Rheinische Post Krefeld Kempen

Reiten im Damensitz ist eine hohe Kunst

- VON HERIBERT BRINKMANN FOTOS (2): KEIL-STEENTJES

Bettina Keil-Steentjes frönt einer ausgefalle­nen Passion: Die Reiterin setzt sich seit Jahren fürs Damenreite­n ein. Das habe nichts mit Verklemmth­eit zu tun, sondern mit Eleganz. Ganz praktisch geht sie auch die Sattel-Frage an.

ANRATH Reiten im Damensatte­l? Das erscheint vielen heute als anachronis­tische, ja vielleicht sogar rückwärtsg­ewandte Aktion. Bettina KeilSteent­jes ist aber alles andere als ein Mensch, der vergangene­n Idealen nachhängt. Vielmehr ist sie eine emanzipier­te, moderne Frau – mit einem besonderen Anliegen. Sechs Jahre lang war sie Vorsitzend­e des Vereins fürs Damenreite­n, hat in Aachen Turniere im Damenreite­n organisier­t. Warum? Ist das Unisex-Reiten im Herrenreit­en nicht ein Fortschrit­t? Zuerst: Dass Frauen im Herrensatt­el reiten, ist gerade mal 100 Jahre her. Vorher war der Damensatte­l angesagt. Das war aber keine Schikane, kein Nachteil, sondern diente allein der Repräsenta­tion. Wollen wir diese früheren Usancen wiederhabe­n? Bettina Keil sagt ja, zumindest als zusätzlich­e Option. Im Damensattt­el zu reiten, ist für sie eine hohe Kunst, eine Form von Eleganz, die im Herrensitz verloren geht. Verloren geht aber nicht nur eine gewisse Art zu reiten, sondern auch immer mehr Wissen und handwerkli­ches Können. Hier ist das Interesse von Bettina Keil geweckt.

Beim Besuch bei ihr im Haus Krebs in Anrath führt sie irgendwann durch ihre kleine Werkstatt. Weil es immer weniger Handwerker gibt, die Damensatte­l herstellen können, ist sie selber aktiv geworden. Sie hat über drei Jahre hunderte Pferde vermessen lassen, die Daten im Computer gespeicher­t und einen neuen, eigenen Damensatte­l entwickelt. Um das Wissen nicht ganz verloren zu geben, arbeitet Bettina Keil gerade an einer Publikatio­n zu diesem Thema. Aber sie formt und näht selber Sattel, hat sich eine Leder-Nähmaschin­e, Jahrgang 1928, angeschaff­t und versucht, Tradition und Fortschrit­t zu verheirate­n. Da für das Sattel-Gestell niemand mehr Schmiedear­beiten herstellen kann, verstärkt sie den Sattel mittels Carbonfase­rn. Dass ein neuer Sattel aus reiner Handarbeit ab 3500 Euro kostet, verwundert dann auch nicht mehr. Für die Reit-Kostüme arbeitet sie mit einer englischen Näherin zusammen, die es versteht, mit den besonderen Stoffen aus dem United Kingdom umzugehen.

Aber was ist eigentlich ein Damensatte­l, was unterschei­det ihn vom Herrensatt­el? Im Damensatte­l reiten Frauen im Seitsitz, also mit beiden Beiden auf einer Seite des Pferdes. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunder­ts galt das noch als ladylike, war aber vor allem auch sicherer, weil der Damensatte­l zwei sogenannte Sattelhörn­er besitzt, die der Reiterin einen festeren Halt auf dem Pferd bot. Der Nachteil dieser Konstrukti­on: Zum Auf- und Absteigen braucht die Reiterin Hilfe. In feudalen Zeiten war das kein Problem, in bürgerlich­en Gesellscha­ften aber schon.

Ist der Damensitz bloß ein Spleen? Oder wie kommt eine Frau von heute wie Bettina Keil-Steentjes dazu, diese alte Tradition wiederzube­leben? Die Nähe zu Pferden wurde ihr in die Wiege gelegt. Sie stammt aus einer Reiterfami­lie, die in der Nähe von Frankfurt lebte. Als kleines Mädchen hörte sie den älteren Männern zu, die sonntags zu Besuch kamen und von ihren alten Zeiten in der Kavallerie erzählten. Damals erfuhr sie auch von Irmgard von Opel, der Enkelin des Gründers der Adam Opel AG, die in den 1930er Jahren als erste Frau am Springderb­y in Hamburg teilnahm und gewann. Der Kreis schloss sich, als Bettina Keil-Steentjes den alten Damensatte­l der „Super-Amazone“von Opel für ihre Sammlung erwarb. Für sie war es insgeheim der Auftrag, diese Tradition weiterzutr­agen und ins Heute zu retten. Nur: In den 1970er Jahren war der Damensitz völlig out. Doch je mehr sie sich selber damit beschäftig­te, desto mehr ließ sie sich davon fasziniere­n. Sie findet diese klassische Art des Reitens einfach schön. Diese feine Art ist eine Steigerung reiterisch­en Könnens, auch eine sportliche Herausford­erung. Der seitliche Sitz wirke elegant, grazil – wenn die Reiterin die Figur dazu habe. Eben weiblicher und sportliche­r, weil es nicht darum geht, das Pferd zu beherrsche­n, es aber trotzdem zu lenken. Als Einzelkämp­ferin kommt man aber nicht weit, doch in der Reiterlich­en Vereinigun­g für Damenreite­n hat sie viele Mitstreite­rinnen gefunden. Sechs Jahre lang war sie deren Vorsitzend­e. Inzwischen ist Bettina KeilSteent­jes ein wandelndes Lexikon. Sie scheint alles über Pferde, Sattel, Reiten zu wissen. Nebenbei erfährt der Besucher, wie sehr sich Pferde und Reiter verändert haben. Um 1920 musste ein Reitpferd kavallerie­tauglich sein, austauschb­are Sattel wurden für „Einheitsrü­cken“gebaut. Heute ist Reiten ein Freizeitsp­ort, ganz andere Pferderass­en spielen eine Rolle. Die alten Sattel passen nicht mehr optimal, die Reiter sind größer geworden, die Frauen schlank und sportlich. Der Anspruch des Tierschutz­es ist stärker geworden.

In ihrer Küche in Anrath ging es allerdings auch schon mal um ganz andere Pferdestär­ken. Ihr Mann, Paul Steentjes, war Creativche­f von Werbeagent­uren wie DDB und Publicis. In der Anrather Küche wurde nicht nur gekocht und gegessen, sondern auch über Werbung diskutiert, etwa über eine neue GolfKampag­ne.

Seit 17 Jahren lebt das Ehepaar in der ehemaligen Fabrikante­nvilla, die der in Mönchengla­dbach ausgebombt­e Textilfabr­ikant Jakob Krebs 1949 in Anrath erbaute. Bettina Keil schätzt sich glücklich, im Rheinland, im Herzen des Reitsports, zu leben. In ihrem Heim hat sich das Ehepaar ein wahres Refugium geschaffen. Beide schätzen bei den Möbeln Art Deco, Frauenport­räts und Pferdebild­er an den Wänden verraten großen Kunstgesch­mack.

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Bettina Keil-Steentjes im Damensitz in einer Uniform, wie sie die letzte deutsche Kaiserin Auguste Victoria Ende des 19. Jahrhunder­ts als Regimentsc­hefin ehrenhalbe­r trug.
 ??  ?? Bettina Keil-Steentjes aus Anrath stammt aus einer Jagdreiter­familie im Frankfurte­r Raum und besitzt eine englische Trainerliz­enz für den Side Saddle Instructor.
Bettina Keil-Steentjes aus Anrath stammt aus einer Jagdreiter­familie im Frankfurte­r Raum und besitzt eine englische Trainerliz­enz für den Side Saddle Instructor.

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