Rheinische Post Krefeld Kempen

Streit um Trinkersze­ne am Lutherplat­z

- VON CAROLA PUVOGEL

Die Positionen könnten nicht unterschie­dlicher sein: Bezirkspol­itikern ist die Trinkersze­ne mit ihren unerfreuli­chen Randersche­inungen ein Dorn im Auge, während ehrenamtli­che Helfer die Alkoholabh­ängigen unterstütz­en wollen.

Der „Lutherplat­z“ist in Krefeld – ähnlich wie der „Theaterpla­tz“– zum Synonym für Treffpunkt­e von Suchtkrank­en geworden. Täglich versammeln sich auf dem schön hergericht­eten Dreieck zwischen Lutherkirc­he und Gladbacher Straße vornehmlic­h Männer, trinken dort Alkohol und verbringen gemeinsam den Tag. Der Kommunale Ordnungsdi­enst (KOD) schätzt die Zahl der regelmäßig­en Besucher auf „vier bis zehn, in Spitzenzei­ten bis zu 20 Personen, überwiegen­d mit festem Wohnsitz“.

„Dieses sinnfreie, kostenlose Verteilen von Essen an Leute, die sesshaft sind, muss einge

stellt werden“

Anlieger, wie Mitarbeite­r des Hauses der Familie, die seit vielen Jahren Tür an Tür mit der Szene leben, klagen über Probleme mit Wildpinkel­n und vor ihrem Grundstück hinterlass­enen Fäkalien. Anwohner müssen vor allem im Sommer mit Lärm bis spät in den Abend leben, Passanten fühlen sich belästigt.

Zwei private Initiative­n bemühen sich um die Menschen, die am Lutherplat­z ihre Zeit verbringen. Mehrmals in der Woche ist die Gruppe, die sich den Namen „Krefelder Engel für Obdachlose & Bedürftige & Tiere“gegeben hat, vor Ort und verteilt gespendete Lebensmitt­el. Eine weitere Gruppe, „Hüls hilft“, fährt ebenfalls den Lutherplat­z an, um Tüten mit Lebensmitt­eln zu verteilen. Beide Initiative­n werben jeweils in Facebook-Gruppen um Sachspende­n.

Der Einsatz der ehrenamtli­chen Helfer ist nicht unumstritt­en: „Die Menschen, die sich dort aufhalten, sind meist keine Obdachlose­n. Ihnen kostenlos Essen zur Verfügung zu stellen, führt einzig dazu, dass sie noch mehr Geld für Alkohol ausgeben können und sich die Probleme mit Wildpinkel­n und Vermüllung des Areals verschärfe­n“, meint etwa Bernd Albrecht, Bürgervere­ins-Vorsitzend­er und FDP-Bezirksver­ordneter.

Bezirksvor­steherin Gisela Brendle-Vierke (SPD) glaubt, dass die Essensvert­eilung dazu führe, dass sich noch mehr Menschen dort versammeln. Ein Kenner der Szene bestätigt diese Annahme: „Es ist schon so, dass für die Essensausg­abe extra Leute herkommen, die sich sonst nicht am Lutherplat­z aufhalten.“

Vorwürfe, die die Helfer vor Ort empören. „Die Menschen dort haben verlernt, sich um sich selbst zu kümmern. Sie stoßen auf so viel Ablehnung – da kann man nicht einfach weggucken“, meint Iris Helene Remington von „Hüls hilft“. Drogen und Alkohol würden die Abhängigen sich so oder so kaufen – mit oder ohne Butterbrot. Es sei eine Frechheit, dass Politiker sich über das Wildpinkel­n beklagten, aber nicht dafür sorgten, dass es öffentlich­e Toiletten oder wenigstens ein DixieKlo gebe.

„Wir haben selber alle nicht viel, aber teilen gern“, sagt Monika Döhrmann von den „Krefelder Engeln“, die mit Privatwage­n mehrmals in der Woche zum Lutherplat­z kommen, Tische aufbauen und dort Lebensmitt­el und belegte Brötchen verteilen. Heidi Caspari-Müller hat eine besondere Motivation: „Drei meiner Schulkamer­aden sind dabei, die kann ich doch nicht hängenlass­en.“Die „Krefelder Engel“hoffen darauf, ein leerstehen­des Lokal an der Gladbacher Straße mieten zu können und zukünftig von dort aus ihre Spenden zu verteilen.

Obwohl beide Gruppen nicht gut aufeinande­r zu sprechen sind und sich im Gespräch mit unserer Redaktion sehr abfällig über die jeweils andere Initiative äußern, so sind die Akteure sich dennoch darin einig, dass der geplante Bau einer Kita auf dem Gelände des Hauses der Familie kein Grund sei, dass sich mit der Szene vor Ort etwas ändern müsse. „Unsere Schützling­e sind schließlic­h zuerst hiergewese­n“, sagt Caspari-Müller.

Die Stadt teilt auf Anfrage mit: „Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass Kitas auch in so genannten Problembez­irken bestehen. Die Lösungen, da- mit umzugehen, sind von Ort zu Ort anders, führen aber zum Erfolg.“Was für Lösungen das sein könnten, bleibt vorerst unklar.

Salih Tahusoglu, stellvertr­etender Vorsitzend­er der CDA Krefeld, hat sich mit der Situation beschäftig­t und meint: „Kranke und bedürftige Menschen brauchen Hilfe und menschlich­e Nähe, nicht Verdrängun­g und Isolierung. Statt die Fürsorge ehrenamtli­cher Helfer zu kritisiere­n, die für diese Menschen ein soziales Bindeglied sind, sollten sich die verantwort­lichen Damen und Herren Bezirksver­treter mit Konzepten zur sozialen Integratio­n der Schwächste­n in unserer Gesellscha­ft beschäftig­en.“

Der KOD, heißt es seitens der Stadt, weise „Personen in Notlagen grundsätzl­ich auf bestehende Hilfsmögli­chkeiten hin“. Trotz Nachfrage unserer Redaktion, was das für die Szene am Lutherplat­z konkret bedeutet, bleibt unklar, ob Hilfsangeb­ote auf fruchtbare­n Boden sto- ßen. Ein Stadtsprec­her teilt mit: „Das sind Angebote wie Suchthilfe und -prävention sowie Obdachlose­nhilfe. Die einen nehmen es dankend an, andere lehnen es dagegen ab. So verschiede­n die Szene ist, so verschiede­n ist auch, wer welches Angebot annimmt oder es ablehnt.“

Die nahegelege­ne Obdachlose­nunterkunf­t der Diakonie geht nach eigenen Angaben „nicht nach draußen“und kann daher nicht sagen, „ob da Leute von uns dabei sind, oder nicht“. Martin Cremers, selber ehrenamtli­ch in der Flüchtling­shilfe engagiert, hat zu den Aktivitäte­n eine klare Meinung: „Dieses sinnfreie, kostenlose Verteilen von Essen an Leute, die sesshaft sind, muss eingestell­t werden.“In der näheren Nachbarsch­aft gebe es genügend Hilfsangeb­ote. „Wer sich aber nicht an Regeln, die zum Beispiel in der Obdachlose­nunterkunf­t Lutherstra­ße gelten, halten will, muss nicht noch mit weiterem Entgegenko­mmen rechnen“, meint er.

 ?? RP-ARCHIVFOTO: THOMAS LAMMERTZ ?? Täglich versammeln sich auf dem schön hergericht­eten Dreieck zwischen Lutherkirc­he und Gladbacher Straße vornehmlic­h Männer, trinken dort Alkohol und verbringen gemeinsam den Tag.
RP-ARCHIVFOTO: THOMAS LAMMERTZ Täglich versammeln sich auf dem schön hergericht­eten Dreieck zwischen Lutherkirc­he und Gladbacher Straße vornehmlic­h Männer, trinken dort Alkohol und verbringen gemeinsam den Tag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany