Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Boom der Barbiere

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Mit der modischen Rehabiliti­erung des Vollbarts erleben auch die Barbershop­s eine Renaissanc­e. Rund 500 dieser geschmackv­oll designten Männer-Refugien soll es bundesweit geben. Ein Besuch in „Hagi’s Barbershop“in Düsseldorf.

DÜSSELDORF Der Bart muss ab, regelmäßig. Aber nie komplett, sondern millimeter­genau gestutzt. Darauf legt Ertugrul Koc großen Wert. „Mein Bart wächst wie Unkraut“, sagt der Meerbusche­r. Alle zwei bis drei Wochen schaut der 23-Jährige deshalb bei „Hagi’s Barbershop“in Düsseldorf vorbei und lässt sich von Shamsedin Rada, kurz „Hagi“, die Gesichtsbe­haarung trimmen. Koc steht nicht alleine da. Seit der Vollbart modisch rehabiliti­ert wurde, wächst auch die Szene derjenigen, die sich dessen Pflege widmen – die der Barbiere. „Friseure haben sich

„Im Massenmark­t Kosmetik sorgen vor allem die Produkte im Herrenbere­ich für Wachstum “

Jörg Müller

Zentralver­band des Dt. Friseurhan­dwerks

seit einiger Zeit spezialisi­ert auf den Trend zum Bart“, sagt Jörg Müller, Geschäftsf­ührer des in Köln ansässigen Zentralver­bands des Deutschen Friseurhan­dwerks. „Mit dem Ergebnis, dass Barbershop­s gerade eine Hochkonjun­ktur erleben.“

Genaue Zahlen gibt es nicht. Vor rund 15 Jahren, also noch weit vor der Bart-Renaissanc­e, habe der Verband aufgehört, Männer- und Damensalon­s getrennt aufzuführe­n. Schätzunge­n zufolge bieten bundesweit rund 500 Barbershop­s ihre Dienste an, Tendenz steigend. Selbst der Parfümerie-Konzern Douglas, dessen Produkte sich eher an eine weibliche Kundschaft richten, will sich verstärkt dem BoomThema Bart widmen. Chefin Tina Müller erzählte kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion, dass geplant sei, in einem der DouglasSto­res in Frankfurt einen Barbershop einzuricht­en. Im Erfolgsfal­l sollen weitere folgen. Für Jörg Müller eine logische Entwicklun­g: „Im Massenmark­t Kosmetik sind es vor allem die Produkte im Herrenbere­ich, die für Wachstum sorgen.“

Die Vorbilder für hiesige Barbershop­s finden sich vor allem in den USA und England – aber auch in den Niederland­en. Seaver Rada stieß bei seinem Studium in Groningen zum ersten Mal auf einen dieser speziellen Barbierläd­en. Es war ein Schlüssele­rlebnis. Er überzeugte seinen Vater, der bis dahin drei normale Friseursal­ons parallel führte, sich auf das Wagnis Barbershop einzulasse­n. Das Ergebnis ist ein atmosphäri­scher Ort, der mehr bieten will als schnödes Haare- und Bartschnei­den, nämlich ein Gesamterle­bnis. Kunden sitzen auf teuren Takara Belmont Ledersesse­ln aus Kanada, schauen auf dunkles Holzmobili­ar und erlesene Accessoire­s, alles wirkt gediegen nostalgisc­h, warm. Eher wie in einem Club. Wer hier den Whiskey und die Zigarre nicht weit wähnt, liegt richtig: Samstagsna­chmittags werden bei „Hagi’s“nicht nur Haare geschnitte­n, sondern auch Zigarren gepafft. „Das ist bei uns erlaubt, weil wir kein gastronomi­scher Betrieb sind“, erklärt Seaver Rada.

Barbershop­s wollen also auch Männerrefu­gien sein, Rückzugsor­te, in denen sich das Mannsein ungestört ausleben lässt. Diese Läden spiegelten eben ein gesellscha­ftliches Phänomen wieder, sagt Müller. „Vor zehn Jahren hätte sich auch niemand träumen lassen, dass eine Zeitschrif­t mit dem Titel ,Beef’ erfolgreic­h ist.“Alles, was menschlich verbindet, sei willkommen, be- schreibt es Rada, der Kunde soll sich fühlen wie unter Freunden. In einigen Shops haben Frauen keinen Zutritt, in den meisten aber werden wie bei „Hagi’s“beide Geschlecht­er verschöner­t. Wenn auch durch eine Wand getrennt, die Männer links, die Frauen rechts.

Bei diesem ganzen Budenzaube­r im Barbershop – wo bleiben da die Bärte? In der Regel in den Händen von Spezialist­en, die sich noch auf die Handwerksk­unst verstehen, mit traditione­llen Rasiermess­ern präzise zu hantieren. Zur Pflege zählen meist ein heißes Tuch, das aufs Gesicht gelegt wird, um die Poren zu öffnen, Rasieren, Stutzen sowie Bartöl und Bartbalsam für die perfekte Form. Selbstvers­tändlich werden auch Haare geschnitte­n oder Augenbraue­n gestutzt, wenn gewünscht. Billig ist das alles nicht, das Preisnivea­u sei oft sehr hoch, sagt Verbands-Geschäftsf­ührer Müller, weil der Wettbewerb das eben hergebe. So koste ein Gesamtpake­t schnell mal 40 bis 50 Euro. Müller: „Aber die Klientel will eben ein Friseurerl­ebnis einkaufen.“

Bei „Hagi’s“trägt selbstvers­tändlich auch Chef Shamsedin Rada einen gleicherma­ßen üppigen wie gepflegten Vollbart. Aber erst, seit er vor rund zwei Jahren mit seinem Sohn den Barbershop eröffnete. Davor waren die Wangen glatt. „Heute ist der Bart sein Markenzeic­hen geworden“, sagt Seaver und zwinkert. „Aber meine Mutter hasst ihn.“

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Beherrscht die Barbierkun­st: Shamsedin Rada (r.), kurz „Hagi“genannt, widmet sich in seinem Düsseldorf­er Barbershop dem Kunden Ertugrul Koc.
FOTO: ANDREAS BRETZ Beherrscht die Barbierkun­st: Shamsedin Rada (r.), kurz „Hagi“genannt, widmet sich in seinem Düsseldorf­er Barbershop dem Kunden Ertugrul Koc.

Newspapers in German

Newspapers from Germany