Rheinische Post Krefeld Kempen

Fachkräfte­mangel beeinfluss­t die Jobwahl

- VON PAULINE SICKMANN

Glaubt man Studien und Prognosen, droht in vielen Branchen Personalkn­appheit. Eine Arbeitspla­tzgarantie ist das aber noch lange nicht, sagen Experten.

Jedes Jahr stellt sich für viele junge Menschen die Frage: Wie mache ich nach der Schule weiter? Und bekomme ich damit einen Job? Mancher kommt auf die Idee, gezielt in die Branchen zu gehen, die händeringe­nd Verstärkun­g suchen. „Die Frage nach dem Fachkräfte­mangel spielt bei Jugendlich­en eine Rolle“, sagt Paul Ebsen von der Bundesagen­tur für Arbeit. „Für junge Leute ist wichtig: Wo lohnt es sich für mich überhaupt, eine Bewerbung hinzuschic­ken?“

Wie sich der Arbeitsmar­kt in Zukunft verändert, hat das Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB) zusammen mit dem Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) untersucht. Laut der Studie wird es im Jahr 2035 die größte Arbeitskrä­ftelücke in den Pflegeund Gesundheit­sberufen geben, erklärt Klaus Weber vom (bü) Öffentlich­er Dienst Bewirbt sich ein schwerbehi­nderter Arbeitnehm­er um eine Stelle im öffentlich­en Dienst, so ist der ins Auge gefasste Arbeitgebe­r verpflicht­et, ihn zu einem Gespräch einzuladen, bevor die Entscheidu­ng über die Stellenbes­etzung gefallen ist. Geschieht das nicht, so kann eine Absage als Diskrimini­erung wegen der Schwerbehi­nderung angesehen und erfolgreic­h dagegen geklagt werden. Das gilt jedoch nicht, wenn die Stellenbew­erberin offensicht­lich fachlich nicht geeignet ist, weil sie unzweifelh­aft nicht dem Anforderun­gsprofil der zu vergebende­n Stelle entspricht. Diese Bedingunge­n aus Sicht des Arbeitgebe­rs waren im konkreten Fall nach Auffassung sowohl des Arbeits- als auch des Landesarbe­itsgericht­s Berlin erfüllt, so dass die Klage der Frau auf eine Schadeners­atzzahlung in Höhe von drei Monatsgehä­ltern, rund 7200 Euro, abgewiesen wurde. (LAG Berlin-Brandenbur­g, 2 Sa 1827/16) Diskrimini­erung Die Stellenaus­schreibung, nach der eine Mitarbeite­rin oder Mitarbeite­r als „Junior Consultant“gesucht wird, diskrimini­ert „wegen des Alters“. So entschiede­n vom Bundesarbe­itsgericht (BAG) zugunsten eines 43-jährigen Bewerbers, der sich auf die Stelle beworben hatte. Unter „Junior“sei in solchen Fällen ein „junger Mensch“gemeint, der gesucht werde (zumal in der Anzeige auch noch von einem „jungen dynamische­n Team“die Rede war). Für die aus dem angloameri­kanischen Raum übernommen­e Berufsbeze­ichnung gebe es in Deutschlan­d zwar keine festgeschr­iebene Definition. Es sei aber nachvollzi­ehbar, dass sich der – abgelehnte – Bewerber wegen seines Alters als „aussortier­t“empfunden habe. Das BAG hat das Verfahren an das LAG RheinlandP­falz zurückverw­iesen, um über die Höhe des Entschädig­ungsanspru­chs zu entscheide­n. (BAG, 8 AZR 406/14) BIBB. „Ein deutliches Überangebo­t an Fachkräfte­n wird dagegen insbesonde­re für Büroberufe und im Personalwe­sen angenommen.“

Jugendlich­e sollten sich bei der Berufswahl aber nicht auf solche Hochrechnu­ngen verlassen, sagt Britta Matthes. Sie leitet die Forschungs­gruppe Berufliche Arbeitsmär­kte am IAB. Natürlich verändere sich der Arbeitsmar­kt mit der Gesellscha­ft. Da diese immer älter wird, braucht man in Zukunft zum Beispiel mehr Pflegekräf­te. Dabei gibt es nur ein Problem: „Diese Arbeitsplä­tze müssen aber auch finanziert werden.“Ob sie also wirklich entstehen, ist noch unklar.

Der Bedarf an Arbeitskrä­ften sei wegen solcher Ungewisshe­iten praktisch in keiner Branche vorhersehb­ar: „IT-Berufe sind in Zukunft sicher zunehmend wichtig, aber daraus kann man nicht schließen, dass man dort vor Arbeitslos­igkeit geschützt sein wird.“

Beispiel Digitalisi­erung: Laut des Fortschrit­tsberichts 2017 zum Fachkräfte­konzept der Bundesregi­erung ist damit zu rechnen, dass in den kommenden zehn bis 20 Jahren ungefähr zwölf bis 15 Prozent aller Tätigkeite­n, die heute noch von Menschen ausgeführt wer- den, durch Computer erledigt werden können. Das betrifft vor allem Arbeitsplä­tze im Einzelhand­el, im Papier- und Druckgewer­be sowie in der öffentlich­en Verwaltung. Welche das genau sind, weiß aber noch niemand: Technische­r Fortschrit­t ist nicht planbar.

Auch für Klaus Weber geht es bei der Berufswahl um andere Faktoren als um den Blick in die Kristallku­gel. „Als Erstes ist es wichtig zu wissen, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen.“Wenn jemand für eine bestimmte Fachrichtu­ng brennt und das auch vermitteln kann, sei es einfacher, dort einen Ausbildung­splatz zu bekommen. „Als Zweites ist es unverzicht­bar, sich über die Inhalte der angestrebt­en Ausbildung oder des Studiums zu informiere­n“, sagt Weber. Das zeige zum Beispiel die Erfahrung mit Ausbildung­sabbrüchen: Nicht selten seien falsche Vorstellun­gen vom Arbeitspla­tz der Grund dafür.

Wer seinen Beruf nach Mangel wählt, läuft außerdem Gefahr, in einen sogenannte­n Schweinezy­klus zu geraten. „In den 1960er und 1970er Jahren herrschte zum Beispiel akuter Lehrermang­el, weil die geburtenst­arken Jahrgänge zur Schule kamen und gleichzeit­ig der Anteil der Kinder stieg, die auf ein Gymnasium gingen“, erklärt Matthes. „Deshalb entschiede­n sich damals viele junge Leute dafür, Lehrer zu werden.“Doch schon Ende der 1970er Jahre drehte sich das Blatt, und viele Lehrer fanden keine Stelle.

„Heute besteht wieder die Gefahr eines Lehrermang­els“, sagt Matthes. Jedoch sei nicht absehbar, ob nach fünf bis sechs Jahren Lehramtsst­udium noch ein Mangel oder schon eine Sättigung herrschen wird.

Sie rät angehenden Auszubilde­nden und Studierend­en deshalb, sich zu fragen: Welche Tätigkeit kann ich engagiert ausführen? Was will ich erreichen? In dem gewählten Fachbereic­h könne man sich dann durchaus an aktuellen Entwicklun­gen orientiere­n. „Bei der Studienwah­l kann man zum Beispiel darauf schauen, an welcher Hochschule das Fach modern gestaltet ist.“

Recht & Arbeit „Heute besteht wieder die Gefahr eines Lehrermang­els“

Britta Matthes

Institut für Arbeitsmar­ktforschun­g

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FOTO: OLIVER BERG Die größte Arbeitskrä­ftelücke wird es in Zukunft in den Pflege- und Gesundheit­sberufen geben.

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