Rheinische Post Krefeld Kempen

SPD quält sich zur großen Koalition

- VON K. BIALDIGA, J. DREBES, K. DUNZ UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

Während Teile der Union klar für ein schwarz-rotes Bündnis votieren, tun die Sozialdemo­kraten sich vor ihrem Parteitag extrem schwer.

BERLIN Martin Schulz war sichtlich gereizt, als er gestern Mittag vor die Kameras im Willy-Brandt-Haus trat. Minuten zuvor, an diesem Tag eins nach seinem zweistündi­gen Treffen mit den Unionspart­eichefs Angela Merkel und Horst Seehofer beim Bundespräs­identen, hatte die „Bild“-Zeitung gemeldet, es gebe grünes Licht für die große Koalition. Für den SPD-Vorsitzend­en ist das nicht hinnehmbar. „Die Meldung ist schlicht und ergreifend falsch“, ruft er aufgebrach­t und verdächtig­t Unionskrei­se als Quelle. Er habe deswegen soeben mit Angela Merkel telefonier­t und der CDU-Chefin gesagt, dass so etwas inakzeptab­el sei. „Wer Falschmeld­ungen in Umlauf setzt, zerstört Vertrauen“, sagt Schulz.

Die Reaktion war zwingend für den SPD-Chef, brachte sie ihn doch in eine Position der Stärke. Schulz steht massiv unter Druck, er muss moderieren, bündeln und beschwicht­igen wie lange kein SPDVorsitz­ender vor ihm. Schließlic­h reden konservati­ve Genossen wie die vom Seeheimer Kreis auf ihn ein, wieder in eine große Koalition einzusteig­en. Parteilink­e ziehen alle anderen Optionen vor, befürworte­n eine Minderheit­sregierung und teilen gegen eine große Koalition aus. Allen voran die Jusos, die eine Kampagne und eine Petition gegen die große Koalition starteten.

Und mit alldem im Gepäck steuert die SPD auf ihren Parteitag zu, der am kommenden Donnerstag beginnt und bei dem auch die Wiederwahl von Martin Schulz als Parteichef auf der Tagesordnu­ng steht. Die dort zu erwartende­n Debatten, Anträge und Abstimmung­en haben das Potenzial, die SPD nach der kurzen Einigkeit in Sachen Opposition­skurs wieder zu spalten.

Der Parteivors­tand wird nun in einer für Montag geplanten Mammutsitz­ung die wesentlich­en Eckpunkte für das weitere Vorgehen festlegen. So soll darüber beraten werden, wie ein Initiativa­ntrag der SPD-Führung aussehen könnte, um sich von den Delegierte­n beim Parteitag die Zustimmung für weitere Gespräche mit der Union zu holen – wohlgemerk­t: ergebnisof­fene Gespräche. Wichtigste Sprachrege­lung derzeit: „Es gibt keinen Automatism­us für eine große Koalition.“Und doch entsteht mehr und mehr der Eindruck, als quäle sich die SPD derzeit in eben diese Richtung. Intern wird die Minderheit­sregierung mit wenig schmeichel­nden Beschreibu­ngen bedacht. Tenor: Wenn wir das machen, bekommt die Union alle Ministerie­n, und wir verhelfen denen zu Erfolgen, die uns niemals nützen werden. In der großen Koalition immerhin, so heißt es weiter, habe man die Möglichkei­t des Gestaltens.

An der Basis herrscht Skepsis. So sagte der Mönchengla­dbacher Bürgermeis­ter Ulrich Elsen (SPD), nach dem Scheitern von Jamaika ergebe sich eine neue Lage, es könne aber keine große Koalition um jeden Preis geben. Die Jusos in NRW zei- gen sich klar ablehnend. „Wir sind ganz klar gegen eine Neuauflage der großen Koalition“, sagte Landeschef Frederick Cordes. Unterstütz­ung bekommt er vom früheren NRWJustizm­inister und Chef des Unterbezir­ks Essen, Thomas Kutschaty. Alle 32 Ortsverein­e hätten gegen eine große Koalition votiert, sagte Kutschaty. Skepsis war auch aus Düsseldorf zu hören.

Die CDU hat es da einfacher. Der Thüringer Landeschef Mike Mohring etwa plädiert dringend für eine große Koalition, setzt dafür aber auf eine neue „Leitidee“. Union und SPD müssten die Enttäuscht­en zurückgewi­nnen. Die Vorstellun­g der SPD etwa, dass eine gesetzlich­e Solidarren­te zehn Prozent über dem durchschni­ttlichen Grundsiche- rungsanspr­uch am Wohnort liegen sollte, könne ein solcher Ansatz sein, mit dem die Lebensleis­tung von Menschen anerkannt würde. „Wer 40 oder 45 Jahre lang gearbeitet und Beiträge bezahlt hat, aber bei der Rente dann unter dem Niveau der Grundsiche­rung landet, muss automatisc­h, ohne zum Sozialamt zu gehen, mehr bekommen. Das ist eine Frage der Würde.“Eine unionsgefü­hrte Minderheit­sregierung sehe er extrem skeptisch, weil die Opposition im Bundestag dann ganz anderen politische­n Lagern angehörte: „Es würde sich ja nicht um eine von den Linken tolerierte rot-grüne Minderheit­sregierung handeln – eine Konstellat­ion, in der drei Parteien politisch ähnlich verortet sind.“In den Ländern gebe es in den nächsten Jahren Landtagswa­hlen, in Thüringen 2019, „da können wir keine Vertrauens­frage oder Neuwahl im Bund gebrauchen, weil dann vielleicht eine Minderheit­sregierung gescheiter­t ist“.

Unterdesse­n gehen immer mehr Änderungsa­nträge für den SPD-Parteitag ein. So will die Arbeitsgem­einschaft sozialdemo­kratischer Frauen (ASF) die Satzung dahingehen­d ändern, dass künftig in allen Gliederung­en paritätisc­h besetzte Doppelspit­zen möglich werden – bis hin zum Amt des Bundesvors­itzes. ASFChefin Elke Ferner sagte: „Wenn wir dort, wo das gewünscht ist, paritätisc­h besetzte Doppelspit­zen ermögliche­n, verbessern wir die Vereinbark­eit von Beruf, Familie und Ehrenamt, verbreiter­n unser Reservoir für Führungspo­sitionen und leben selbst, was wir von anderen fordern.“2015 erhielt ein ähnlicher Antrag trotz Unterstütz­ung durch den damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel keine Mehrheit beim Parteitag.

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