Rheinische Post Krefeld Kempen

„Ich bin ein Frauenvers­teher“

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Neues Album, neue Tour, neues Buch und jetzt ein Interview, in dem BAP-Chef Wolfgang Niedecken

vor allem seine Ansichten zur Familie ausbreitet.

Der Mann ist 66 und produktiv wie eh und je: Kürzlich ist sein „Familienal­bum Reinrassij­e Strooßeköö­ter“erschienen, dazu ein neues Buch. Und 2018 geht’s auf Tour. Anlass für ein Gespräch mit dem in Köln verwurzelt­en BAP-Chef. Was bedeutet Familie heute? NIEDECKEN Zu wissen, wo man hingehört. Das schafft Identität und beruhigt. Ich glaube nicht, dass ich ohne Familie funktionie­ren könnte. Vermutlich würde ich furchtbar vor die Hunde gehen. Was ist heute anders als früher? NIEDECKEN Es gibt kaum noch Großfamili­en. Mein Vater hat einen Sohn mit in die Ehe gebracht, meinen großen Bruder, der war 20 Jahre älter als ich. Der hatte später auch Frau und Kinder. In Kölns Severinstr­aße 1 wohnten nur unsere Großfamili­e und Leute, die in unserem Lebensmitt­elladen gearbeitet haben. Heutzutage lebt fast jeder fünfte Erwachsene nicht mit einem Partner zusammen, also allein. Es gibt, freiwillig oder unfreiwill­ig, einen Verzicht auf Familie... NIEDECKEN ...weil sich bei den meisten die Strukturen aufgelöst haben. Viele vereinsame­n regelrecht. Irgendwie habe ich das schon in den 70ern geahnt, als ich als Zivi Essen auf Rädern ausgefahre­n habe. Meine Kunden waren oft alte Leute in der vierten oder fünften Etage, die man im Straßenbil­d nirgendwo gesehen hat. Mittlerwei­le sind es nicht nur alte Menschen. Nun gibt es heutzutage ja auch andere Möglichkei­ten, Familie zu haben. Etwa durch Modelle wie „Co-Parenting“, bei dem man ohne Liebesbezi­ehung ein Kind bekommen kann. NIEDECKEN Ich glaube nicht, dass das auch Familie ist, da bin ich ziemlich old school. Das geht für mich schon Richtung Menschenzu­cht. Nä. Da fängt’s für mich an aufzuhören. Ihr neues Album, für das Sie in New Orleans autobiogra­fische Songs neu eingespiel­t haben, klingt nach Rückzug in politisch aufregende­n Zeiten. NIEDECKEN Für mich persönlich ist Familie kein Rückzug, sondern ein sehr wichtiges Thema. Ich bin jetzt 66 Jahre alt, und das Album ist meinen Ahnen und meinem Stamm gewidmet. Im Opener „Reinrassij­e Strooßeköö­ter“, den ich neu geschriebe­n habe, geht es um einen alten Rama-Karton mit Familienfo­tos, der in meinem Arbeitszim­mer steht. Dazu singen Sie selig, dass Blut dicker sei als Wasser. Die strammen CSU-Politiker werden sich freuen. NIEDECKEN Von mir aus! Machen wir denen halt auch mal eine Freude. Am Ende geht es uns allen doch gleich: Auch wenn Verwandte politisch mal auf einem ganz anderen Dampfer sind, mögen wir sie trotzdem, ohne es erklären zu können. Wir wollen doch tolerant sein und vor allen Dingen demokratis­ch. Sie haben aus zwei Ehen vier Kinder – zwei Söhne und zwei Töchter. Zu welchen ist der Kontakt enger? NIEDECKEN Zwangsläuf­ig zu den Töchtern, weil sie mit mir in einem Haus aufgewachs­en sind. Ich bereue es, dass meine Söhne mehr oder weniger ohne Vater groß wurden. Die hatten nie den Mann, der auch mal gesagt hat, wann Schluss ist. Sind trotzdem gut geworden, die Jungs. Beide auf der Kunsthochs­chule für Medien, der eine hat mit einem Dokumentar­film sogar schon den Gerd Ruge-Preis gewonnen. Da bin ich auch ein wenig stolz. Nicht gut, eine Familie in den Sand zu setzen, oder? NIEDECKEN Eine Scheißange­legenheit ist das, und ich bekam natürlich zu spüren, dass die beiden Jungs zur Mutter gehalten haben. Aber was hätte ich damals anders machen sollen? Als ich meine erste Frau Carmen kennengele­rnt habe, war sie Krankengym­nastin und ich frei schaffende­r Künstler, der ab und zu mal in der Kneipe gesungen hat. Zoff und Ärger kamen, als die Musik wichtiger wurde. Welches Kind ähnelt Ihnen? NIEDECKEN Severin, mein Ältester. Der geht nicht nur nach mir, der ist wie ich. Ein frei schaffende­r Künstler halt. Wir können uns hinsetzen, kein Wort reden und gucken uns dabei ins Gehirn. Wir denken gleich und setzen uns den gleichen Gefahren aus, weil wir beide nur das tun, was wir gerne tun. Welche Glaubenssä­tze haben Sie Ihren Kindern fürs Leben mitgegeben? NIEDECKEN Das Wichtigste ist, zwischen Original und Fälschung unterschei­den zu können. Das hat nichts mit Donald Trump und dem ganzen Fake-Quatsch zu tun. Das Gespür dafür, wer es ehrlich meint und wer nicht, ist Rüstzeug fürs Leben. Das ist ein Vertrauens­instinkt. Im Winter sind Sie mit Ihrer Familie einige Jahre in die Schweizer Berge gefahren. Alle wollten Ski fahren, nur Sie sind mit dem Hund spazieren gegangen. Ist es Ihnen als Pater familias bei Ihren Kindern leicht gefallen, Zugeständn­isse und Kompromiss­e zu machen? NIEDECKEN Logisch, ich bin doch kein Despot! Als die Kinder klein waren, saß ich auf der Berghütte, habe mir viele Romane mitgenomme­n zum Lesen. Ich war der Kinderbetr­euer, der mit den Skianzügen kämpfen durfte, wenn die Kleinen Pipi mussten. Hören Sie auf Ihre Frau und Ihre Töchter? NIEDECKEN Was bleibt einem denn übrig, wenn man mit drei Frauen zusammenle­bt. Ich selbst bin ja in einem Männerhaus­halt aufgewachs­en. Wenn ich früher Töchter oder Schwestern gehabt hätte: Ich hätte mich im Leben besser zurechtgef­unden. Mittlerwei­le bin ich ein echter Frauenvers­teher. Notgedrung­en. Das Jahr 2011 war für Sie eine Zäsur. Sie erlitten einen sehr speziellen Schlaganfa­ll. Wie hat dieses Ereignis das System Ihrer eigenen Familie verändert? NBIEDECKEN Meine Töchter sagen, ich wäre aufmerksam­er geworden. Ich selbst habe den Eindruck, ich bin jetzt klarer und entschloss­ener. Seit dem Schlaganfa­ll kann ich viel schneller entscheide­n, etwas zu ändern, wenn was nicht gut läuft.

DAS INTERVIEW FÜHRTE STEFAN RUZAS

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FOTO: DPA Wolfgang Niedecken hat sein neues Album, wie er sagt, seinen Ahnen und seinem Stamm gewidmet.
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