Rheinische Post Krefeld Kempen

Das wahre Gold der Inkas

- VON STEN MARTENSON FOTO: STEN MARTENSON

Peru pflegt seinen Ruf als „Wiege der Kartoffel“. 2000 bis 4000 Sorten soll es geben. Die Einheimisc­hen sprechen der Knolle heilende Wirkung zu.

Ein schneller Schnitt und die Kartoffel offenbart ihr Innerstes: Ein bläulich-violetter Kranz liegt um eine weißliche Mitte. Die nächste Kartoffel, die der junge Indiobauer Daniel aufschneid­et, sieht nicht weniger interessan­t aus: Mitten im gelben Fruchtflei­sch liegt das rötlich-braune Herzstück. Auch die schrumpeli­ge, von unzähligen „Augen“verunstalt­ete K’atschun-Wa-K’atschun befindet sich unter den ausgebreit­eten Knollen. In der Indiosprac­he Quechua bedeutet der Name so viel wie: „Die Braut zum Weinen bringen“– eine Art Schwiegert­ochtertest.

Wir sind in Peru im Parque de la Papa, dem Kartoffelp­ark. Nicht weit von Cusco, der stolzen Inka-Metropole, schlän-

Dort, wo die Höhe

den Besuchern schon mal den Atem raubt, gedeihen nur

noch Kartoffeln

geln sich nahe dem Städtchen Pisac schwindele­rregende Serpentine­n bis auf 4000 Meter Höhe. An den steilen Hängen verstreut leben rund 5600 Menschen in sechs kleinen Gemeinden. Auf 9000 Hektar bauen die Nachfahren uralter Kulturen auf traditione­llen Terrassen vor allem Mais an. Dort, wo die Höhe den Besuchern schon mal den Atem raubt, gedeihen nur noch Kartoffeln. Und das in einer Vielfalt und Menge, die ungläubige­s Staunen auslöst.

1300 Kartoffels­orten werden allein im Parque de la Papa angebaut und gehütet. Die Einheimisc­hen sprechen sogar von 2000 bis 4000 Sorten. Peru gilt als „Wiege der Kartoffel“, auch wenn Nachbar Chile dem Land seinen Ehrentitel immer wieder streitig machen will. In der Nähe des Titicacase­es haben Forscher Urformen der Kartoffel entdeckt, die dort offenbar schon vor 8000 bis 10.000 Jahren wild wuchsen. Vor 4000 Jahren begannen die Andenvölke­r damit, die Kartoffel zu kultiviere­n. Inzwischen wird die Knolle gezielt auf dem peruanisch­en Hochland angebaut. Die Kultur der Inkas hätte sich nie so weit entwickelt, wenn es nicht die Kartoffel gegeben hätte.

Und hätten sich die spanischen Eroberer im 16. Jahrhunder­t damit begnügt, den Inkas das Gold zu rauben, wären wahrschein­lich noch Jahrzehnte verstriche­n, bis die Kartoffel auch nach Europa gekommen wäre. Anfangs wurde sie jedoch verschmäht. Der spöttische­n Volksweish­eit „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“war nicht beizukomme­n. Vor allem, weil anfangs nicht die unterirdis­che Knolle für das kostbare Produkt gehalten wurde, sondern die giftigen grünen Beeren.

Es war Friedrich der Große, der sich als revolution­ärer Erneuerer hervortat. Um seine widerspens­tig-ängstliche­n Bauern zu bekehren, ließ er Kartoffelä­cker von Soldaten bewachen und erreichte da- mit, dass die Frucht für etwas besonders Wertvolles gehalten wurde.

Wie unverzicht­bar die goldgleich­en Knollen für den Speiseplan sind, wissen natürlich auch Daniel, Pedro und Valter, die im Andennest Paru Paru für die Kartoffel verantwort­lich sind. In jeder der winzigen Gemeinden hat sich jemand bereit erklärt, die Landarbeit zu organisier­en. Mit der Regierung in Lima haben die Kartoffelb­auern nichts zu tun. Hier und da helfen ausländisc­he Organisati­onen aus wie die deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ). Das erwirtscha­ftete Geld kommt der Gemeinde zugute – ein altes, schon von den Inkas eingeführt­es Solidarpri­nzip. Valter betont: „Unser Ziel ist es, dass alle besser leben können.“

Im Kartoffelp­ark sind sich die Bauern der Bedeutung ihres Engagement­s bewusst. Es geht ihnen nicht nur um reiche Erträge. „Wir wollen die Kartoffelk­ultur bewahren.“In einer Samenbank nahe Lima werden 750 Sorten aufbe- wahrt. Die Blütensame­n können leicht 100 Jahre überdauern. Stolz berichtet Valter, dass er mit den peruanisch­en Kartoffels­amen bis ins norwegisch­e Spitzberge­n gereist ist, um sie im Weltweiten SaatgutTre­sor, den Svalbard Global Seed Vault, einzulager­n – eine Art „biologisch­es Bankschlie­ßfach“der Menschheit. Kalt, sehr kalt sei es so nah am Nordpol gewesen, erinnert sich Valter. Dabei sollten ihm Minusgrade vertraut sein.

Die Frage, warum es gleich mehrere Tausend Kartoffels­orten sein müssen, stößt bei Inka-Nachfahren auf Unverständ­nis. Sie pochen auf die Vielfalt und erwähnen, dass etliche Kartoffeln Heilkräfte besitzen. Jede Sorte helfe gegen ein anderes Leiden. Ein wenig ahnte davon wohl auch Deutschlan­ds Dichterfür­st Goethe. 1814 notierte er in seinem Tagebuch: „Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll’s bleiben, es ist gesund.“

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Kartoffel ist nicht gleich Kartoffel: Im Parque de la Papa wachsen Hunderte verschiede­ne Arten.

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