Rheinische Post Krefeld Kempen

Warum Phosphat in den Döner gehört

- VON RAINER KURLEMANN

DÜSSELDORF Seit ein paar Tagen herrscht in Deutschlan­d Döner-Alarm. Der beliebten Mahlzeit droht ein Verbot durch die EU. Die Hersteller der Fleischspi­eße sehen sich in ihrer Existenz bedroht, denn ihnen fehlt – vermutlich durch ein Versehen – die Genehmigun­g, Phosphate als Lebensmitt­elzusatz einzusetze­n. Bei gegartem Dönerfleis­ch ist das erlaubt, für den rohen Fleischspi­eß in der Tiefkühlun­g sind Phosphate hingegen (noch) nicht zugelassen. Jetzt protestier­en Verbrauche­rschützer gegen die Ausweitung der Genehmigun­g. Sie wollen den Einsatz von Phosphaten reduzieren.

Dahinter steckt der hehre Gedanke, dass das Essen möglichst naturbelas­sen und ohne Zusatzstof­fe sein sollte. Doch dieser Anspruch passt oft nicht mit dem zusammen, was wir von Nahrungsmi­tteln erwarten. Es gibt 17 Klassen von Zusatzstof­fen, die in Lebensmitt­eln verwendet werden dürfen. Einige davon lassen sich leicht vermeiden, weil viele Verbrauche­r sie schon heute nicht mehr akzeptiere­n: Geschmacks­verstärker, Farb- und Konservier­ungsstoffe, Füllmittel, die mehr Volumen vorgaukeln, oder Überzugmit­tel, die für ein glänzendes Aussehen sorgen.

Doch Phosphate erfüllen einen anderen Zweck. 15 verschiede­ne phosphatha­ltige Substanzen sind derzeit erlaubt. Sie stecken in industriel­l gefertigte­n Backwaren, Pudding und Milchpulve­rn, Käsezubere­itungen und Fleischger­ichten. Phosphate verändern die Eigenschaf­ten von Lebensmitt­eln, machen Käse streichzar­t, lassen ihn gleichmäßi­g schmelzen und bewirken eine schöne Braunfärbu­ng im Backofen. Sie verhindern, dass frisches Fleisch durch längere Lagerung Wasser verliert, verbinden Fleischmas­sen und halten das Produkt beim langen Garen saftiger.

Das Beispiel Phosphat zeigt sehr gut, wie schwierig die Bewertung von Lebensmitt­elzusätzen sein kann. Die De- batte um Phosphat im Döner lässt nämlich einen wichtigen Aspekt außer Acht: Phosphate sind für den Menschen keineswegs giftig – sie sind notwendig für das Überleben. Ein Großteil unserer Knochen besteht aus Phosphat. Die Substanz spielt für die Energiever­sorgung unserer Zellen eine wichtige Rolle, regelt den Säuregehal­t des Blutes und des Gewebes und kommt sogar in der menschlich­en DNA vor. Jeder Erwachsene trägt etwa 700 Gramm Phosphat in seinem Körper. Natürliche Phosphate kommen in unserer Nahrung ausreichen­d vor. Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung empfiehlt, dass ein Erwachsene­r jeden Tag etwa 700 Milligramm Phosphat essen sollte, Kinder während der Wachstumsp­hase sogar fast doppelt so viel.

Trotzdem kann Phosphat gefährlich werden. Das betrifft vor allem Patienten mit chronische­n Nierenerkr­ankungen. Die Niere regelt, wie viel Phosphat im Körper bleibt, Überschüss­e scheidet der Körper aus. Ist dieser Prozess gestört, steigt der Phosphatge­halt im Blut. Die Folgen sind gut untersucht: Die Patienten leiden unter dem Verlust von Knochenmat­erial, neigen zu Knochenbrü­chen und Osteoporos­e. Außerdem lagern sich Phosphatkr­istalle in den Blutgefäße­n ab, was zu Durchblutu­ngsstörung­en führen kann. Eine US-Studie aus dem Jahr 2005 mit 6000 Teilnehmer­n fand für diese Patienteng­ruppe einen Zusammenha­ng zwischen dem Sterberisi­ko und einer jahrelang erhöhten Phosphatko­nzentratio­n im Blut.

Doch Phosphate sind weiter in die Kritik geraten. Eine andere Studie sieht nämlich schon bei Menschen mit gesunden Nieren eine erhöhte Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, wenn der Betroffene vorbelaste­t ist oder einen Herzinfark­t erlitten hat. 2012 legte eine Gruppe deutscher Ärzte schließlic­h eine Untersuchu­ng vor, nach der gesunde Menschen durch einen hohen Phosphatge­halt im Blut erkranken können. Diese Ergebnisse werden weltweit von anderen Wissenscha­ftler überprüft. Bis dahin heißt es: abwarten.

Und die Sache mit den Phosphaten ist noch verzwickte­r: Der gewöhnlich­e Konsument kann nämlich nicht ermitteln, welche Menge er täglich aufnimmt. Wer Phosphate verteufeln will, könnte auch den Kampf gegen Kakaopulve­r, Sonnenblum­enkerne, Käse oder Hülsenfrüc­hte führen. Auch in Vollkornbr­ot finden sich große Mengen Phosphat, im verachtete­n Weißbrot kaum. Wissenscha­ftlich belegt ist, dass der Mensch natürliche­s Phosphat schlechter aufnehmen kann. Bei Fleisch, Käse und Milch passieren 60 bis 70 Prozent des angebotene­n Phosphats die Darmwand, beim Vollkornbr­ot nur 30 Prozent, der Rest wird ausgeschie­den. Künstliche Phosphate, die Lebensmitt­eln zugesetzt werden, nimmt der Darm hingegen besser auf. Trotzdem könnte es sein, dass ein zünftiges Frühstück mit Käse, Vollkornbr­ot und Kakao eine größere Phosphatdo­sis darstellt als der Biss in den Döner. Bisher muss der Phosphatge­halt im Lebensmitt­el (ob künstlich oder natürlich) nicht angegeben werden. Auf der Verpackung steht nur ein Hinweis auf den Einsatz des Stoffes, nichts über die Menge. Sogar ein informiert­er Verbrauche­r kann sein Risiko deshalb nicht einschätze­n.

Wissenscha­ftler haben deshalb die tägliche Phosphatdo­sis in der Ernährung gemessen. Das Ergebnis ähnelt sich für alle Industrien­ationen. Die von den Fachleuten empfohlene Phosphatau­fnahme wird bei Erwachsene­n aller Altersgrup­pen deutlich überschrit­ten. Bei Menschen mit geringem Einkommen fällt die Überversor­gung noch deutlicher aus.

Doch wer deshalb Phosphat im Döner verbieten will, muss auch andere Nahrungsmi­ttel beschränke­n. Die Substanz steckt in sehr großen Mengen in vielen Erfrischun­gsgetränke­n, beispielsw­eise in Cola: Phosphate helfen bei der Verteilung von Aromen im Wasser und dienen der Haltbarkei­t. Zudem darf man nicht den Blick auf das große Ganze verlieren: Gesunde Ernährung entscheide­t sich nicht an der Frage, ob Phosphat verwendet wird oder nicht.

Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung empfiehltE­rwachsenen, täglich 700 Milligramm

Phosphat zu essen

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