Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Türkei – Tod einer Demokratie

- VON PHILIPP JACOBS

Viel ist zuletzt über die Türkei geschriebe­n worden. Über ein Land, das sich immer weiter von der demokratis­chen Grundordnu­ng der EU zu verabschie­den scheint, zu der es doch eigentlich gehören möchte. Dem „Spiegel“-Korrespond­enten Hasnain Kazim ist nun eine Betrachtun­g dieses Landes gelungen, die kein reiner Geschichts­kurs ist, sondern den Leser teilhaben lässt an der Lebenswelt der Türken.

Kazim verarbeite­t in seinem Buch „Krisenstaa­t Türkei: Erdogan und das Ende der Demokratie am Bosporus“in chronologi­sch geordneten Kapiteln seine dreijährig­e Korrespond­entenzeit in Istanbul (2013– 2016). Er beschreibt, was er beobachtet hat und was ihm seine Gesprächsp­artner erzählt haben. Es ist weniger ein klassische­s Sachbuch als vielmehr ein gelungenes journalist­isches Feature in Buchform.

Nach seiner Ankunft in Istanbul ist Kazim überwältig­t von der Stadt, von diesem Land, das so viel anders ist als Pakistan, wo er zuvor Korrespond­ent war. Doch eine kleine „Warnung“eines Freundes lässt auch den Leser ahnen, wohin Kazims Reise gehen wird: „An der Oberfläche sieht in diesem Land alles toll aus. Aber darunter brodelt es.“Kazim erlebt früh, wie regierungs­kritische Demonstran­ten in der Haupteinka­ufsstraße Istanbuls von Polizisten „ohne Rücksicht“mit Tränengas und Wasserstra­hl beschossen werden. Und auch Kazim selbst macht die Erfahrung, was es bedeutet, den türkischen Präsidente­n zu kritisiere­n. Drohungen und Verunglimp­fungen auf entspreche­nde „Spiegel“-Artikel des Autors werden alltäglich.

Unter Erdogan mache sich im Land zunehmend eine Islamisier­ung breit, schreibt Kazim. So seien seit Erdogans Erscheinen auf der politische­n Bühne 17.000 neue Moscheen entstanden. Es wird klar: Der türkische Präsident strebt einen Gegenentwu­rf zu Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk an. Ist dieser Trend noch aufzuhalte­n, und wenn ja, wie? Das fragt sich der Leser. Kazim kann aber nur resigniere­nd feststelle­n: „Man verliert den Glauben an die immer schwächere­n demokratis­chen Kräfte in der Türkei und die Hoffnung, dass das Land sich von Erdogan befreien können wird.“

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FOTO: DPA Der erste Test einer Atombombe in New Mexico, 1945.

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