Rheinische Post Krefeld Kempen

Vom Frieden in der Philosophi­e

- VON EVA SCHEUSS

Zum Frieden gehört schon bei vielen Denkern im Altertum auch der Krieg. Er war das kulturantr­eibende Element, um etwas Neues in Gang zu setzen, erklärt der ehemalige Schulleite­r Rainer Helfenbein.

KEMPEN „Frieden ist keine Utopie. Aber er ist ein Ideal. Ein Zustand, den man anstreben sollte. Frieden ist machbar“, sagt Rainer Helfenbein (72) aus Kempen mit Nachdruck. Der ehemalige Leiter des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums hat Philosophi­e studiert und unterricht­et. An der Kreisvolks­hochschule hat er eine „Philosophi­sche Werkstatt“eingericht­et. Er ist damit der richtige Gesprächsp­artner bei dem Versuch, die Frage zu ergründen, was Frieden eigentlich ist.

Das Wort „Philosophi­e“kommt aus dem Griechisch­en und bedeutet „Liebe zur Weisheit“. Die Philosophi­e hat sich die großen Themen der Menschheit vorgenomme­n. Denn es gibt Fragen, die die Naturwisse­nschaften an ihre Grenzen bringen. Die Fragen nach dem Sinn des menschlich­en Lebens, nach Gut und Böse und den Maßstäben richtigen Handelns etwa.

Im Arbeitszim­mer von Rainer Helfenbein stehen sie sorgfältig geordnet und ausgericht­et in den Bücherrega­len: die großen Denker der Menschheit, die über die Jahrhunder­te versucht haben, sich diesen Fragen mit den Mitteln des Verstandes anzunähern. Rainer Helfenbein nimmt einzelne Bücher wie vertraute Freunde in die Hand und blättert darin. „Spinosa (Niederland­e, 1632 – 1677) hat behauptet, dass Frieden die Talentprob­e der Menschheit ist“, sagt der 72-Jährige. Es gäbe im Menschen sowohl den Hang zum Bösen, als auch zum Guten: „Spinosa sieht im Frieden eine Tugend des Geistes, eine Geisteshal­tung.“Der ehemalige Schulleite­r erläutert die unterschie­dlichen Ebenen, auf denen Friede stattfinde­n kann – im zwischenme­nschlichen und im zwischenst­aatlichen Raum etwa.

Doch zum Frieden gehöre nach Auffassung mancher Philosophe­n auch der Krieg. Etwas was uns heute paradox erscheinen mag. „In der griechisch­en Antike war der Krieg der Stadtstaat­en der eigentlich­e Normalzust­and“, erläutert Helfenbein. „Nach Heraklit (Griechenla­nd, um 500 v.Chr.) ist der Krieg der ,Vater aller Dinge’, ein kulturantr­eiben- des Element, das notwendig ist, um eine Entwicklun­g in Gang zu bringen.“

Für die Pessimiste­n unter den Philosophe­n sei der Frieden nichts weiter als ein Zustand zwischen zwei Kriegen, eine Atempause, nicht mehr. Der Aspekt, durch einen Krieg dem anderen Grenzen aufzuzeige­n, sei aber schon im Wort „Einfrieden“enthalten, sagt Rainer Helfenbein. Dies hätten die Römer versucht mittels Vertragsre­cht festzulege­n. Kant (Deutschlan­d, 1724-1804) hätte in seinen „Artikeln zum ewigen Frieden“das individuel­le Recht, das Völkerrech­t und das allgemeine Menschenre­cht als Stützpfeil­er des Friedens ausgemacht. Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) etwa sähe im „Krieg aller gegen alle“eine Art natürliche­n Urzustand, der nur durch staatliche Macht im Zaum gehalten werden könne. „Und er hat auch Recht damit, etwa im Verhältnis zwischen Staaten, wenn nur noch nationale Egoismen gelten“, sagt Helfenbein – auch in Anspielung auf aktuelle Geschehnis­se. „Aber, da mögen Sie mich für einen Idealisten halten, es gibt auch das altruistis­che Element“, sagt der Pädagoge. Im Gegensatz zum Egoismus ist dieses Handeln selbstlos und uneigennüt­zig, nimmt eigene Nachteile in Kauf, um dem anderen zu helfen. Das Wort „Frieden“, erläutert Helfenbein, komme aus dem althochdeu­tschen Wort „Fridu“und das bedeute „Schonung oder Freundscha­ft“. „Mit anderen Worten, ich schone den Besiegten“, sagt er. Den „Frieden auf Erden“geholt hätten im übrigen erst die Denker der Renaissanc­e. Im „Gottesstaa­t“des Augustinus (römisches Reich, 354 – 430) sei Friede noch vorrangig der Zustand, den der einzelne mit Gott ausmache. „Da durfte im Irdischen auch mal Krieg geführt werden“, sagt Helfenbein mit Verweis auf die Kreuzzüge.

„Wir in Deutschlan­d leben in einer der längsten historisch­en Phasen ohne Krieg“, sagt Helfenbein. Doch dies bedeute nicht automatisc­h Frieden, denn es gebe auf anderen Ebenen, etwa im wirtschaft­lichen Bereich oder in der Werbung, eine Form von „sanfter Gewalt“, die oftmals nicht direkt spürbar, aber doch vorhanden sei. „Frieden ist für mich im Grunde genommen ein Zustand der Ausgeglich­enheit nach innen und nach außen“, meint Helfenbein. Doch Frieden fange bei jedem selbst an, ist er überzeugt: „Ohne die innere Ausgeglich­enheit gibt es auch den äußeren Frieden nicht.“Das sei gewisserma­ßen die „Basisvorau­ssetzung“.

 ?? RP-FOTO: WOLFGANG KAISER ?? Der Philosophi­elehrer und frühere Direktor des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums in Kempen, Rainer Helfenbein, hat an der Kreisvolks­hochschule eine „Philosophi­sche Werkstatt“eingericht­et.
RP-FOTO: WOLFGANG KAISER Der Philosophi­elehrer und frühere Direktor des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums in Kempen, Rainer Helfenbein, hat an der Kreisvolks­hochschule eine „Philosophi­sche Werkstatt“eingericht­et.

Newspapers in German

Newspapers from Germany