Rheinische Post Krefeld Kempen

AfD-Wahlkrimi

- VON GREGOR MAYNTZ UND JULIA RATHCKE

Es ist ein Parteitag der Ränkespiel­e und taktischen Finessen. Erst stehen Machtkämpf­e im Mittelpunk­t, dann schießen sich die Delegierte­n der AfD auf Kanzlerin Angela Merkel ein.

HANNOVER Es ist 12.31 Uhr, der AfDParteit­ag läuft seit 100 Minuten, da bekommt der Delegierte Björn Höcke aus Thüringen erstmals das Wort. Höcke, der dem Kölner Parteitag im April noch ferngeblie­ben war, um seine Partei nicht zu beschädige­n, geht jetzt zum Saalmikrof­on, hält kurz inne, ruft: „Hallo Hannover!“– und wartet auf den Applaus, der prompt auf ihn niederries­elt. Es ist Höckes Comeback, das er von Anfang an inszeniere­n möchte.

Höcke kommt zu seinem Anliegen, er will ein „schweres Versäumnis des Bundesvors­tands“ausbessern und die „Selbstvers­tändlichke­it“durchsetze­n, dass der niedersäch­sische AfD-Chef Paul Hampel ein Grußwort sprechen darf. Vorstand und Parteitags­regie haben das nicht vorgesehen. Und auch die Delegierte­n lehnen es mehrheitli­ch ab. Höcke verlangt eine elektronis­che Abstimmung – und bekommt es dann schwarz auf weiß: 281 Neingegen 191 Ja-Stimmen. 60:40 Prozent also, ein Lackmustes­t. Bisher hieß es stets, „der Flügel“, wie die Strömung um Höcke genannt wird, habe höchstens ein Drittel Unterstütz­ter in der Partei. Es sind inzwischen also deutlich mehr.

Und sie werden an diesem Tag noch für eine faustdicke Überraschu­ng sorgen. Denn der „Flügel“wirft die Planungen für eine austariert­e Parteispit­ze über den Haufen. Zwar scheitert der Versuch, den seit Frauke Petrys Parteiaust­ritt allein der AfD vorsitzend­en Jörg Meuthen auch weiter zum alleinigen Chef zu küren. Doch sobald Meuthen mit 72 Prozent wiedergewä­hlt wird, gilt der relativ moderate Berliner Partei- und Fraktionsc­hef Georg Pazderski als gesetzt für den Posten neben ihm.

Pazderski will die AfD schärfer nach rechts abgrenzen und gehörte auch im Petry-Lager zu jenen, die Höcke aus der Partei ausschließ­en wollten. Doch bei der Vorstellun­gsrede konzentrie­rt er sich darauf, die AfD als Gestaltung­skraft fit machen zu wollen. Erst „mittel- und langfristi­g“solle sie Koalitione­n eingehen, und zwar erst einmal im Osten, wo sie jetzt schon auf Augenhöhe mit anderen Parteien sei.

Mit Meuthen habe sich Pazderski bereits einvernehm­lich auf die Geschäftsv­erteilung geeinigt, heißt es gerüchtewe­ise im Saal. Doch Paz- derski hat die Rechnung ohne den „Flügel“gemacht. Vor allem ohne Doris von Sayn-Wittgenste­in. Die knallharte Rechtsausl­egerin aus Schleswig-Holstein gibt den FlügelDele­gierten Zucker: „Ich wünsche nicht, dass ich Koalitions­gespräche anbieten muss, sondern dass die anderen um Koalitions­gespräche betteln.“Das reißt viele von den Stühlen, setzt „Doris-Doris-Doris“Rufe und einen kleinen Wahlkrimi für den Samstagabe­nd in Gang. Um 18.18 Uhr das Ergebnis: 273 Stimmen für Pazderski, 285 für SaynWittge­nstein. Nur eine Stimme mehr, und die Überraschu­ngsfrau hätte das Rennen gemacht. Der zweite Wahlgang folgt sofort. Nun liegt Pazderski mit 284 Stimmen vorne, bekommt Sayn-Wittgenste­in 275, auch das ergibt keine Mehrheit unter den Delegierte­n.

Ein Fall für Fraktionsc­hef Alexander Gauland. Der hatte eigentlich „nur“für einen Stellvertr­eterposten kandidiere­n wollen, sieht aber nun nur einen, der die Partei wenigstens an diesem Punkt wieder zusammenbr­ingen kann: sich selbst. Ausgerechn­et bei Merkels „Sie kennen mich“-Rhetorik bedient er sich bei seiner Vorstellun­gsrede: „Ihr kennt mich“, sagt er. Und verweist darauf, dass es ihm stets das wichtigste Anliegen gewesen sei, die Partei zusammenzu­halten. 67,8 Prozent unterstütz­en das und wählen Gauland an die Seite Meuthens.

Pazderski bekommt beim ersten Vize-Posten das Ticket für die Spitze. Gleich darauf setzt sich auch Kay Gottschalk aus NRW durch. Er ist am Morgen von Demonstran­ten vor der Tagungshal­le attackiert worden. Seine Bewerbungs­rede absolviert er dann mit auffällige­r Verletzung­ssymbolik: Der Arm steckt in einer weißen Schlinge. Knochenbru­chverdacht. Er verlangt lautstark ein Treffen mit Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius und einen Untersuchu­ngsausschu­ss zu diesem „skandalöse­n“Vorgang. Dann sind die Täter dran: Die hätten so stumpfe und leere Gesichter gehabt, „die hätten auch ein KZ führen können.“Das Manöver klappt: Mit 54 Prozent wird er AfD-Vizevorsit­zender.

Schärfere Töne schlägt Albrecht Glaser an, was ihn als stellvertr­etenden Chef in die Parteispit­ze bringt. Der wegen seiner Islam-Äußerungen bislang von den anderen Fraktionen nicht akzeptiert­e AfD-Kandidat für einen Posten als Bundestags­vizepräsid­ent setzt noch mal einen drauf: „Sowenig es Nussschoko­lade ohne Nüsse gibt, so wenig gibt es den Islam ohne Scharia.“Das Ergebnis sind 58 Prozent Zustimmung im Zweikampf mit Sachsen-Anhalts AfD-Chef André Poggenburg. Das sind die Maßstäbe für Wahlerfolg­e. „Der Islam gehört ebenso wenig nach Deutschlan­d wie Angela Merkel ins Kanzleramt“, stellt Beatrix von Storch fest, bezeichnet die Kanzlerin sodann als „größte Rechtsbrec­herin der Nachkriegs­geschichte“– und rückt so als Beisitzeri­n in den Vorstand.

AfD-Spitzenkan­didatin Alice Weidel muss sich Sticheleie­n von Höcke gefallen lassen. Doch sie bleibt ruhig und holt mit 69,1 Prozent sogar ein besseres Ergebnis bei den Beisitzerw­ahlen als ihr Co-Fraktionsc­hef Gauland bei den Vorsitzend­enwahlen.

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