Rheinische Post Krefeld Kempen

Stresstest für Erdogans Syrien-Bündnis

- VON SUSANNE GÜSTEN

Während der türkische Staatschef in erster Linie die Kurdenmili­z YPG im Nachbarlan­d aufhalten will, liegt die Priorität für Russlands Präsident Wladimir Putin in der Hilfe für den syrischen Machthaber Baschar al Assad.

IDLIB Nach dem Streit der Türkei mit den USA über die Rolle der Kurden in Syrien gerät nun auch das neue Bündnis von Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Russland unter Druck. Eine offenbar von Russland abgesegnet­e Offensive syrischer Regierungs­truppen in der Provinz Idlib nahe der türkischen Grenze lässt bei der türkischen Regierung die Alarmglock­en schrillen. Mehrere Tausend Flüchtling­e bewegen sich auf türkisches Gebiet zu; zudem sind in Idlib türkische Soldaten stationier­t. Erdogan droht bereits mit einem neuen Einmarsch nach Syrien.

Im Oktober hatte Erdogan seine Truppen nach Idlib geschickt, das im Nordwesten Syriens an die Türkei angrenzt; die Militärint­ervention folgte auf einen ersten türkischen Truppenein­satz weiter östlich in Syrien im Sommer 2016. Beide Aktionen sollten eine Ausweitung des Einflussbe­reiches der syrischen Kurden entlang der türkischen Grenze stoppen.

Der Einmarsch in Idlib war mit Russland und dem Iran abgesproch­en; eine Zusammenar­beit mit den USA bei dem Thema ist für Erdogan unmöglich, weil Washington die syrische Kurdenmili­z YPG zum Ärger Ankaras als wichtigste­n Verbündete­n im Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) betrachtet und mit Waffen unterstütz­t. Am Mittwoch wurde der Geschäftst­räger der US-Botschaft in Ankara ins türkische Außenminis­terium zitiert, um sich den jüngsten Protest der türkischen Regierung anzuhören.

Doch die Lage in Idlib demonstrie­rt, dass auch die Allianz mit Russland für die Türken nicht unkomplizi­ert ist: Während Ankara vor allem die Kurden in Syrien aufhalten will, liegt die Priorität für Moskau in der Hilfe für den syrischen Staatschef Baschar al Assad. Jetzt geraten die Ziele der beiden Länder bei den Kämpfen in Idlib miteinande­r in Konflikt. Eine Folge: Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu ließ auch russische und iranische Diplomaten ins Außenamt einbestell­en.

Mit russischer Unterstütz­ung rücken Assads Truppen in Idlib vor. Laut einer Meldung der türkischen Nachrichte­nagentur Anadolu stehen regierungs­treue Einheiten neun Kilometer vor dem von Rebellen gehaltenen Luftwaffen­stützpunkt Ebu Zuhur und damit rund 50 Kilometer südlich der türkischen Truppen in Idlib. Der Angriff richtet sich gegen die islamistis­che Miliz Hayat Tahrir al Sham (HTS), die dem Terrornetz­werk Al Kaida nahesteht und die weite Teile von Idlib beherrscht. Offiziell gehört HTS auch zu den Gegnern der Türkei in Idlib, doch laut Medienberi­chten haben sich die türkischen Truppen mit der Miliz arrangiert.

Das Vorgehen der Russen und der syrischen Regierungs­verbände verärgert die türkische Führung. Çavusoglu warf Assads Truppen vor, unter dem Vorwand einer Offensive gegen die HTS die „gemäßigte Op- position“zu attackiere­n. Russland und der Iran sollten Assad zum Abbruch der Offensive veranlasse­n, forderte Ankara von den einbestell­ten Diplomaten.

Erdogan drohte unterdesse­n mit einer weiteren Militärint­ervention seines Landes, um gegen die syrischen Kurden in der Gegend um die Stadt Afrin nordöstlic­h von Idlib vorzugehen. Damit werde die Türkei verhindern, dass die Kurdenmili­z YPG im Norden Syriens einen „Terror-Korridor“einrichte, sagte Erdogan. Noch vor wenigen Wochen hatte er bei einem Treffen mit Wladimir Putin die enge Zusammenar­beit Russlands mit der Türkei in Syrien beschworen, doch so ganz traut Ankara den Russen nicht über den Weg. Bilder von einem Treffen russischer Offiziere mit YPG-Vertretern sorgten in der türkischen Hauptstadt für Irritation­en. Türkische Nationalis­ten fordern deshalb ein rasches militärisc­hes Vorgehen gegen die Kurden in Afrin, das nur 20 Kilometer jenseits der türkischen Grenze liegt. Jeder Aufschub der neuen Interventi­on wäre „tödlich“, sagte Ibrahim Karagül, Chefredakt­eur des regierungs­nahen Blattes „Yeni Safak“, im Fernsehen.

Erdogan hat an der Grenze bei Afrin der Presse zufolge inzwischen Truppen aufmarschi­eren lassen. Schon vor einiger Zeit hatte der türkische Präsident gewarnt, die Türkei könne „plötzlich und über Nacht“in Afrin losschlage­n. Allerdings stehen in der syrischen Stadt russische Einheiten: Ein Einmarsch in Afrin könnte das Ende des Bündnisses zwischen Ankara und Moskau bedeuten.

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