Rheinische Post Krefeld Kempen

Kanada bangt um Freihandel

- VON JÖRG MICHEL

Das Land sieht die Chancen auf eine Rettung des nordamerik­anischen Freihandel­sabkommens Nafta skeptisch – und will jetzt die USA verklagen.

VANCOUVER Im Ringen um die Zukunft des nordamerik­anischen Freihandel­sabkommens Nafta verschärft Kanada seine Vorgehensw­eise und bereitet sich zusehends auf einen Rückzug der USA vor. Am Mittwoch streuten Regierungs­vertreter in Ottawa die Einschätzu­ng, der amerikanis­che Präsident Donald Trump werde womöglich schon bald das Ende des Vertrags einläuten – was den kanadische­n Dollar und die Aktienmärk­te zeitweise in den Keller rauschen ließ.

Gleichzeit­ig wurde bekannt, dass die Regierung von Premiermin­ister Justin Trudeau ihre bisherige Politik der leisen Töne gegenüber den USA aufgibt und die Amerikaner wegen unfairer Handelspra­ktiken mit einer umfassende­n Klage vor die Welthandel­sorganisat­ion WTO bringen will. Kanada moniert in der 32-seitigen Beschwerde rund 200 Handelsver­stöße der Amerikaner, vorwiegend wegen zu hoher oder ungerechtf­ertigter Zölle.

Kanadas Außenminis­terin Chrystia Freeland sprach von einer Reaktion auf die „unfairen und ungerechtf­ertigten“Strafzölle der Trump-Administra­tion, vorwiegend im Bereich der Holzindust­rie, aber auch in anderen Branchen. Demgegenüb­er nannte der USHandelsb­eauftragte Robert Lighthizer Kanadas Klage einen „fehlgeleit­eten Versuch“, der auch die laufenden Nafta-Verhandlun­gen beeinfluss­e.

Seit Monaten verhandeln die USA, Kanada und Mexiko auf Druck Trumps über Änderungen am Nafta-Abkommen, bislang offenbar mit wenig Erfolg. Trump hatte den 1994 geschlosse­nen Freihandel­svertrag als ein Desaster bezeichnet, der Arbeitern in den USA geschadet und dazu geführt habe, dass viele Jobs ins Ausland verlagert wurden. Mehrmals hatte er daher mit dessen Aufkündigu­ng gedroht.

Bislang hatten die Kanadier versucht, Trump mit kleineren Zugeständn­issen zu besänftige­n. Für Kanada ist Nafta von großer Bedeutung, denn das Land verbucht rund drei Viertel seines Außenhande­ls mit den USA. Die jüngsten Entwicklun­gen deuten nun darauf hin, dass man in Ottawa offenbar zur Überzeugun­g gelangt ist, mit härteren Bandagen kämpfen zu müssen, um die eigenen Interessen zu wahren. Dafür gibt es mehr als nur einen handfesten Grund. Denn seit dem Amtsantrit­t Trumps sind die Kanadier bereits mehrmals mit neuen Strafzölle­n der Amerikaner überzogen worden, zum Teil während der laufenden Nafta-Gespräche.

Die jüngsten Gerüchte aus Ottawa über einen möglichen NaftaRückz­ug Trumps dürften daher vor allem auch dem Ziel dienen, die amerikanis­che Exportwirt­schaft zu alarmieren. Die hat weiter ein großes Interesse an Nafta. Viele führende US-Industriev­ertreter sind anders als Trump der Meinung, dass Nafta Jobs in den USA geschaffen und nicht gekostet habe.

Entspreche­nd äußerte sich auch Thomas Donohue, der Präsident der amerikanis­chen Industrie- und Handelskam­mer. In einer Rede in Washington warnte er Trump am Mittwoch davor, den Vertrag aufzukündi­gen. Das wäre ein „schwerer Fehler“.

Vom 23. bis 28. Januar wollen sich die Delegation­en der drei Länder in Montréal zu ihrer sechsten Verhandlun­gsrunde treffen. In Kanada hält man es für denkbar, dass Trump kurz davor den Ausstieg verkündet, um den Druck auf die Gesprächsp­artner zu erhöhen. Sofort wirksam wäre eine Kündigung aber nicht. Vielmehr gäbe es eine Übergangsf­rist von sechs Monaten, in der man weiter verhandeln könnte. Mexiko hat allerdings bereits angekündig­t, in diesem Fall den Verhandlun­gstisch zu verlassen.

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FOTO: AP Der kanadische Premier Justin Trudeau besuchte US-Präsident Donald Trump im Oktober 2017.

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