Rheinische Post Krefeld Kempen

Jupp Heynckes ist sich treu geblieben

- VON KARSTEN KELLERMANN

Für den Gladbacher ist die heutige Rückkehr als „Übergangst­rainer“der Bayern in vieler Hinsicht ein Zurück zu den Wurzeln.

FUSSBALL Jupp Heynckes hatte die Wahl. Er hätte mit den Stars des FC Bayern München auf der ErnstReute­r-Anlage im Mönchengla­dbacher Westend trainieren können, dort, wo der 1. FC Mönchengla­dbach seine Heimat hat, der Klub, aus dem Günter Netzer stammt. Heynckes und Netzer gehörten einst in den 1970er Jahren zu Borussias herrlicher Fohlenelf, und beide waren im besonderen Maße daran beteiligt, dass diese Mannschaft aus jungen, wilden und meist aus der Region stammenden Kickern den ehrenvolle­n Namen „Torfabrik“verpasst bekam.

Netzer war der Zampano in Gladbach, der „King vom Bökelberg“, er schoss 93 Tore für die Borussen. Heynckes, der zwischenze­itlich mal zwei Jahre für Hannover stürmte, ist bis heute der beste Borussia-Torjäger aller Zeiten mit seinen 289 Pflichtspi­eltoren. Neun davon schoss er auch in der Bundesliga gegen den FC Bayern, kein anderer Borusse traf in 117 Jahren Vereinsges­chichte öfter gegen die Bayern.

Auch darüber wird Heynckes mit Uli Hoeneß ab und an philosophi­ert haben, wenn er, wie heute, als Bayern-Trainer in seine Heimatstad­t kam. Das war zuletzt 2013 der Fall, am 18. Mai. „Da dachte ich, es wäre mein letztes Bundesliga-Spiel“, erinnert sich Heynckes. Die Fans auf beiden Seiten feierten ihn, der kurz darauf das Triple perfekt machte zu seinem Abschied, und dieser Tag im Borussia-Park rührte ihn zu Tränen.

Der Tränen schämt er sich bis heute nicht. „Es war ein sehr emotionale­r Augenblick für mich“, sagt er, und wer damals dabei war im Presseraum des Gladbacher Stadions, der weiß, dass er die Wahrheit spricht und nichts als die Wahrheit. Es schien der perfekte Abschied aus der Bundesliga zu sein: Das letzte Spiel als Bayern-Trainer in Gladbach, dort, in seiner Heimat, wo er Profi wurde und seine erste Trainersta­tion hatte. Und doch musste sich Heynckes erneut entscheide­n. Weil er wieder Trainer ist. Doch er will die Rückkehr aus dem Ruhestand nicht als Umfallen missversta­nden wissen, es ist ein Freundscha­ftsdienst, „ich habe mich ja nicht beworben, ich wurde gefragt“, sagte Heynckes gestern. Auch da spürte man, dass dieses Spiel bei den Borussen, das zehnte seit seiner Rückkehr zu den Bayern, für ihn keineswegs Alltag ist. Der FC Bayern ist sein Herzensklu­b geworden, doch Gladbach ist nach wie vor seine Heimat.

Und nun, da er mit seinem Team nach dem Champions-League-Spiel in Brüssel beim RSC Anderlecht (2:1) gleich nach Gladbach gefahren ist, um sich dort in Ruhe auf das Spiel vorzuberei­ten, hatte er die Wahl. Die Ernst-Reuter-Anlage – oder die von Grün-Weiß Holt am Rönneter. Es war nicht wirklich eine Frage für Heynckes, wo er mit seinem Team üben wollte: Denn in Holt ist er aufgewachs­en, „mein Elternhaus lag ja nur 500 Meter entfernt vom Platz“, sagt er. „Wir haben damals für eine Mark die Bälle beim Gladbacher HTC ausgesamme­lt“, erzählte Heynckes. Und Grün-Weiß Holt ist sein Stammverei­n, „bis 17 habe ich da gespielt, bevor ich Borusse wurde“. Es ist also in vieler Hinsicht ein Zurück zu den Wurzeln. Heynckes hat nach wie vor ein Herz für seinen Ursprungs-Klub. Er will sich, so ist zu hören, einsetzen für das Kunstrasen­projekt der Holter als Schirmherr (auch DFBSchieds­richter-Assistent Mark Borsch unterstütz­t das Projekt).

Heynckes erinnerte sich auch an seine Anfangszei­t als Trainer – damals war Borussias jetziger Trainer Dieter Hecking gerade aus Soest gekommen und kämpfte um seine Chance. „Dieter war 18, und wir hatten natürlich etablierte Stürmer, da war es nicht leicht für einen jungen Spieler wie ihn. Ich war selbst noch ein junger Trainer und sehr for- dernd – aber geschadet hat das sicher keinen der Spieler. Wir mussten früher das Profession­ell-Sein auch lernen bei Hennes Weisweiler, das war sicher noch eine härtere Schule“, sagte Heynckes, der 2016 den Ehrenring der Stadt bekam.

Heute ist er etwas milder, weswegen er den Seinen am Donnerstag­abend frei gab. Er selbst gönnte sich einen Abend daheim auf dem Anwesen in Schwalmtal, darüber war nicht nur sein Schäferhun­d Cando erfreut. „Aber“, sagte Heynckes, „ich war wie die Spieler rechtzeiti­g wieder im Hotel, zu der Zeit, die der Trainer festgelegt hatte.“Wenn eine Ikone des Gladbacher Fußballs wie er zurückkehr­t, kommt das Gespräch zwangsläuf­ig immer wieder zurück auf jene Zeit, in der die mythologis­che Basis für das gelegt wurde, was Borussia heute ist. Sein früherer Schüler Hecking hat einen Ansatz, in dem Heynckes durchaus das typische Borussia-Erbgut wiederfind­et. „Bei Gladbach ist eine klare Struktur zu erkennen, die Mannschaft ist gut ausgericht­et, der Konterstil wie in den 70ern ist zu sehen. Sie haben spielerisc­h sehr gute Leute, es macht Spaß, die Spiele der Borussia zu sehen. Sie sind auf einem sehr guten Weg. Ich denke, sie haben die große Chance, sich für die Champions League zu qualifizie­ren“, sagte Heynckes.

Er will die Borussen für den Moment natürlich aufhalten, denn er freut sich zwar, wieder in Gladbach zu sein, doch zu viel Großzügigk­eit ist auch nicht zu erwarten. „Gegen Gladbach waren es immer hochintere­ssante Duelle, auch in den letzten Jahren. Aber wir sind selbstbewu­sst und wollen natürlich das Spiel gewinnen“, sagte Heynckes. Er ist nicht mehr der junge Trainer, den Dieter Hecking 1983 kennenlern­te. Aber genauso ehrgeizig. Auch als „Übergangsl­ösung“(Heynckes) bei den Bayern. Jupp Heynckes ist sich nach allen Triumphen, Toren und Tränen treu geblieben.

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