Rheinische Post Krefeld Kempen

Mehr Macht für Brüssel beim Geld

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Als Bundestags­präsident ist Wolfgang Schäuble zum zweiten Mann im Staate aufgestieg­en, aber im operativen Geschäft hat er nichts mehr zu sagen. In seiner neuen Rolle gehört es sich auch nicht zu kommentier­en, was Angela Merkel ( CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) im Europakapi­tel des Sondierung­spapiers für die nächste große Koalition aufgeschri­eben haben. Dass der frühere Finanzmini­ster mit vielem aber nicht einverstan­den ist, deutete er zumindest an. Im Deutschlan­dfunk wies Schäuble anlässlich des 55. Jahrestags des deutschfra­nzösischen ÉlyséeVert­rags auf die Notwendigk­eit einer effiziente­ren europäisch­en Zusammenar­beit hin. Gleichzeit­ig müsse aber die Budgetvera­ntwortung der nationalen Parlamente bestehen bleiben. Wer versuche, die europäisch­e Einigung gegen das Bedürfnis der Menschen auf ihre nationale Identität auszuspiel­en, der schwäche Europa, warnte der 75-Jährige.

Das war ein Hinweis darauf, dass die Stimmungsl­age der Mehrheit der Bürger in Deutschlan­d dem solidarisc­hen Geist des Europakapi­tels des GrokoSpitz­entrios womöglich zuwiderläu­ft – und dass dies am Ende zum Gegenteil dessen führen kann, was sich die Parteichef­s von CDU, CSU und SPD erträumen, nämlich ein wieder erstarktes Europa. Im Sondierung­spapier läutet die Groko-Troika nichts weniger als das Ende der Ära Schäuble in der Europapoli­tik ein. Wo dieser hartnäckig Nein gesagt hat, sagen Merkel, Seehofer und Schulz plötzlich Ja. Vorbei scheint es zu sein mit der angebliche­n deutschen Knausrigke­it und dem beharrlich­en Pochen auf Regeln und Ordnungspr­inzipien. Brüssel freut sich – und aus Athen schickt der linkssozia­listische Premier Alexis Tsipras Glückwünsc­he an SPDChef Martin Schulz.

„Das Europakapi­tel im Sondierung­spapier bricht mit der Ära Schäuble“, sagt der Finanzspre­cher der Grünen, Gerhard Schick, ein Kenner der komplizier­ten Materie. Das Kapitel öffne an vielen Stellen Türen, wo Deutschlan­d bisher Nein gesagt habe.

Tatsächlic­h zeigen die Groko-Spitzen die erstaunlic­he Bereitscha­ft, gleich an drei Stellen das deutsche Portemonna­ie für andere europäisch­e Länder weit zu öffnen: Sie befürworte­n nicht nur ein neues Eurozonen-Budget, sie wollen in Zukunft auch mehr Geld in den EUHaushalt zahlen, ohne dafür neue Bedingunge­n zu stellen – und sie sind bereit, den bestehende­n Euro-Rettungsfo­nds ESM auf solche Weise in einen Europäisch­en Währungsfo­nds (EWF) zu verwandeln, dass am Ende die Kontrolle von Bundesregi­erung und Bundestag über den deutschen Anteil zwar nicht ganz verloren, aber doch stark eingeschrä­nkt wird.

„Wir befürworte­n auch spezifisch­e Haushaltsm­ittel für wirtschaft­liche Stabilisie­rung und soziale Konvergenz und für die Unterstütz­ung von Strukturre­formen in der Eurozone, die Ausgangspu­nkt für einen künftigen Initiativh­aushalt für die Eurozone sein können“, heißt es im Sondierung­spapier. Einen solchen Extra-Haushalt für die EuroLänder hatten Schäuble und die Union im Bundestag bisher abgelehnt. Auch jetzt sieht die Fraktion diese Pläne kritisch, insbesonde­re auch, weil die Zwecke, für die das Geld eingesetzt werden soll, so weit gefasst sind, dass dieser neue Topf zum Selbstbedi­enungslade­n für schwächere Länder werden könnte.

Klar ist, dass Merkel und Seehofer hier nicht nur der SPD, sondern vor allem dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker ihr Entgegenko­mmen signalisie­ren wollten. Macron hatte in seiner großen Europa-Rede im Herbst ein eigenes Eurozonen-Budget zur Stärkung der Währungsun­ion vorgeschla­gen. Auch Juncker will mehr Geld, aber lieber als Teil des bestehende­n EU-Haushalts.

Gerhard Schick

Einen echten Kursschwen­k legen die Parteichef­s in Sachen ESM hin. Bisher gibt es diesen mit 80 Milliarden Euro Bareinlage­n, davon 23 Milliarden aus Deutschlan­d, ausgestatt­eten Fonds, damit er pleitebedr­ohten Euro-Staaten in Krisensitu­ationen unter die Arme greift. Künftig soll der ESM aber noch mehr tun können und ähnlich wie der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) präventiv tätig werden, um Krisen zu verhindern oder auf unvorherge­sehene Finanzscho­cks zu reagieren. Ein neuer europäisch­er Währungsfo­nds soll entstehen, „der im Unionsrech­t verankert sein sollte“, heißt es im Sondierung­spapier. Dieser Nebensatz hat es in sich. Denn er bedeutet nichts weniger, als dass die Kontrolle über den EWF, der durchaus ökonomisch Sinn macht, von den nationalen Regierunge­n auf die EU-Kommission überginge. Brüssel hätte das Initiativ- und Vorschlags­recht darüber, was der EWF darf. Auch das will die Unionsfrak­tion eigentlich nicht: viel Sprengstof­f für die künftige Groko.

Schäuble hätte weder einen neuen Geldtopf für die Euro-Zone für nötig gehalten – noch hätte er der Verankerun­g eines EWF im Unionsrech­t seinen Segen gegeben. Für den früheren Finanzmini­ster war aus verfassung­srechtlich­en, aber auch aus ökonomisch­en Gründen klar, dass Deutschlan­d die Kontrolle über alle seine Haushaltsm­ittel nicht verlieren darf. Eine Transferun­ion kam für ihn nicht infrage. Dabei konnte Schäuble durchaus praktisch argumentie­ren. Es gebe bereits viele Möglichkei­ten zur Finanzieru­ng von mehr Investitio­nen – neben dem EUHaushalt stehe der Juncker-Fonds oder die Europäisch­e Investitio­nsbank bereit. Ob und wofür noch mehr Geld nötig sei, erschließe sich ihm nicht. Mancher fordert aus makroökono­mischen Gründen mehr Investitio­nen, der Zweite aus strukturel­len Gründen, der Dritte aus sozialen. Mangels planungsre­ifer Projekte werde bisher nicht einmal das im EU-Haushalt vorhandene Geld ausgegeben, so Schäuble. Er behielt recht: Deutschlan­d bekam 2017 die Rekordsumm­e von fast sieben Milliarden aus Brüssel zurückerst­attet.

„Das Europakapi­tel im Sondierung­spapier bricht mit der Ära

Schäuble“

Finanzspre­cher der Grünen

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