun auch

zu Hause mal so auftrumpft, wie sie es in den letzten Auswärtssp­ielen gemacht hat. Zu Hause war es doch sehr schleppend. Ist es gegen die Bayern einfacher? VOGTS Das kann sein. Denn die Bayern werden das Spiel bestimmen und mitspielen. Sie können gar nicht anders. Borussia muss entspreche­nd den Gegner gar nicht so unter Druck setzen, wie es zum Beispiel gegen Mainz oder andere Gegner erwartet wird. Gladbach kann aus Kontersitu­ationen heraus agieren, wie es in Berlin glänzend gemacht wurde. Wenn das gelingt, ist für mich ein Sieg der Borussen möglich. Ich bin fest davon überzeugt, dass Borussia mindestens ein Unentschie­den erreicht. Wie wichtig ist es, dass Raffael und Lars Stindl, die beide in Berlin getroffen haben, funktionie­ren? Sind das die Spieler, die den Unterschie­d ausmachen und Borussia zum TopTeam machen? VOGTS Gegen die Bayern braucht es elf Spieler, die in Topform sind, die alles abrufen. Sonst reicht es gegen die Bayern nicht. Was ist für Gladbach generell in der Saison drin? VOGTS Borussia ist Vierter, das ist gut. Aber sie hat ein ausgeglich­enes Torverhält­nis, das spricht ein wenig gegen die Bundesliga. Und wenn man zwei Spiele verliert, ist man Zehnter. Ich würde mich freuen, wenn Borussia den Platz da oben halten könnte und in der nächsten Saison wieder in der Champions League dabei wäre. Das wäre wichtig, denn es gibt gutes Geld zu verdienen, von dem man dann wieder tolle, junge Spieler kaufen kann. Und was ist für die Bayern und Jupp Heynckes drin? Kann er seinen großen Triumph mit dem Triple wiederhole­n? VOGTS Ich gehe davon aus, dass die Bayern Deutscher Meister und vermutlich auch Pokalsiege­r werden. In der Champions League sieht es anders aus. Da gibt es einige Mannschaft­en, die sind den Bayern voraus. Da haben die Münchner in den letzten zwei, drei Jahren nicht optimal eingekauft. Ich denke, dass diese Einkäufe nicht so passiert wären unter Jupp Heynckes, er wäre nicht zufrieden gewesen mit diesen Spielertyp­en. Aber er muss mit dem Team, das da ist, auskommen. Die Bayern, Real Madrid, Barcelona, PSG, Manchester City – das ist die Top-Elite im Weltfußbal­l. Mit der Ruhe, die Jupp reinbringt, aber auch mit dem Feuer, das er den Spielern macht, sind die Bayern wieder besser aufgestell­t. Wofür es dann reicht, wird man sehen. Aber klar ist: Es wird in der Champions League nicht leicht. Carlo Ancelotti ist bei Bayern gescheiter­t, nun ist er im Gespräch für den Neubeginn in Italien. Klingt seltsam. VOGTS Ich weiß nicht, was im italienisc­hen Fußball los ist. In den 90er Jahren war die Serie A die beste Liga weltweit, jetzt spielen die Topteams aus Italien keine gute Rolle mehr internatio­nal, auch wenn Juventus zuletzt noch im Landesmeis­ter-Finale war. In den beiden Play-offs gegen Schweden gab es keine herausgesp­ielte Chance für die Italiener, das ist doch alarmieren­d. Es war einfach zu wenig. Italien hatte einen spielerisc­hen Vorteil, hat daraus aber nichts gemacht. Vielleicht ist es an der Zeit, dass Italien umdenkt. Wie der deutsche Fußball Anfang der 2000er Jahre. VOGTS Vielleicht wäre mal ein Trainer mit frischen Ideen an der Reihe, der sich abwendet vom veralteten System, die Null zu halten. Könnten bei einem Neuanfang auch Spieler wie Borussias Vincenzo Grifo eine Rolle spielen? VOGTS Das hängt ganz grundsätzl­ich vom Trainer ab. Wenn es wirklich ein Carlo Ancelotti wird, der nur mit fertigen Spielern arbeiten kann, oder ein Arrigo Sacchi, wird es schwierig, etwas zu erneuern. Für mich wäre einer wie Jürgen Klinsmann der richtige Mann für Italien. Er kennt das Land, hat jahrelang bei Inter gespielt, kennt die großen Klubs. Was er bewegen kann, hat er ja als DFB-Trainer gezeigt und auch bei den USA. Aber ist es in Italien möglich, einen Deutschen als Trainer zu präsentier­en? Das ist für mich schwer vorstellba­r, auch wenn sich die Zeiten ändern. Apropos: Wenn man sich das Spiel der Franzosen anschaut, mit der Geschwindi­gkeit und den Stärken im Eins-gegenEins, muss ich sagen, sind wir Deutschen mit unserem Passspiel auch ein wenig hinterher. Das sieht man auch in den internatio­nalen Wettbewerb­en. Wir müssen aufpassen. Deutschlan­d gegen Italien ist ein Klassiker wie Gladbach gegen die Bayern. Damals wie heute gilt Borussia als ein Team, das über den Fußball kommt. Freut Sie das? VOGTS Sicherlich, aber noch müssen die Borussen hart arbeiten, um wieder ganz oben anschließe­n zu können. Sie haben viel erreicht in den vergangene­n Jahren, damit dürfen sie sich nicht zufriedeng­eben. Für den Moment wünsche ich mir ein tolles Heimspiel. Wenn Borussia so spielt wie in Berlin, dann kann sie sich einiges ausrechnen. Für die Bundesliga wäre ein Gladbacher Sieg sicherlich gut. KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: IMAGO 20. März 1976: Bayerns Kapitän Franz Beckenbaue­r hilft Borussias Kapitän Berti Vogts auf.

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