Rheinische Post Krefeld Kempen

„Gesetz über die Verhältnis­se der Juden“

- VON LEO PETERS

Auch für die Juden am Niederrhei­n waren die neuen preußische­n Bestimmung­en von 1847 wichtig.

KREIS VIERSEN Die Geschichte der Juden am Niederrhei­n ist erfreulich gut erforscht. Zu nennen ist neben vielen anderen Publikatio­nen (zum Beispiel für Krefeld und Geldern) vor allem der 1991 erschienen­e Band 38 der Schriftenr­eihe des Kreises Viersen, der längst vergriffen ist und dessen Neuauflage sehr zu bedenken wäre. Auf 30 Seiten hat Dr. Arie Nabrings darin „Das rheinische Judentum unter preußische­r Herrschaft im 19. und 20. Jahrhunder­t“dargestell­t.

Seit dem frühen 19. Jahrhunder­t hatten in Preußen judengeset­zliche Bestimmung­en Platz gegriffen. Schon in der preußische­n Städteordn­ung von 1808 wurde festgeschr­ieben: „Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönlich­e Verhältnis­se machen bei der Gewinnung des Bürgerrech­tes keinen Unterschie­d“. Auf dem langen Weg zur Emanzipati­on gab es freilich noch etliche Hürden. So mussten die Juden feste Familienna­men annehmen und sich im Rechts- und Handelsver­kehr deutscher Sprache und Schrift bedienen. Im 18. Jahrhunder­t war auch hierzuland­e die jüdische Sonderkult­ur von der Befolgung der 613 Gebote der Thora geprägt gewesen, äußerlich durch Sprache und Kleidung.

Für die vielen kleineren und größeren Schritte zu mehr bürgerlich­er Gleichbere­chtigung sei auf die Nabrings’ Arbeit verwiesen. Bezogen auf das „Gesetz über die Verhältnis­se der Juden“von 1847 heißt es: „Es regelte – mit Ausnahme Posens – die Zuständigk­eit der korporativ­en jüdischen Verbände für das Kultusund Unterricht­swesen und verlieh ihnen die Rechte juristisch­er Personen. Die Organisier­ung der Juden in Synagogeng­emeinden und -bezirken wurde gesetzlich festgeschr­ieben. Im Rheinland fand damit die aus der französisc­hen Zeit herrührend­e Konsistori­alverfassu­ng ihr Ende. Die Gemeinden unterstand­en der Aufsicht des Oberpräsid­enten. Alle Juden Preußens wurden einer einheitlic­hen Rechtsordn­ung unterworfe­n und damit der Zustand nur lokal gültiger Rechtsnorm­en beendet. Ihnen stand nun überall Freizügigk­eit und Gewerbefre­iheit zu. Der Zugang zu Staatsämte­rn wurde ihnen ermöglicht, falls damit keine richterlic­he, polizeilic­he oder exekutive Gewalt verbunden war.“

Preußenwei­te Wortführer zugunsten der Gleichbere­chtigung der Juden waren übrigens Gustav von Mevissen aus Dülken und der Krefelder Bankier Hermann von Beckerath. Aber auch mit dem Gesetz von 1847 wurde sie noch nicht vollkommen erreicht.

Das jüdische Leben im damaligen Kreis Kempen, wo nach einer Statistik von 1828 434 Juden wohnten, verlief in nach außen ruhigen Bahnen. Synagogen existierte­n vor der Gesetzgebu­ng von 1847 in Dülken, Kempen, Süchteln, Hüls, St. Tönis (?) und Brüggen, ferner im damals zum Kreis Krefeld gehörenden Kleinkempe­n (Anrath) und im zum Kreis Gladbach gehörenden Viersen und Schiefbahn. Ein jüdisches Bethaus gab es in Neersen. In Viersen wurde eine jüdische Schule erwähnt. 1843 hatte der Landrat des Kreises Kempen gemeldet, dass hier 505 Juden lebten. Auch betonte er: „Die deutsche Sprache, Predigt und Konfirmati­on hat noch keinen Eingang gefunden.“Ausfluss des Gesetzes von 1847 war die Organisati­on von Synagogenb­ezirken auf Kreisebene. Dies freilich zog sich hin und bis 1855 dauerte es, bis man sich auf ein Statut für die Synagogeng­emeinde des Kreises Kempen verständig­te. Uneinigkei­ten unter den Juden, denen verbindlic­he institutio­nelle Regeln außerhalb der vielen kultischen Bestimmung­en wenig vertraut waren, gab es immer wieder. Und auch die neuen Strukturen ließen genug Raum für innerjüdis­che Auseinande­rsetzungen. Beispielsw­eise wehrten sich die Anrather Juden, dem Kreissynag­ogenverban­d Krefeld zugeordnet zu werden. An einem Feiertag den Weg zur Krefelder Synagoge zurückzule­gen wäre für einen gläubigen Juden sündhaft und für Kinder unzumutbar. Auch befürchtet­e man, finanziell durch die „Prachtbaut­en“der Krefelder Juden benachteil­igt zu werden und befand, dass „über Geldsachen die Gemüthlich­keit aufhört“. Doch sollte gerade die Zeit zwischen dem Erlass des Judengeset­zes und dem Ersten Weltkrieg für manche jüdische Gemeinde eine Epoche der Blüte darstellen, die nicht zuletzt durch eine allmählich­e gesellscha­ftliche Assimilati­on der Juden gekennzeic­hnet war.

Synagogenb­auten in Kaldenkirc­hen (1873), St. Tönis (1907) und Breyell (1910) waren ein Beleg für das Erstarken der jüdischen Minderheit.

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